Merida
Langsam geht es los. Heute Morgen noch bin ich mal wieder bei Minusgraden aufgewacht. Immerhin schien die Sonne so glorreich, wie sie nur scheinen kann. Kein Wölkchen am Himmel, trotzdem diese Kälte. wie üblich kam ich kaum in die Gänge, war ohnehin erst gegen neun aufgewacht. Irgendwie schaffte ich es, dann doch gegen zehn loszufahren. Salamanca, die altehrwürdige Universitätsstadt, ließ ich fast ohne einen Blick hinter mir. Nur die Kathedrale sah ich von Weitem. Einmal mehr blutete mir das Herz, doch muss man im Leben eben Entscheidungen treffen. Außerdem hatte ich die Stadt ich schon zwei Mal besucht, das dritte Mal musste eben noch ein wenig warten. Garmin kam heute mit der Strecke gar nicht zurecht, aus einem einzigen Grund: Die große autobahnartige Straße gen Süden war vor drei Jahren, als die Karten aktuell waren, noch nicht gebaut. Vermute ich zumindest. Vielleicht haben die Kartenschreiber sie auch einfach vergessen. Glücklich gondelte ich also auf der komfortablen, zweispurigen Straße dahin, kam so rasch voran wie schon seit Deutschland nicht mehr und erreichte Merida, das nur 300 Kilometer weiter südlich lag, innerhalb von 4 Stunden. Als ich auf dem Campingplatz ankam, bemerkte ich eine Veränderung. Hier ist Frühling. Nicht so wie bisher, nein, 23 Grad warm, ein leichter Wind und bereits viel Grün an den Bäumen. Das fühlt sich gleich ganz anders an. Vor drei Tagen noch saß ich deprimiert in einem Wohnzimmer bei Nantes und schaute den bretonischen Regenschauern zu. Oder vor einer Woche in Berlin konnte ich die Eisblumen am Fenster zählen. Das war fast vergessen angesichts dieser so ausgiebigen und üppigen Sonnenstrahlen.
Ich sattelte also das Fahrrad ab und fuhr in die Stadt, die ich vor sieben Jahren das erste Mal gesehen hatte. Merida empfing mich freundlich, das Leben findet bereits draußen statt. Alle sind da, an diesem müßigen Ostermontag, jung und alt genießen die Wärme bei einem Kaffee oder Bier und es herrscht fröhliche Gelassenheit. Ich sitze auch hier, auf dem Plaza de Espana und genieße mit. Im T-Shirt sitze ich mitten in der Sonne. Unglaublich. Doch viele tragen auch noch Schal und Mantel, was darauf hindeutet, dass das vielleicht der erste frühlingshafte Tag sein könnte. Ich möchte das glauben, denn das erste Mal fühle ich diese unvorstellbare Leichtigkeit, fällt die Schwere des Winters von mir ab. Das erste Mal freue ich mich auf die Abenteuer, die vor mir liegen. Ein wenig Sorge ist natürlich dabei, denn ich war noch nie in Afrika. In einer stillen, sehr schwachen Sekunde war ich gerade versucht, einfach hier zu bleiben, das alte Europa zu erkunden. Doch das verging schnell, in dieser Zeit muss ich einfach zu neuen Ufern aufbrechen, Grenzen des Bekannten überschreiten, neue Erfahrungen machen. Ich bin bereit dazu.
Merida
Als ich erneut über Merida las, viel mir folgender Dialog ein:
Kaiser Augustus, um die 20 n. Chr:
„Claudius (imaginärer Privatsekretär), dieser Tage muss ich eine ganze Horde Legionäre in Rente schicken. Die sind zu alt, um noch ein Schwert zu halten. Was mach ich nur mit denen? Nicht, dass die noch auf die Idee kommen, sich hier in Rom niederzulassen, wir haben ohnehin schon zu viel von diesem gefrässigen Mob hier. Woher das ganze Brot und diese ganzen Spiele.
Fällt dir etwas ein?“
Claudius:
„Wir haben doch die Rentenkassen, die müssten doch prall gefüllt sein.“
Augustus:
„Äh, nee, die sind leer.“
Claudius:
„Wie das denn?“
Augustus:
„Naja, die Marmorpreise sind so gestiegen, diese verdammten Griechen saugen mich aus bis aufs Hemd. Da hab ich eben das Geld aus der Rentenkasse…sagen wir…. umverteilt. Mein Palast muss ja irgendwie fertig werden.“
Claudius:
„Schöne Bescherung. Immer dasselbe. Da fällt mir ein, ich habe neulich bei einem Hörnchen Wein mit einem alten Bekannten aus Spanien geredet. Der ist aus einer Gegend in der Mitte Spaniens. Da ist kein Mensch.“
Augustus:
„Spanien, haben wir das nicht neulich erobert?“
Claudius:
„Ach, schon ein bisschen länger her. Aber es ist unseres. Worauf ich hinaus will, siedle die Rentner doch alle dort an. Das Land ist billig, denn da ist niemand außer ein paar Barbaren, Die speisen wir mit ein paar Sesterzen ab. Da können die Ehemaligen siedeln und der dortigen Bevölkerung ein wenig das Römersein beibringen.“
Augustus:
„Gute Idee. Die können dann die hiesige Bevölkerung ein wenig auspressen. Und auf diese Einnahmen erhebe ich dann Steuern, so haben wir alle etwas davon. Vor allem ich. So machen wir das. Da sind die auch alle weit genug weg, um mir nicht auf die Nerven zu gehen.“
Ob sich das so abgespielt hat, weiß ich nicht. Jedenfalls haben sich hier, wie in so vielen Teilen des römischen Reiches, ehemalige Legionäre niedergelassen und Merida gegründet. Ihre Zeugnisse stehen noch überall in der Stadt, die nach perfekten römischen Gesichtspunkten aufgebaut wurde. Alles war da, was das römische Herz begehrte. Theater, Amphitheater, Zirkus, Bäder, Marktplatz, Tempel – ein kleines Rom am Fluss Guardia eben. Heute sind die Ruinen über die ganze Stadt verteilt. Besonders gut erhalten ist das Theater, für alles andere braucht man wie üblich sehr viel Fantasie, um es sich vorzustellen, wie es einst ausgesehen haben mag. Das örtliche Museum jedoch beherbergt viele Funde und erweckt den römischen Alltag wieder zum Leben. Ich war besonders von der römischen Brücke mehr als beeindruckt, die seit fast 2000 Jahren nahezu unverändert den Fluss überspannt. Die römischen Bögen sind so massiv gebaut, dass sie bislang allen Naturgewalten getrotzt haben.
Ich bin sehr froh über die Entscheidung, einige müßige Stunden hier und nicht, wie in den vergangenen Tagen, meine Zeit nur auf der Straße verbracht zu haben
Bald bin ich da, es sind nur noch 400 Kilometer bis nach Tarifa, so dass ich bald damit beginnen werde, mich ernsthaft mit meiner Überfahrt zu beschäftigen.