Bei Silifke
Wenn man schon nichts erlebt, sorgt der Körper dafür, dass es spannend bleibt. Ich erwachte heute Morgen und hörte nur sehr entfernte Geräusche. So entfernt, dass ich merkte, dass etwas nicht richtig war. Alles war wie in Watte gepackt. Keine Frage, beide Ohren waren dicht. Beide. Nicht etwa nur eines, nein, beide. Mich versetzte das in eine leichte Panik, denn eigentlich wollte ich weiterfahren. Wie sollte ich auf Hupzeichen reagieren? Sollte ich einen Arzt suchen? Aber wie ihm verständlich machen, was mir fehlte? Sicher würde er Zähne ziehen oder sonst etwas Schreckliches unternehmen. Also entschloss ich mich zum Handeln. Ausspülen hieß die Devise. Aber wie?
Ganz einfach, ich stellte mich unter die – leider – kalte Dusche. Aber ich musste mich ja nicht säubern, nur die Ohren durchpusten.
Es wurde zu einer Aktion, die ich noch nie erlebt hatte. Binnen kurzer Zeit begannen die Ohren zu schmerzen, denn ich fuhrwerkte nicht gerade zimperlich herum. Dann ein kurzes Knacken und auf dem rechten Ohr hörte ich wieder etwas. Das linke jedoch wehrte sich gegen seine Befreiung. Immer wieder spülte ich, in der Hoffnung, ein solches Knacken zu hören wie auch der anderen Seite, aber vergebens. Dann war es zumindest etwas besser, so dass ich beschloss aufzuhören. Als ich wieder beim Camper war, pulte ich wieder und mit einem Mal war es schlimmer als vorher. Der Druck war kaum auszuhalten und in meiner Verzweiflung lief ich wieder zur Dusche. Es dauerte nur noch eine Minute, dann endlich, nach einer Stunde des Hantierens, wurde alles um mich herum wieder laut. Beinahe zu laut. Es tut jetzt zwar ein wenig weh, denn ich habe mir sicher einige blaue Flecken geholt, doch wenigstens war der Hörverlust nicht von Dauer.
Das alles geschah zwischen sieben und acht Uhr. Bereits um diese Zeit war es angenehm heiß. Nicht mehr die Hitze des Sommers, wesentlich erträglicher. Ich glaube, so lange es solche Temperaturen hat, werde ich nicht abfahren. Zumal ich nach meiner Befreiungsaktion die beste Ausrede fand, um noch weiter dazubleiben. Ich begann mit der Überarbeitung meiner beiden vorherigen Romane, die ich vor zwei, bzw. einem Jahr geschrieben habe. Wieder war ich erstaunt, um nicht zu sagen peinlich berührt, wie viele Fehler ich entdeckte. Viele davon sind einfach unverzeihlich, denn obwohl ich es besser weiß und die Regeln kenne, fanden sich viele „das/dass“ genau dort, wo die jeweils andere Variante richtig gewesen wäre. Zum Glück schafft das Programm es, diese Fehler zu finden. Wahrscheinlich handelt es sich um die beste Investition seit der Anschaffung des Netbooks, das mir damals ungeahnte Freiheiten des Reisens und Schreibens ermöglichte. Ich überarbeitete beide Bücher, saß viele Stunden in die Texte vertieft. Ich durchlebte im Schnelldurchlauf nochmals die Geschichten und muss sagen, dass ich beide mit vollem Vertrauen empfehlen kann. Ich war mir vorher nicht sicher, ob das so sein würde, denn es ist einige Zeit vergangen, seit ich sie geschrieben habe. Es sind schöne Geschichten, vor allem jetzt einigermaßen fehlerfreier.
Das Selbstbewusstsein, das ich durch diese Überarbeitung erlangte, ist gewaltig. Hatte ich vorher immer gezögert, die Manuskripte zu verschicken, kann ich es jetzt mit ruhigem Gewissen tun, denn ich weiß, dass die Texte nicht mehr viele Fehler enthalten. Da ich sie inhaltlich mehr als einmal überarbeitet habe, können sie sich jetzt sicher auch in dieser Richtung sehen lassen.
Um dieses Selbstvertrauen sofort auszunutzen, schrieb ich sofort einen Literaturagenten an, um zu fragen, ob er die Geschichten lesen möchte. Und auch für Morgen habe ich bereits etwas zu tun. Ich werde das Exposé für die gotische Novelle schreiben. Leider hat sie noch keinen Namen. Aber ein Exposé kann sie bekommen.
Nach und nach entwickelt sich dieser Ort, den ich vor zwei Tagen schon verlassen wollte, zu einem echten Schlager. Vielleicht ist es sogar ideal, denn zwar gibt es eine Internetverbindung, doch habe ich von meinem Arbeitsplatz aus keinen Empfang. So kann ich ab und zu an die Bar pilgern, den einen oder anderen Raki zu mir nehmen und etwas surfen, ohne dass mich das von der Arbeit abhält. Und da auch die Umgebung schlichtweg uninteressant ist, werde ich durch das Reisen nicht abgelenkt. Vielleicht beginne ich damit, den Folge-Roman zu schreiben. Es wäre immerhin ein Anfang. Wir werden sehen, wie weit ich morgen komme.
Somit verführt mich das Wetter gerade auf die angenehmste Art. Auch das Fehlen des Lichts ist nicht mehr so dramatisch, da ich meist trotz Dunkelheit nicht vor neun in den Camper gehe. Oft auch noch viel später. Vielleicht ist das der wahre Grund für das Bleiben. Der verlängerte Tag, mehr Zeit im Freien, die nicht mehr erwartete Wärme und das wohl-temperierte Wasser halten mich fest und ich lasse mich zur Ruhe kommen.
Somit ist meine Abfahrt verzögert. Es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel verstopfte Ohren.