Side

Auf einen wundervollen ersten Novembertag folgte eine recht kühle Nacht. Wir können uns nicht beschweren, denn es ist im Vergleich zu Deutschland nahezu brütend heiß. Und wenn ich sage „kühl“, meine ich um die dreizehn Grad, die leider ein Draußensitzen abends eher unmöglich machen. Schade, denn drauf hatte ich mich gefreut, ein Gläschen Wein vor dem Camper zu zweit zu genießen. Aber drinnen geht es auch.

Das Licht macht mich kribbelig, sobald es auftaucht. Um halb sieben wird es hell und jede Faser in mir möchte dann aufstehen. Um sieben hielt ich es nicht mehr aus, Nina schlummerte noch. Ich ließ sie in Ruhe, zumindest einige Minuten. Dann beschloss ich, dass auch sie genug geschlafen hatte.
Ich stelle fest, dass es schwierig geworden ist, im Camper Ordnung zu halten Besonders zu zweit ist es anscheinend unmöglich. Was vor vier Monaten noch funktionierte, geht jetzt nicht mehr. Vielleicht habe ich gesammelt, alles ist voll gestopft mit Zeug, doch kann ich kaum etwas sehen, das ich nicht im Juli auch schon gehabt habe. Letztlich ist es nur verständlich, ich lebe auf vielleicht sechs Quadratmetern, habe dort alles untergebracht, was ich brauche, einschließlich der Küche. Es ist doch verständlich, dass eine zweite Person ebenfalls einiges an Platz benötigt. Und da ich nicht nur für Urlaub ausgestattet bin, sondern für ein Leben im Wohnmobil, machte ich mir deswegen nicht lange Gedanken, sondern verzieh mir das herrschende Chaos als natürlichen Zustand.
Nina sieht das anders.
Aber das war klar.

Auch wenn der Rough Guide nicht viel versprach, machten wir uns auf, um die antiken Stätten der Stadt Side zu sehen. Laut Führer handelt es sich um ein Ressort übelster Art. Begrüßt jedoch wurden wir von einer stattlichen Stadtmauer aus römischer Zeit, die sich gegen die zernagende Zeit behauptet hat. Allen Unkenrufen zum Trotz sahen wir noch kein Ressort. Unser Spaziergang führte uns an den Ruinen antiker Shops vorbei, die alte Stadt lag dahinter noch vergraben unter dem Sand neben der Straße. Ab und an ragten halb eingestürzte Wände hervor. So muss es früher in Italien ausgesehen haben, im siebzehnten oder achtzehnten Jahrhundert, als die imperialen Bauwerke versunken zwischen der Vegetation hervorstachen und die besuchenden Künstler verzauberten. Experten werden die Kupferstiche kennen, von denen ich rede. So ähnlich sieht es in Side aus. Wir erreichten das Theater, wo auch die moderne Stadt begann. Hier erkannten wir den Ort, der im Rough Guide beschrieben ist. Ein Touristengeschäft reiht sich an das nächste, überall stehen „Touts“ und versuchen, Leute in die Läden oder Restaurants zu ziehen. Es war nicht gerade angenehm, denn im Abstand von wenigen Metern wurden wir angesprochen, was einem ruhigen Spaziergang durch die Stadt abträglich ist. Nachdem wir uns etwas gestärkt hatten, besuchten wir das Theater. Ich war erstaunt, denn es ist meines Erachtens sehr sorgfältig restauriert. Teile der Bühne sind erhalten, das ist selten, so dass der Eindruck vom Bauwerk sehr stark war. Die türkischen Archäologen haben darauf geachtet, das Theater nicht zu verschandeln. Antike Sitzbänke wurden durch Beton in ähnlicher Farbe ergänzt, wenn notwendig, so dass man sieht, was echt ist und was nicht. Herausgekommen ist ein Bauwerk, von dem man eine Ahnung bekommt, wie es einmal ausgesehen hat. Und das ist die Hauptsache.

Nach der Besichtigung des Theaters liefen wir weiter, in die halb versunkene Stadt hinein. Wir trafen auf den Bischofspalast, der noch nicht ganz ausgegraben ist. Danach folgten wir einem Trampelpfad, der uns zwischen die Ruinen führte. Irgendwann stiegen wir eine Treppe zum Strand hinab, die antike Stadt ist halb ins Meer gestürzt, überall liegen Säulenteile und andere Mauerstücke zwischen den Dünen. Mich begeistern solche Anblicke.
Nach einem türkischen Kaffee, der inzwischen ins feste Programm gehört, erkundeten wir die Städte weiter, fanden beim modernen Hafen einen wieder aufgebauten Tempel. Teile davon sind ebenfalls mit Beton ersetzt, ich empfand es als geschmackvoll, weil die Restaurateure besonders darauf geachtet haben, dass die Farben übereinstimmen. So ist der Eindruck durchaus authentisch.
Die Sonne strahlte jetzt intensiv, das Meer schimmerte dunkelblau, so dass das Weiß des Marmors besonders wirkte. Wir fanden in der modernen Stadt noch manche antike Ruine, einige in Restaurants eingebettet, manche zwischen Geschäften. Alles in allem empfanden wir beide diesen Besuch als lohnend. Vielleicht weil in der Nebensaison nicht mehr so viele Menschen unterwegs waren. Im Juli oder August ist es sicher nicht zum Aushalten. So aber war es angenehm und unterhaltsam.

Jetzt, um kurz vor Fünf, sehe ich wieder die Sonne untergehen. Heute mache ich einige Fotos, nur um es ebenfalls zu dokumentieren. Ich denke, dass wir noch einige Tage hier bleiben werden. Langsam werde ich an meinen Roman denken müssen, den ich natürlich nicht ganz fertig bekommen habe, somit habe ich auch keine Pause verdient. Aber ich werde es schon schaffen.
So wie immer.