Noch am Vortag überlegte ich, welchen Bus ich in Richtung Küste nehmen sollte. Die Richtung und das Ziel standen fest. Sollte ich bereits um 8 Uhr fahren? Das würde bedeuten, um 6 Uhr aufstehen zu müssen. Der Gedanke war unerträglich. Um 10 Uhr würde es auch noch reichen.
Gegen 8 Uhr stand ich also auf. Es war so feucht, dass das Wasser an den Zeltwänden innen hinunterlief. Und das in Strömen. Wieder einmal. Von der eigentlich angekündigten Sonne, die dieses Spektakel sofort entfernt hätte, war nichts zu sehen. So machte ich mich also daran, die Planen vorsichtig trockenzuwischen. Zumindest so trocken, wie es ging. Ganz ehrlich, ich könnte eine Stunde länger schlafen, wenn ich diese Routine nicht durchführen müsste. Aber es ist Unsinn, sich zu beschweren. Ich habe mir die Bretagne selbst ausgesucht. Und hier ist es nun einmal feucht.
Letztlich hatte ich noch viel Zeit, als ich endlich beschloss, dass das Zelt trocken genug war. Wie zur Bestätigung zeigt sich das erste Mal die Sonne. Ich hatte sogar noch Zeit, in der Stadt ein Baguette zu kaufen. Das Mittagessen war also gesichert.
Wie immer fuhren wir pünktlich ab. Was es doch immer wieder für ein Aufwand ist, ein paar Kilometer weiter zu fahren. Letztlich dauert die Busfahrt nicht einmal 45 Minuten. Bei Landrellec stand dich dann in der Landschaft. Es ist allerdings in Frankreich nie schwer, sich zu orientieren. An jeder kleinen Straße befinden sich Schilder, die darauf hinweisen, was man am Ende dort findet. So gab es auch hier den Hinweis auf den Campingplatz. Einfacher geht es nicht. 15 Minuten strammer Marsch, dann tauchte das Meer auf. Der Platz liegt 100 Meter weiter. Wie schön. Besser kann man nicht zelten. Das Einchecken funktionierte reibungslos, somit konnte ich zwei Stunden, nachdem ich es eingepackt hatte, das Zelt wieder aufbauen. Das Beste war: Der Tag war noch so jung, so dass ich gar nicht anders konnte, als etwas zu unternehmen. So mag ich Reisetage.
Natürlich führte mich mein erster Gang nach Tregastel. Mein Kartenmaterial war ungenügend, also liefe ich der Nase nach. Auf Teerstraßen. Nicht besonders schön, dafür effektiv. Nach 20 Minuten stand ich vor dem Wegweiser Tregastel Boarg. Ich weiß nicht, warum ich es ignorierte. Es machte keinen Sinn, zumindest meinem Verständnis nach. Das Meer befand sich doch in der anderen Richtung. Also folgte ich meinem Instinkt, genau das Richtige, wie sich 20 Minuten später herausstellen sollte. Natürlich zweifelte ich, aber auf irgendetwas würde ich schon stoßen. Auch wenn das nicht immer so ist. Manchmal findet man sich irgendwann im Nirgendwo wieder. Aber nicht heute. Ich lief an recht stattlichen Einfamilienhäusern entlang, von denen einige majestätische Felsformationen im Garten zu stehen hatten. Ob so etwas Einfluss auf den Grundstückspreis hat? Und wenn ja, in welche Richtung? Schließlich kann man klettern üben. Allerdings ist der Garten kleiner. Verzwickt. Egal.

Jedenfalls sah ich bald, dass ich völlig richtig gelaufen war. Denn ich erreichte eine Meeresbucht, die jetzt bei Ebbe natürlich fast leer war. Ebenfalls konnte ich die Felsformationen sehen, die „Granit Rose“, nach denen diese Küste benannt ist. Herrliche rote Steine, in merkwürdigen Formen. Dazwischen schimmerte immer wieder das sich ständig verändernde Blau des Meeres. Auch wenn ich es vorher nicht für möglich gehalten hatte, waren die Farben noch intensiver als an anderen Küstenabschnitten, die ich bislang habe sehen dürfen. Und das will etwas heißen. Es leuchtete eben. Rot, grün und blau, in Tausenden von Abstufungen. Man muss es selbst sehen, um es zu begreifen.

Côte de Granit Rose, Trégastel

In der Touristeninformation bekam ich endlich einen Stadtplan.und begriff, dass ich nicht im Zentrum, also Bourg (wie es hier heißt),war, sondern in Hafennähe. Letztlich aber wollte ich dort ankommen, wo ich mich jetzt befand. Also an die Küste.
Nach einem Espresso und einer Schreibsession machte ich mich auf den langsamen Rückweg auf dem GR 34 entlang in Richtung meiner temporären Heimat. Ein Weg, der mich an den atemberaubenden Sehenswürdigkeiten dieser Gegend entlangführte. An den Felsen. Und zu Stränden so weiß wie Schnee. Natürlich ist es anstrengender und weiter als auf den langweiligen Asphaltstraßen. Aber es ist so belohnend.
Oft blieb ich stehen und bewunderte diese unsagbare Schönheit. Das Wetter spielte ebenfalls mit, die Sonne brillierte wie viele Tage nicht mehr. Auch waren nur recht wenige Menschen unterwegs, die sich auf den Hunderte Meter langen Stränden verloren. Was also wollte ich mehr?
Ich machte sogar Rast auf einem der kleinen Strände. Es waren vielleicht 17 Grad im Schatten, aber ich spürte, wie ich wieder verbrannte. Das ist der einzige Makel hier. Zwar gibt es viele Bäume, aber selten in Strandnähe. So hielt ich es nicht lange aus. Meine Beine aber signalisierten mir, dass es bald genug sein müsste. Aber was sollte ich machen? Ich hätte abkürzen können. Niemals. Ich lief weiter den Küstenpfad entlang. Es lohnte sich, denn ich konnte immer neue Eindrücke bewundern, schoss sicher über 100 Fotos, was heutzutage ja nicht mehr viel ist. Heute im digitalen Zeitalter. Vielleicht sind ein Dutzend gut geworden.
Erschöpft, aber glücklich, erreichte ich den Campingplatz. Was ein geruhsamer Anreisetag werden sollte, entwickelte sich zu einem der schönsten der ganzen Reise. Die Eindrücke, die ich heute erleben durfte, werden meine Erinnerungen an diese Zeit prägen. Dessen bin ich sicher. Zum Glück hatte ich auf Nina, meine Frau, gehört, als ich neulich per Skype mit dem Gedanken spielte, diesen Teil der Bretagne auszulassen. Ich hätte kaum gewusst, was ich verpasst hätte. So aber ist alles gut. Auch wenn mir bereits am frühen Abend vor Müdigkeit beinahe die Augen zufielen.