Nafplio

Ich komme langsam auf den Geschmack. Zumindest was das Baden im Meer betrifft. Heute wagte ich es schon wieder und wieder stellte es sich als perfekte Abkühlung heraus. Ich muss das wirklich öfter machen.

Verdient hatte ich es allemal. Dieser Sonntag war einer der regeren, wie schon der letzte in Olympia ruhte ich mich nicht aus. Heute wollte ich nach Nafplio, durch das ich gestern so schnell durchgefahren war. Ich schätzte die Entfernung auf ungefähr 12 Kilometer, eine Distanz, die ich mir mit dem Rad gerade so zutraute, auch wenn es durch bergiges Terrain ging. Bis Drepano lief das Rad beinahe ständig bergab, ein zweischneidiges Schwert, denn irgendwann müsste ich den Hügel wieder hinauf. Aber das hatte Zeit, erst einmal wollte ich in die Stadt. Ich war recht erstaunt, wie verhältnismäßig fit ich noch war, wenn man bedenkt, dass ich mich so lange Zeit nicht sportlich betätigt hatte und mich die Krankheit vor zwei Wochen ziemlich geschwächt hatte. Trotz einiger flacher Steigungen kam ich gut voran, die Muskeln taten auch nicht weh. Nichts dergleichen, es war eine ruhige Fahrt.

Bei meiner Ankunft in Nafplio war ich sofort überrascht. Auf der Durchfahrt gestern war es mir ein wenig langweilig vorgekommen, doch ich merkte bald, dass ich nur den nicht ganz so hübschen, wenngleich praktikablen Speckgürtel mit Wohnhäusern und jeder Art von Geschäften gesehen hatte. Nur einige Meter in Richtung Zentrum begann ein hübscher Park, geometrisch angelegt, dem ich einfach nur folgte, nachdem ich das Rad angeschlossen hatte. Schon jetzt konnte ich die beeindruckende Burg sehen, die auf einem Hügel über der Stadt liegt. In meinem Rough Guide steht etwas von ungefähr 900 Stufen (!), die man erklimmen muss, um dorthin zu gelangen. Ich schob die Entscheidung auf, ob ich Lust hatte, mir das anzutun. So begann ich meinen Rundgang durch die Stadt. Ja, es ist eine Stadt, keine Frage. Das erste Mal seit Durres, dem unglückseligen Ort, der mich mit einer Salmonellenvergiftung oder so etwas Ähnlichem gestraft hatte. Es war ein erhebendes Gefühl, nach so vielen Tagen auf dem Lande, so möchte ich es bezeichnen, wieder an einem Ort zu sein, an dem Menschen sich entschieden haben, gemeinsam zu leben, und zwar eine angemessene Menge an Menschen. Ich fühlte mich beim Schlendern an die Kykladeninsel Syros erinnert, die ganz ungewöhnliche Architektur für diese Gegend aufweist, weil sie wirtschaftlich erfolgreicher war als seine zahlreichen Nachbarn: Gutbürgerliche Häuser mit ansprechenden Fassaden, zwei oder drei Stockwerke hoch, nicht also die weiß getünchten Bauten wie in Paros oder Naxos. Hier also auch, die erste Hauptstadt Griechenlands nach der Unabhängigkeit war im 19. Jahrhundert von gut betuchten Bürgern bewohnt. Die Straßen zogen sich wie auf dem Reißbrett entworfen durch die Stadt, überall blühten Blumen, die Häuser übergreifend die Fassaden schmückten. Es herrschte eine ungemein heitere Atmosphäre und ich empfand es als herzerfrischend, einfach durch Nafplio zu schlendern. Irgendwann kam ich auf dem Hauptplatz an, prächtig, prächtig, ein venezianisches Bürgerhaus, in dem sich übrigens auch das archäologische Museum befindet, zierte die gegenüberliegende Seite, überall sah ich schöne, hohe Wohnhäuser. Wie üblich war der Platz mit zahlreichen Restaurants und somit Terrassen belegt, die zum Lunchen einluden. Ich widerstand, denn ich habe eine Entscheidung getroffen. In den nächsten Tagen werde ich an vielen Sehenswürdigkeiten vorbeikommen, die sehr berühmt und daher auch sehr teuer sind. Ich leiste mir lieber den Eintritt und verzichte auf die einfache, wenn auch leckere griechische Küche. Es ist ein leichter Entschluss, denn mein geistiger Hunger war immer größer als mein physischer. So also schaute ich mir diesen Platz an, der es mit jedem italienischem an Heiterkeit und Charisma aufnehmen kann. Ich lief weiter zur Uferpromenade, im Hafen lagen einige Fischerboote, manche waren gerade mit ihrem Fang wiedergekehrt. Sicher werden sie diesen jetzt den verschiedenen Restaurants anbieten, die es hier ebenfalls in großer Anzahl gibt. Was mir etwas weh tut, ist die Tatsache, dass Kaffee in Bars hier so teuer ist. Drei Euro kostet im Durchschnitt ein Espresso, das ist für ein Pfützchen Koffein viel zu viel. Erst einmal dachte ich also nicht einmal daran. Aber an das archäologische Museum schon, denn das empfahl mir der Rough Guide wärmstens. Es ist recht übersichtlich, mit zwei großen Sälen, doch die Anzahl der Ausstellungsstücke ist in dieser Hinsicht gewaltig. Es ist ein modernes Museum, das einen durch die Zeit führt. Ich weiß nicht, was ich gedacht hatte, aber mir wurde erst hier bewusst, auf was für einem historischen Land ich wandle. Menschen besiedelten diese Gegend seit Zehntausenden von Jahren, lebten erst in Höhlen, später in Dörfern, dann entstanden die großen Städte. Die meisten Funde sind übrigens Grabbeilagen, so können wir uns heute ein Bild von den Menschen machen. Schon erstaunlich, vielleicht sollten wir auch unseren Totenkult wieder umstellen, damit wir es späteren Kulturen ermöglichen, unsere Gewohnheiten zu erforschen. Vielleicht legen wir unseren Verstorbenen CDs bei oder auch Sticks mit Fotos oder Filmen. Wäre doch mal einen Gedanken wert.
Im Museum sind vor allem Tonwaren ausgestellt, prächtige Pötte in jeder Größe und Form, auch Votivfiguren, selten auch Schmuck. Schon eigenartig, was eine Anziehungskraft doch Gold hat. Wenn immer ich eine Vitrine sehe, in der auch nur ein einziges goldenes Schmuckstück ausgestellt ist, wandern meine Augen sofort dorthin. Das ist tief verankert und ich glaube, dass diese Faszination, die Gold auf mich ausübt, Gründe oder Ursachen hat, die weit in mein Wissen aus längst vergangenen Leben zurückreicht. Es hat eben auch diesen Glanz, selbst nach Jahrtausenden vergeht er nicht, so wie bei Bronze oder Eisen, die beide unansehnlich und hässlich werden, so sehr sie auch einst geglänzt haben mögen.

Aber auch die Vasen und Pötte waren interessant, wieder tauchte ich in die längst vergangene Welt von vor 15 Jahren ein, beschäftigte mich wieder mit den verschiedenen Stilen, sah die geometrischen Formen aus der Zeit des Chaos, die zwischen der mykenischen und der klassischen Zeit lag, dann die Wiederauferstehung der Bemalung, erst krude Figuren, dann immer feinere schwarzfigurige bis hin zu den lebendigen Gemälden in roter Farbe, die für den Beginn der Glanzzeit Athens stehen.
Ebenfalls beeindruckte mich eine Rüstung aus mykenischer Zeit, im Film „Troy“ ist sie etwas abgewandelt ebenfalls zu sehen. Menelaos trägt sie, soweit ich mich erinnern kann.
Oben sah ich mir noch einen Film an, netterweise auf Englisch, der mir den Querschnitt durch die Zeit, angefangen von der Steinzeit bis zur Eisenzeit nochmals grafisch vor Augen führte. Wie gesagt, erst jetzt verstehe ich, dass ich mich auf uralten Boden der Menschheitsgeschichte befinde. Hier sind die Ideen geschaffen worden, die unser modernes Europa so beeinflusst haben. Es mag Menschen geben, die das bezweifeln, denn die Griechen selbst waren sicher keine Europäer, schon skeptisch gegen die Bewohner anderer Stadtstaaten. Doch die Ideen, die sie hatten, beeinflussen noch heute unser Denken. Und das über die Jahrhunderte hinweg.

Ich habe mich in dem Museum sehr lange aufgehalten, warum auch nicht. Als ich später am Fuße des Berges stand, die unzähligen groben Stufen zum Kastell vor mir, verspürte ich keine Lust darauf. Ich bin schon so viele Berge hochgestiegen, erst vor wenigen Tagen in Mistra, heute wollte ich nicht. Ich folgte meiner Stimme und habe es bis jetzt nicht bereut. Stattdessen setzte ich mich in eines dieser vielen, einladenden Cafés und gönnte mir ein Frappé, an das ich mich gewöhnen könnte. Über zwei Stunden saß ich hier, erfrischte mich dann und wann mit einem Schluck eisgekühlten Kaffees, dessen Stärke mich übrigens jedes Mal an meine koffeintechnischen Grenzen führt, und kämpfte mit der Fortsetzung des Romans. Ich siegte und stellte fest, dass das Kämpfen mit bestimmten Stellen durchaus die Qualität erhöht. Aber das ist eine Erfahrung, die ich schon oft gemacht habe, ein echter Kampf mit einem würdigen und verständigen Gegner mit einem erkämpften und somit geprüften Resultat am Schluss erhöht die Qualität der Arbeit. Egal in welchem Bereich. Was allerdings kontraproduktiv wirkt, sind Machtspiele, aber das sind keine Kämpfe, sondern dumme Spielchen von dummen Menschen. Meine Meinung.
Am Schluss wanderte ich wieder durch die Stadt, verabschiedete mich. Es war ein schöner Tag, und als ich mich wieder aufs Rad schwang, fuhr ich wesentlich bedächtiger und ehrfurchtsvoller durch die Landschaft. Wenigstens kann das als Ausrede für die lange Fahrt gelten, die wesentlich anstrengender schien als die Hinfahrt. Den letzten Kilometer schob ich, weil ich mit der Steigung nicht zurechtkam.
Und am Ende stand ein Bad im Meer. Was für ein Abschluss. Würdig, besonders hier.