Fahrt nach Kavala

Es war Zeit abzureisen. Das stand im Grunde bereits gestern Abend fest. Es war kein ganz leichter Tag, denn wieder empfand ich so etwas wie Verschleiß. Nicht nur Müdigkeit, die von zu vielen Eindrücken herrührt. Nein, es ging um mehr. Ich machte mir das erste Mal wirklich ernsthafte Gedanken darüber, ob ich genug habe oder nicht. Seit einem halben Jahr bin ich nun unterwegs, alleine entdeckte ich Marokko und einen großen Teil Südeuropas. Ich lernte eine Menge Menschen kennen, auch wenn ich die meist oberflächlichen Begegnungen hier selten erwähnt habe. Doch in den letzten Tagen, in denen sich der Herbst ankündigt, in denen das Licht dunkler wird, die Nächte länger werden, spüre auch ich die Einsamkeit. Es ist eine Zeit, in der alles ein wenig mühsamer ist. Ich werde keine raschen Entscheidungen treffen, aber sollte ich merken, dass es so nicht weiter geht, werde ich eine Pause einlegen und vielleicht nach Berlin zurück kehren.
Heute Morgen jedenfalls begann ich den Tag anders als sonst. In aller Ruhe machte ich den Camper abfahrbereit, dann setzte ich mich zu einer Arbeitssession hin, anstatt wie üblich loszufahren. Zwei Stunden werkelte ich an der Geschichte herum und muss gestehen, dass ich an einem Punkt so weit war, sie einfach zu löschen und mich auf Jobsuche zu begeben. Das ist natürlich Unsinn, aber in diesen Textpassagen habe ich mich oft noch sehr vage ausgedrückt. Es war der Anfang und die Story zeigte sich noch nicht so ausführlich. Auch moserte ich an manchen Formulierungen herum. Letztlich ist es nun einmal so, aus der Entfernung sieht man das besser, ist nicht so selbstverliebt, was sicher die größte Überwindung ist, wenn man schreibt. Ich schaffte in dieser ganzen Zeit, in der ich nicht einmal den Kopf hob, um mich umzuschauen, gerade einmal drei Seiten, was beinahe bedeutet, dass ich den ganzen Absatz wahrscheinlich völlig umgeschrieben habe. Sei es drum. So ist es nun mal.

Erst danach fuhr ich ab, mein Kopf brummte, so intensiv war die Arbeit gewesen, an die ich mich anscheinend noch lange nicht gewöhnt habe. Nachdem ich getankt und eingekauft hatte, war es bereits eins. Doch eines war relativ neu heute, ich konnte die ganze Strecke auf der Autobahn fahren, die mautfrei ist. Dass ich so etwas noch erleben durfte. Mein Ziel hieß Kavala, die letzte größere Stadt vor Istanbul. Die 200 Kilometer schaffte ich in etwas mehr als drei Stunden, nicht also wie sonst sechs, das war sehr angenehm. Unterwegs begann es immer wieder zu regnen, wie auch nachts und heute Morgen. Es sah kaum mehr aus wie in Griechenland, die Berghänge waren dicht von Laubwald bedeckt, der sich kaum merklich bereits verfärbt.
Mir wurde wieder einmal bewusst, dass ich sehr viel ausgelassen hatte. Chalkidiki lag hinter mir, dabei hatte ich es nicht einmal angekratzt. Das Mazedonien Phillips des Zweiten und Alexanders habe ich nicht gesehen, ebensowenig wie den Berg Athos. Wenn ich auf die letzte Woche zurückschaue, hat sich meine Reise etwas verwässert, ist lange nicht so intensiv wie am Anfang. Werde ich zu müde? Sehe ich eigentlich die Schönheit um mich herum noch? Es sind schwierige Zeiten, auch wenn ich keine vorschnelle Entscheidung treffen möchte. Vielleicht geht es mir nach einem Telefonat mit Nina heute Abend etwas besser. Ich vermisse sie sehr, etwas, dass ich mir normalerweise nicht erlaube, denn niemals werden meine Leidenschaften es fertigbringen, mich zu kontrollieren.
Trotzdem sehe ich mir morgen die Stadt an, werde eine Türkei-Karte kaufen und mich langsam auf das Land vorbereiten, das in Deutschland einen so großen Teil der Einwohner stellt. Denn Nina treffe ich am 30.10. in Antalya, so viel steht fest. Vorher werde ich nicht umdrehen. Vielleicht danach, aber das werden wir noch sehen. Ihren Urlaub dort werde ich nicht durch meine Schlaffheit gefährden.