Gorges Dades/Dardes-Schlucht

Bereits um 6 Uhr brannte die Sonne unbarmherzig auf die Transe, die sich innen langsam aber sicher aufheizte. Ich widerstand meinem eigentlichen Verlangen nach noch mehr Ruhe und stand schon eine halbe Stunde später auf, weil ich die Auswirkungen kenne: ein erschöpfendes Schlafen, das man für den Rest des Tages bereut.
Gestern hatte ich mich einer kulinarischen Köstlichkeit des Hauses hingegeben, ein frisch zubereitetes Couscous-Gericht, das der Campingplatzbetreiber mit einem breiten Grinsen höchstpersönlich zu meinem Campingtisch brachte. Selten habe ich so gut geschlemmt wie an diesem Tag. Das Couscous war saftig und elegant gewürzt und sicher das Beste, das ich je gegessen habe. Es war nicht von der vorgequollenen Art wie bei uns zu Hause, sondern wurde stundenlang über dem Gemüse langsam gegart, bis es sämtliche verschiedenen Geschmäcker aufgesaugt und aufs Perfekteste vereint hatte. Ein guter Rotwein hätte dazu sicher gepasst, doch hatte ich vor ein paar Tagen beschlossen, meinen ohnehin zu großen Weinkonsum stark einzuschränken. Doch gestern Abend bereute ich meinen Entschluss. Es half nichts, denn im Camper war kein guter Tropfen mehr, so dass ich gezwungen war, zu meinem Entschluss zu stehen. Im Grunde also kein schlechter Ausweg, sich auch einmal zu einem Verzicht zu zwingen.
Ich setzte meine Fahrt relativ früh fort, bereits um 8 war ich unterwegs. Das Szenario war unvergesslich, hier brannte die Sonne auf die Straße, links von mir sah ich die 4000er mit ihren schneebedeckten Kuppen. Ich fuhr durch das unwirtliche Land, eine Steinwüste mit zum Teil bizarren Landschaften. Von Erosion zerfressene Felsen standen mutterseelenallein in der Gegend, es wurde generell immer einsamer. Doch ab und zu sah ich eine verlorene Gestalt am Straßenrand, die meist andeutete, dass sie mitfahren wollte. Ab einem gewissen Punkt wurde die Strecke bebauter, eigentlich kann ich mich nicht erinnern, auch nur noch ein einziges Mal einen freien Blick auf die Berge gehabt zu haben. Die Gegend ist für ihr Rosenwasser bekannt, das überall angepriesen wird. Am Straßenrand stehen alle ca. 200 Meter Kinder oder junge Erwachsene, die einem Rosenketten verkaufen wollen. Sie strecken sie weit in die Fahrbahn hinein, so dass man aufpassen muss, ihnen nicht die Arme zu verletzen. Ich sah allerdings wirklich keinen Grund, so etwas zu kaufen.
Irgendwann kam der Abzweig zur Dardes-Schlucht. Ab hier wurden die Ansichten immer dramatischer. Hatte ich vorher bereits die Farben beschrieben, die ich in Marokko gesehen habe, so war das anscheinend noch immer nur ein Vorspiel für das, was ich in dieser Schlucht zu sehen bekam. Die Farbe der Felsen schimmern in sämtlichen Tönen, zwischen Gelb bis zu Violett. Manchmal sieht es so unwirklich aus, dass ich selbst ein Foto davon wahrscheinlich als Montage bezeichnen würde. Doch es ist nicht so, es ist so farbenprächtig, dass man gar nicht weiß, wohin man zuerst hinschauen soll. Meist kam ich nur wenige Hundert Meter weit, um wieder ein farbliches Schauspiel zu entdecken, dass ich unbedingt mit dem Fotoapparat festhalten wollte. So erreichte ich sehr langsam den sogenannten Affenfelsen und stellte mit einiger Befriedigung fest, dass mein angestrebter Campingplatz mir direkte Sicht darauf gab. Der Affenfelsen, vor dem ich jetzt, in diesem Moment übrigens sitze und schreibe, ist ein bizarres Gebilde aus runden Felsen, die sich wie riesige Kieselsteine aufeinander türmen. Auf der anderen Seite der Schlucht ist der Platz und die Straße, dazwischen schlängelt sich geräuschvoll ein kleiner Fluss entlang, der hier in der Oase üppiges Grün gedeihen lässt. Es ist einfach kaum zu beschreiben, welche Farbenspiele mir hier geboten werden. Wäre ich Maler, das wäre der Ort, an dem ich für lange Zeit wirken würde. Bin ich aber nicht und da mein Thema als Schriftsteller eher die Abgründe der Seele berühren, ist es für mich fast ein wenig zu ruhig.

Gorges Dades Affenfelsen 

Die Affenfelsen erstrecken sich viele Hundert Meter. Natürlich hielt ich es auf dem Campingplatz nicht lange aus, sondern nahm meinen Wanderstock zur Hand und machte mich auf den Weg in Richtung Felsen. Ich lief über eine rustikale Brücke, deren Haltbarkeit ich nicht durch weitere Belastung überprüfen wollte, so dass ich sie so schnell wie möglich überquerte. Ich sah wieder das ausgeklügelte Bewässerungssystem, dass hier besonders Weizen gedeihen lässt. Entlang dieses Systems versuchte ich irgendwie, Richtung Affenfelsen zu gelangen, was mir letztlich auch gelang. Ein Weg war mehr oder weniger ersichtlich, er führte mich weg vom Bach und hinein in die Felsen. Weit kam ich jedoch nicht, denn mein Pfad schien in einer Art Höhle zu enden. Zwar war da noch eine Art Loch im Felsen, doch dort stand das Wasser recht hoch und ich hielt es nicht für passierbar. Wie man sich täuschen kann. Ich ging ein wenig zurück, erklomm noch den einen oder anderen Felsen, in der Hoffnung, doch noch auf einen Pfad zu stoßen. Vergeblich. Plötzlich hörte ich hinter mir Stimmen, ich war also nicht der Einzige, der sich hierher verloren hatte. Zwei Österreicher und ein Marokkaner, der in Belgien lebt, wollten ebenfalls ein wenig wandern. Wir kamen rasch ins Gespräch und beschlossen, uns die Höhle nochmals genauer anzusehen. Warum ich vorher nicht einmal auf die Idee gekommen war, mir den vermeintlichen Weg ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen, weiß ich nicht, denn plötzlich schien er nicht mehr unüberwindlich. Natürlich erforderte es einiges an Kletterei, doch nicht einmal Hundert Meter brauchten wir, um wieder auf einen gemütlicheren Pfad zu gelangen. Wir, das heißt eigentlich nur der Marokkaner, der ebenfalls Nabil heißt, und ich, denn die beiden Österreicher, Max und Esther, waren genau dort stehen geblieben, wo ich mich anfangs nicht weiter getraut hatte. Wie es in einer plötzlich entstandenen Gruppe ist, macht man nichts ohne den anderen. Zumal auch Nabils „Wanderschuhe“ aus Strandlatschen bestanden, mit denen wir unmöglich die Kletterei überstehen konnten, zu denen ich mich in der Lage fühlte. Also kehrten wir einvernehmlich um, um unsere Gefährten nicht zu beunruhigen. Die waren bereits zurückgegangen und warteten bei einem Minztee auf einer Sonnenterasse auf uns. Wir verbrachten eine vergnügliche Stunde, erzählten über unsere Abenteuer in Marokko oder von anderen Reisen. Es war meine erste längere Unterhaltung von Angesicht zu Angesicht seit Wochen, wenn man diverse Chats und kurze Telefonate mit Nina nicht mitrechnet. Es ist nicht so, dass ich sagen würde, dass es mir gefehlt hat, doch als ich diese Erfahrung erst einmal wieder gemacht hatte, freute ich mich dennoch darüber. Die Drei fuhren bald darauf weiter, ich lief nochmals zum Wasser, um noch ein wenig zu laufen, doch der Weg, diesmal auf der anderen Seite des Flusses, führte mich unbeabsichtigt zurück zum Campingplatz.
Ich habe mir vorgenommen, morgen nochmals den Pfad durch die Affenfelsen zu suchen. Gewandert bin ich hier noch nicht, doch ist es genau der richtige Ort dafür. Ich bin schließlich im Gebirge.