Catania

Es war einmal wieder ein ruhiger Tag. Der gestrige Ausflug saß noch in den Knochen, ich hatte nicht bemerkt, dass der Auf- und Abstieg, den ich in Taormina zu bewältigen hatte, derartigen Tribut zollen würde. Ich hatte allerdings mit einem Problem zu kämpfen. Vor einigen Tagen habe ich Milch verschüttet, eigentlich keine sehr spektakuläre Geschichte. Aber es stinkt jetzt spektakulär. Ich habe keine Ahnung, wie ich den Geruch aus dem Camper bekommen soll. Zwar habe ich natürlich kurz danach eine Großaktion gestartet und alles geputzt, aber anscheinend ist das Zeug hartnäckig. Also machte ich mich heute wieder dran, wischte und schrubbte. Heute Abend liegt der unangenehme Gestank aber immer noch in der Luft, wahrscheinlich muss ich warten, bis er von allein verschwindet.

Morgen fahre ich ab. Daran führt letztlich kein Weg vorbei. So lange wie hier war ich nirgends, allerdings macht es mir nichts aus. Ich kam zum Schreiben, habe mit dem nächsten Roman begonnen. Auch ist die Gegend interessant, teilweise grandios, durch den Vulkan bekommt sie etwas Besonderes. Vielleicht war ich auch nicht ganz so aktiv, weil ich weiß, dass Nina bald herkommt und wir Catania sicher noch etwas eindringlicher erkunden werden. In jedem Fall habe ich ein kleines Problem. Nina denkt, dass ich sie nicht hier haben möchte. Natürlich weiß sie nichts vom Weihnachtsgeschenk, ist völlig deprimiert, was sich bei ihr in nicht ganz einfach zu ertragender Wut äußert. Ich muss trotzdem still bleiben, darf nichts verraten, sonst ist es ja keine Überraschung mehr. Es wird hart, denn eigentlich möchte ich ihren Schmerz mindern, sofort und ohne Aufschub. Ich weiß noch nicht, vielleicht wäre es sogar besser. Weihnachten hin- oder her, Schmerzen sollte man vermeiden, vor allem, wenn sie unnötig sind. Ich werde entscheiden, wenn ich das nächste Mal telefoniere. Vielleicht ist dann das Herausrücken mit der Wahrheit auch reiner Selbstschutz, um nicht den geballten Ärger abzukriegen. Männer sind schon Schwächlinge. Besonders ich.

Heute ist Wintersonnen-Wende. Der kürzeste Tag des Jahres, der aber gleichzeitig den Umbruch markiert. Vor genau einem halben Jahr war ich mit Nina in der Provence, wir genossen die Helligkeit, die dort nie zu enden schien. Jetzt ist es natürlich anders, auch wenn es hier nicht so schlimm ist wie anderswo. In Berlin geht die Sonne zum Beispiel eine Stunde später auf und eine Stunde später unter. Es ist eine düstere Stadt, besonders im Winter, unangenehm und, wie es aussieht, auch extrem kalt. Hier kann ich mich im Moment nicht beschweren. Heute saß ich in der Sonne, spürte die Hitze, wenn auch nicht für lange Zeit. Das ist nicht schlecht für Weihnachten. Noch spüre ich nichts, keine Festlichkeit oder Melancholie. Es wäre aber nicht schlecht. Fühlt man sich nicht immer so zu Weihnachten? Wir werden sehen, es sind ja noch drei Tage.

Morgen ist wieder Reisetag. Wohin es gehen soll, werde ich spontan entscheiden. Zur Auswahl stehen Syrakus und ein recht winziges Bergdorf. Letzteres reizt mich natürlich ungemein. Wir werden sehen.
Im Moment habe ich keine Energie, diese Reise in irgendeiner Weise weiter zu planen. Letztlich bin ich hier in einer Sackgasse, was mir immer bewusster wird. Auch weiß ich nicht, ob ich Lust habe, diese wirklich mit einem Übersetzen nach Afrika zu überwinden. Bin ich genug gereist? Habe ich zu viel getan oder wirklich einfach nur das Maß vollgemacht? Zumindest für den Moment? Vielleicht habe ich auch gelernt, ruhiger zu sein, nicht immer wie ein Berserker in der Gegend herumzufahren. Das wäre natürlich eine Errungenschaft dieser Reise. Jetzt denke ich darüber nach, nach Hause zu fahren. Aber wenn ich dann in Berlin stecke, nicht aus der Wohnung komme, weil überall Eis und Schnee liegt, würde ich das sicher bereuen. Es wird eine sehr schwierige Entscheidung, den richtigen Moment zu finden, den Augenblick, wenn ich zufrieden bin und nicht das Gefühl habe, etwas mit Gewalt abgebrochen zu haben. Noch allerdings möchte ich den Moment hinauszögern, wenn etwas vorbei ist, ist es vorbei. Da hilft dann kein Jammern.
Erst einmal kann ich das Fest abwarten. Und heute die Wintersonnenwende feiern.
Wohl bekomm’s.