Ljubljana

Unverhofft kam es. Erst bezog sich der Himmel, dann kam das Grollen. Die Blitze zuckten erst in weiter Ferne, kamen näher, der Donner natürlich ebenfalls. Als wenn jemand eine Kanne Wasser auf die Tür gestellt hatte, begann es urplötzlich zu schütten. Aus meinem Tajinen-Abendessen, das ich draußen kochen wollte, wurde erst einmal nichts, später nutzte ich eine dreiviertel Stunde, um sie abends doch noch zuzubereiten. Nachts kam der Regen wieder, das Blech und Plastik des Dachs verstärken dabei das Geräusch. Wenigstens ist es in der Transe nicht feucht so wie in Zelten. Auch funktioniert die Wärmespeicherung gut, so dass die Abkühlung keine Auskühlung bedeutete.

Auch morgens regnete es wieder. Ich erinnerte mich an eine Woche zuvor, in Padua war ich fast geschmolzen, jetzt zog ich das erste Mal seit Wochen wieder Socken an. Ich kam fast gar nicht hinein, wie eine Katze, die nicht in die Transportbox möchte, stellten sich alle Zehen quer und ich musste Gewalt anwenden. Ähnliches geschah mit den Halbschuhen, auch die waren meinen Latschen nicht willkommen. Ich nutzte die energetischen Momente danach, um diverse Dinge zu erledigen, Abwasch und Bezahlen. Dann ging es weiter.

Ich glaube, dass ich erst heute gemerkt habe, das Slowenien ein sehr kleines Land ist. Bis in die Hauptstadt waren es noch etwas mehr als 50 Kilometer, die Fahrt wurde allerdings durch einen Stau verzögert. Ljubljana – ich hatte viel gehört, vor allem Vergleiche. Wie Wien sollte es sein. Oder wie Prag, nur ohne die Massen. Ich freute mich ungemein darauf.
Als ich jedoch auf dem Campingplatz ankam, schüttete es mehr als zuvor, selbst kürzeste Gänge endeten in völliger Durchweichung. Da saß ich also wieder, im Auto, und wartete, bis der Regen sich legen sollte. Als es endlich aufhörte, machte ich mich auf den Weg.

Die Hauptstadt hat jetzt auch ein elektronisches Ticket für die öffentlichen Verkehrsmittel eingeführt, dass man nach Belieben aufladen kann. Wieder eine Art Vergleich, denn in London gibt es das auch. Wundervoll.
Als ich im Zentrum ankam, begann es wieder zu regnen. Nichts ist deprimierender, zumal es so heftig schüttete, dass an eine Besichtigung nicht zu denken war. Klitschnass und bibbernd flüchtete ich in eine Bar, eigentlich ein mexikanisches Restaurant. Da saß ich nun, neben Buritos und Chilli, trank einen Espresso und las über Ljubljana. Ich erfuhr dabei, dass die Stadt angeblich von Jason und der Argonauten aufgesucht wurde. Der griechische Held hatte sich verfahren, sicher war wieder irgendein Gott im Spiel gewesen, und versehentlich den falschen Fluss hinauf gefahren. Das geschieht schon mal. Hier besiegte er einen Drachen, der jetzt Wahrzeichen der Stadt ist. Wie passend, das goldene Fließ hat Jason natürlich nicht da gelassen. Das versuchen die Slowenen jetzt nachzuholen, in dem sie sich an den Touristen gütlich tun. Warum auch nicht, alle anderen machen es auch.

Es dauerte eine ganze Weile, bis der Regen aufhörte. Ich weiß auch nicht, was ich erwartet hatte, aber die vielen Vergleiche hatten das Bild in meinem Kopf geprägt, das ich nicht aufrecht erhalten konnte. Man kann Ljubljana nicht mit Großstädten wie Prag oder Wien in einem Satz nennen, es ist einfach nicht fair und weckt Erwartungen, die sie dann nicht halten kann. Nicht einmal 300.000 Einwohner leben hier, nichts im Vergleich zu den Millionenstädten. Natürlich ist das Zentrum entsprechend winzig, ich glaubte es gar nicht, dass ich so schnell durch war, als ich endlich einmal eine Weile ohne die Nässe von oben laufen konnte. Dabei hat die Hauptstadt ihren eigenen Charme. Sie ist viel heiterer als Prag, natürlich nicht so mysteriös. Es gibt viele Cafés, vor allem an den Uferbänken und da die Bevölkerung zu einem Fünftel aus Studenten besteht, hat Ljubljana sicher während des Semesters eine ganz eigene Atmosphäre. Es sind aber Ferien. Trotzdem ist es wunderbar, eine solche Stadt zu sehen, ohne sie mit den Massen teilen zu müssen.

Ich tat das, was ich immer in einer neuen Stadt mache, schlendern. Ich konnte mich nicht gegen das Gefühl wehren, dass die Slowenen ein ausgesprochen gesundes Selbstbewusstsein entwickelt haben, das beinahe an den Grenzen der Arroganz kratzt. Manchmal auch etwas stärker. Ich sah zum Beispiel ein Restaurant, deren Chef das Mittagsmenü „Hijo de Puta-Menü“ getauft hatte. Es gab auch ein Frühstück gleichen Namens. Ist das jetzt Ironie oder Geschmacklosigkeit? Als ich in das Rathaus kam, in dem die Gemälde in der Haupthalle angepriesen wurden, sah ich Ölmalereien, die ich allenfalls als roh und ungelenk bezeichnen würde. Hätte sie meine Nichte gemalt, fände ich sie toll, sie ist fünf. Mein Weg führte mich auch an der Nationalgalerie vorbei, es sah wieder sehr düster über mir aus, also ging ich hinein. Wieder wurde ich mit Eintrittspreisen konfrontiert, die ich nicht ohne Weiteres billigen konnte, also ging ich wieder hinaus. Für mich sind das Beispiele von starkem Selbstbewusstsein. Hoffentlich schreckt es niemanden ab, denn man braucht schon eine Portion englischen Humor, um dieses zu verstehen. Es kommt sicher daher, dass die Slowenen die Ersten waren, die sich damals vollständig und ohne Reue erfolgreich vom jugoslawischen Staat losgesagt haben. Das Blutvergießen wie zum Beispiel in Kroatien oder – schlimmer – in Bosnien hat es hier nicht gegeben. Zumindest nicht in dem Ausmaß. Es ist immer wichtig und gut, wenn einem die Dinge, die man anpackt, auch gelingen. Dasselbe gilt anscheinend auch für ganze Völker.

Die meisten Teile der Innenstadt sind aufwendig restauriert – Barock und Jugendstil – , um so mehr freute es mich, einige Male an Fassaden vorbei zu kommen, die noch sozialistisch grau aussehen. Eine davon, sie ist allerdings eher schmutzig-gelb, gehört dem Gasthof Sokbol. Da gehe ich vielleicht morgen lunchen. So urig und kitschig, das ist genau das Richtige für mich.
Dabei gibt es auch die andere Seite, ich sah Bars am Ufer des Flusses, die man nur als chic bezeichnen kann. Die Menschen drin waren es auch. Also scheint das Selbstbewusstsein durchaus gerechtfertigt.
Überhaupt konnte ich kaum noch einen Unterschied feststellen zwischen dieser slowenischen und anderen europäischen Städten. Das Zusammenwachsen ist weit fortgeschritten und ich muss gestehen, dass mich diese Entwicklung freut. Der stählerne Vorhang scheint vollständig weggerostet, verschwunden auch aus den Köpfen. Ich wünschte, dass auch wir Deutschen das eines Tages lernen werden, denn in den Neuen Bundesländern sieht es oft nicht so aus wie hier.
Morgen werde ich zusehen, dass ich mir zumindest die Burg und vielleicht das Nationalmuseum anschaue, das der slowenischen Geschichte gewidmet ist.
Es regnet wieder, mal sehen, ob es morgen besser wird.