Fahrt in Richtung Griechenland
Ein ungewohntes Geräusch weckte mich heute Nacht. Etwas trommelte gegen den Camper. Ich weiß gar nicht, wie lange es her ist, seit ich das letzte Mal Regen erlebt habe. Wochen wahrscheinlich. Und auch dann waren es nur heftige Stürme, drei oder vier an der Zahl. Heute fühlte es sich anders an. Wie echter Regen eben. Auch wurde es spürbar kühler. Somit ist es also anders geworden. Das Unvermeidliche hat mich eingeholt. Allerdings ist es nicht so schlimm, wie ich gedacht hatte. Ganz im Gegenteil, es fühlte sich sogar recht gut an. Normal eben. Ich stelle dabei fest, dass es auch nicht gut ist, nur Sommer zu erleben. Das hat die Zeit im Süden der Türkei so unwirklich erscheinen lassen. Zumindest kommt es mir gerade so vor.
Durch den Schatten der vielen Bäume auf dem Platz und den ungewohnt grauen Himmel erwachte ich erst etwas später. Hatte ich gestern noch die Hoffnung gehegt, vielleicht doch bis Griechenland durchfahren zu können, war dieser Traum damit geplatzt. Eigentlich nicht schlimm, denn was soll die Eile? Ich brauchte ebenfalls geschlagene 90 Minuten, bis ich aus Izmir heraus war. Die Stadt verwirrte mich wieder einmal. Zum Glück wies Garmin mir ungefähr den Weg, was würde ich ohne Navi machen? Wahrscheinlich meine digitale Demenz ausleben.
Die Fahrt verlief völlig ruhig. Auch war ich kaum vor schwierige Abschnitte gestellt, Landstraßen wechselten sich mit Kleinstädten ab. Alles hatte ich schon einmal irgendwie gesehen, doch schien es in eine andere Epoche zu gehören, die nichts mit meiner Reise durch die Türkei zu tun gehabt hatte und die inzwischen wie in Nebel getaucht ist. Kein Wunder, sechs oder sieben Wochen ist es alles her. Auch scheine ich kaum emotional an die Gegend gebunden gewesen zu sein, denn es kam keine Wehmut auf. Ich passierte Ayvalik, auch Assos. Vorher pausierte ich noch, um einzukaufen, konnte mich dort wieder einmal nicht entscheiden. Immer dasselbe. Trotz der leichten Fahrt kam ich nicht so schnell voran wie vor zwei Tagen. Gegen vier war ich auch müder als mir lieb war, so dass ich den bekannten Campingplatz bei Troja ansteuerte. Von hier sind es noch 200 Kilometer bis zur Grenze, die ich Morgen in aller Ruhe angehen kann.
Zeit für ein Fazit. Es muss einen Grund geben, warum ich ausgerechnet hier so lange geblieben bin. Nirgends sonst war ich länger, ungefähr acht Wochen müssen es gewesen sein. Ich habe ein Land kennengelernt, das ich vorher noch nicht kannte. Und ich mag es. Die Menschen sind nett und zuvorkommend. Ein Lächeln fand ich immer, wenn ich eines brauchte, jeder grüßt und Freundlichkeit hat hier keinen Preis. Ich muss gestehen, dass mich das alles überrascht. Wir haben so viele türkische Mit-Europäer in Berlin, mit denen ich aufgewachsen bin und die leider in der Fremde anders sind als hier. Es war jedoch leicht, meine Vorurteile über Bord zu werfen und ich bin mir sicher, die Dinge in Berlin jetzt mit völlig anderen Augen zu sehen. Auch wenn es abgedroschen klingt, es war einfach wunderschön hier. So viel Sonne zur ungewohnten Jahreszeit, Wärme, wenn es eigentlich kalt sein sollte. In jeder Hinsicht. Ein wenig fühle ich mich natürlich schuldig, dass ich all dem solange gefrönt habe, während andere sich in unwürdigen Jobs für noch unwürdigere Firmen totschuften mussten. Aber das liegt wohl in meiner Natur, denn das echte Genießen ohne irgendeinen Zwang oder Schuldempfinden liegt mir nicht. Letztlich habe ich mich losgerissen, erlebe nun auch meinen Teil des Winters, wenn auch in abgeschwächter Form. Aber es wird mich noch erwischen. Denn in Florenz ist es bitterkalt. In Rom ebenfalls. Wir werden also sehen, ob ich nicht in einigen Wochen beginne zu jammern und meine Entscheidung umzukehren bereue.
In der Türkei selbst bin ich zwar lange gewesen, habe aber den Eindruck, das Land nicht mit der Intensität bereist zu haben, wie ich es gewohnt bin. Ich möchte nicht wieder spekulieren. Müdigkeit, Kilometerverweigerung, Urlaub – Erklärungen gibt es viele. Fakt ist, dass ich nur einen ersten Eindruck gewonnen habe. Das wird sicher wieder anders, vor allem wenn ich in Italien bin. Aber noch ist es nicht soweit. Noch liegen mehr als 1000 Kilometer zwischen mir und meiner alten Liebe.
Auch bin ich etwas nervös wegen des morgigen Grenzübertritts, aber das will nichts heißen. Denn das bin ich immer. Schließlich treffe ich auf eine viel zu gewaltige Staatsmacht, die immer ein Stück Macht innehat, die sie ge- oder auch missbrauchen kann. Davor ist leider kein Beamtenapparat sicher. Und Menschen schon gar nicht. Wahrscheinlich geschieht gar nichts und ich darf passieren.
Wäre mir ehrlich gesagt morgen am liebsten.