Rethymno, Museum of Contemporary Art und Archäologisches Museum

Die erste Nacht im Zelt.
So etwas ist immer ein wenig gewöhnungsbedürftig, wie ich aus Erfahrung weiß.
Was mich Nachts gewundert hat: Es war ungewöhnlich kühl. Der Campingplatz besteht eigentlich aus einem Bambushain, der ab und zu durch Wege und Stellplätze durchbrochen ist. Tagsüber Schatten, nachts dadurch wahrscheinlich relative Kühle. Auch war es natürlich sehr feucht, das Meer liegt nur ein paar Schritte entfernt.
Natürlich ist es zu dieser Jahreszeit dunkler als beispielsweise im Juni. Trotzdem erwachte ich gegen halb sieben, der Mond stand noch voll am Himmel.
Erst einmal einen Kaffee, dachte ich mir und holte meine Sea-2-Summit-Tasse, ein faltbares Gerät, das ich mir mal geleistet hatte, aus dem Campingtopf, der alles für die Küche enthält. Sah ich dort Licht, wo keines sein sollte? Ich klappte die Tasse auf und hielt zwei Teile in der Hand.
Unfassbar. Auch das war also während der dreijährigen Camping-Pause kaputtgegangen. Jetzt hatte ich ein Dilemma. Keine Tasse und keine Campingplatzküche, in der ich so etwas hätte finden können. Trotzdem sah ich einfach mal im Raum für den Abwasch nach. Tatsächlich entdeckte ich einen Tonkrug, den ich ausborgen konnte.
Das Problem ist nicht so sehr, in Berlin einfach eine neue Campingtasse zu kaufen, es besteht darin, dass ich es jetzt irgendwie lösen muss. Mir wird schon etwas einfallen.
Nach der Tasse Kaffee fühlte ich mich besser.
Also Yoga. So wie jeden Morgen.
Meine Reisematte wollte ich hier nicht ausrollen, stattdessen ging ich mit meinem Strandtuch zum … klar, zum Strand. Und dort dann versuchte ich mich mit ein paar Sonnengrüßen. Wackelig, aber nett. Ich war vollkommen alleine, hatte fast den ganzen Strand für mich. Einzigartig. Das mache ich hier wieder. Auch wenn die Asanas vielleicht nicht so perfekt aussehen, aber das tun sie wahrscheinlich sowieso nicht. Das Problem am Strand ist die Balance, aber das ist ganz gut. Als Schwindel-Mensch muss ich sowieso daran arbeiten.
Gegen halb neun machte ich mich mit dem Rad erneut auf in Richtung Altstadt. Dieses Mal wusste ich ja, wo ich hingegen musste. Fünf Kilometer sind mit dem Rad wirklich keine Entfernung, es dauert nur ein paar Minuten, zumal die Strecke direkt am Meer verläuft. Noch war kaum etwas los, die Restaurants und Cafés hatten aber schon alle auf. Die Touristen ließen aber noch auf sich warten.
Ich kannte mein Ziel, heute war Museumstag.
Als Erstes suchte ich das Museum for Contemporary Art. Es ist ein Steckenpferd, in vielen Städten suche ich es auf, in der großen Hoffnung, irgendwann einmal Zugang zur Kunst des 21. Jahrhunderts zu finden. Es ist nicht leicht.
In dem Gewirr der Gassen fand ich es nicht sofort, doch ein Stadtplan an einer Kirche half mir schließlich. Weit weg war es nicht.
Es ist in einer alten Lagerhalle untergebracht, soweit ich das richtig verstanden habe. Sehr passend. Tatsächlich scannte der Rezeptionist mein Impfzertifikat, wahrscheinlich in Ermangelung einer anderen Möglichkeit, sich zu beschäftigen. Ich war und blieb der einzige Gast im Museum. Groß ist es ohnehin nicht.
Mir fällt es schwer zu beschreiben, was ich gesehen hatte. Fotografien, Aquarelle, Papier. Jede Menge Papier, das Hautthema der Ausstellung. Auch an diesem Tag fand ich keinen Zugang zur zeitgenössischen Kunst. Es ist schwierig. Ein Dozent von mir sagte einmal, dass man sich mit der Kunst beschäftigen muss, will man sie verstehen und lieben. Ich weiß nicht, ob er recht hatte. Ich verstehe sie teilweise schon, es ist ja oft nicht so, dass mir die Botschaft der Künstler nicht ins Gesicht schreit. Aber trotzdem finde ich diese Kunst nur sehr selten schön. Oder würde sie überhaupt als Kunst identifizieren. Was ich aber zum Beispiel bei meiner Beschäftigung mit dem Bauhaus gelernt habe, ist, dass ich mich, wenn ich mich lange einlese, die Kunst zu schätzen lerne. Ich kann sie einordnen, in den künstlerischen, geschichtlichen, gesellschaftlichen Kontext. Aber ist das wirklich ehrlich? Müsste nicht ein Mensch Kunst für sich erkennen können, auch wenn er nicht weiß, worum es sich handelt? Ein Werk, das einen anzieht und man nicht weiß warum? Weil es eine Tür in einem öffnet, Fragen stellt, die man sich selbst nicht traut zu beantworten? Das ist eine Schwierigkeit, über die ich im Moment kaum hinwegkomme. Früher war es leichter, früher scheine ich Dinge anders betrachtet zu haben. Eher mit dem Herzen. Aber jetzt kommt eben der Verstand hinzu. Und das ist der Tod der Kunst, denn mit dem Verstand lässt sie sich unmöglich erklären. Finde ich zumindest.

Nach einer halben Stunde war ich praktisch durch. Es war gerade einmal elf Uhr. Zu früh für Lunch, zu früh, um zum Platz zurückzufahren und im Meer zu schwimmen. Also warum nicht ein weiteres Museum ansehen?
Vor drei Tagen hatte ich das archäologische Museum in Heraklion besucht. Und heute das in Rethymno. Auch das suchte ich erst einmal. Gestern war ich vorbeigekommen, aber die Altstadt ist ein kleines Rätsel, das sich nach zwei Tagen hier trotzdem langsam zu lüften beginnt. Ich beginne langsam, es zu verstehen, was nicht heißt, dass ich alles finde.
Aber dank Navi war es kein Problem. Als ich es anschaltete, stellte ich fest, dass ich mich keine 50 Meter entfernt davon befand. Schön.
Es ist in einer ehemaligen Kirche untergebracht. Der Raum besteht nur aus einem Schiff, ist hoch, mit hölzerner Kassettendecke. Anders als in anderen Kirchen ist es wunderbar hell. Das Museum besteht nur aus diesem einen Raum, der in der Mitte durch hohe Vitrinen geteilt ist. Und es ist praktisch ein kurzer Abriss zur Geschichte Kretas und dieser Region. Eine nette Ergänzung zu dem größeren Museum in Heraklion.
Es beginnt in der Steinzeit, geht dann relativ schnell über in die Bronzezeit und damit natürlich zur minoischen Kultur. Die Zeitsprünge sind naturgemäß bei dieser Größe relativ abrupt, aber trotzdem zu verkraften. Alles wird abgehandelt, minoische, mykenische, archaische Zeit, dann die klassische Antike, wobei sich Kreta aus dem Ungemach der Perserkriege und später dem peloponnesischen Krieg herausgehalten hat. Die Römer dann haben die Insel aber erobert und eingemeindet. Zu wichtig war sie offensichtlich für den Handel zwischen Orient und Okzident. Auch die Araber waren später da, dann die Byzantiner, schließlich die Venezianer. Und hier hört die Ausstellung dann auf. Mit der türkischen Eroberung, die mit keinem Wort erwähnt wird. Ist das falscher Stolz und unsäglicher Nationalismus? Oder ein Trauma, über das die Griechen noch nicht hinweg sind, liegt doch diese Epoche gerade einmal 150 Jahre zurück? Ich weiß es nicht.
Dabei sieht man im Stadtbild so viele türkische Häuser, neben modernen und venezianischen (soweit ich das beurteilen kann). Trotzdem kann ich das Museum wärmstens empfehlen, es ist ein schöner, interessanter Abriss, nicht zu lang und ermüdend, gerade richtig, um sich dieser Region auch geschichtlich zu nähern. Und mit einem Preis von vier Euro nun wirklich nicht teuer. Aber auch hier galt am Anfang: Impfpass zeigen. Das wird hier ernst genommen. Sogar in dem Café, wo ich sitze, hat die Besitzerin mich gefragt, ob ich geimpft wäre. Aber sie hat mir geglaubt, ohne dass ich ihr den Impfpass zeigen musste.
So, kulturell habe ich also heute schon einiges erlebt.
Ich frage mich allerdings, wann ich wirklich hier ankommen werde. Ich erinnere mich an früher, an die freudige Erwartung, die irgendwann begann, wenn ich irgendwohin reiste. Zwar beschäftige ich mich mit den Orten, an die ich fahre, aber es will partout keine Leidenschaft einsetzen. Vielleicht ist es das einsetzende Alter. Vielleicht kommt es nicht mehr dazu. Das wäre allerdings ein Umstand, den ich wirklich bedauern würde. Denn ich würde es nicht als altersbedingte Gelassenheit bezeichnen, sondern als schnöde Gleichgültigkeit. Ich fürchte mich ein wenig davor. Denn die Gleichgültigkeit steht dem Leben diametral entgegen. Vielleicht kann ich an der Freude arbeiten und sie wieder lernen. Und die Leidenschaft. Es wäre ein Jammer, wäre sie mir ein für allemal abhandengekommen.