Plitvice

Der Sommer will sich nicht so recht einstellen, zumindest ist er launisch. Trotz der relativen Kühle und der dunklen und bedrohlichen Wolken beschloss ich, den Nationalpark Plitvice zu besuchen. Doch wieder kämpfte ich mit einer Entscheidung: Bus oder Fahrrad. Ich schätzte den Weg dorthin auf ungefähr sieben Kilometer, also durchaus eine annehmbare Strecke. Den Bus verpasste ich letztlich, wobei ich annehme, dass ich das herbeigeführt habe. Vielleicht wollte ich mich einmal wieder testen. Ich zögerte eine ganze Weile, bis ich mich wirklich aufs Rad schwang, denn das Wetter drohte umzukippen. Irgendwann hatte ich genug, es regnete nicht, also wollte ich es wagen.
Von Anfang an ging es aufwärts, immer nur einige Grade, also nicht so viel, um aufzugeben. So fuhr ich dahin, nicht sehr schnell, aber recht gut vorankommend. Schon zu Beginn wiesen mich die Schilder darauf hin, dass aus den sieben Kilometern Elf geworden waren. Auch das fand ich nicht so schlimm, doch dann stiegen die Grade und ich spreche nicht von den Temperaturen. Wenige Kilometer vom Eingang zum Park entfernt wurde es so schmerzlich, dass ich abstieg und schob.
Wer schon einmal ein Fahrrad auf diese Weise über mehrere Kilometer den Berg hinauf befördert hat, weiß auch, was es bedeutet. Meine Schultermuskulatur ist inzwischen enorm entwickelt und das liegt nicht nur an den morgendlichen Liegestützen. Trotz kühlen Wetters kam ich schweißgebadet an, die hohe Luftfeuchtigkeit forderte ebenfalls ihren Tribut.

Eines konnte ich sofort sagen: Ich war nicht der Erste. Eine Schlange von sicher Hundert Metern erwartete mich, mir schwante nichts Gutes. Ein überfüllter Nationalpark war das Letzte, was ich mir wünschte, aber wer denkt da schon anders? Menschen aus vielen europäischen Ländern waren vertreten, ich denke, das machte es zu einem stillen Volksfest. Geduldig und gut gelaunt warteten wir alle, es ging auch relativ schnell voran. Es würde auch noch schneller gehen, wenn die Kassierer effizient arbeiten würden. Aber was geht mich das an. Letztlich kostete mich der Eintritt 110 Kuna, also ungefähr 15 Euro, ich hatte beinahe schon mehr erwartet.
Meinen Wanderstock auf den Schultern konnte ich den Stolz der Kroaten nach ca. 20 Minuten betreten.
Der erste Blick entschädigte mich bereits für alle Mühen. Unter mir glitzerte die Schlucht bläulich-grünlich, nicht weit entfernt donnerte einer der größten Wasserfälle hinunter, den ich je gesehen hatte. Überall floss Wasser, manchmal fiel es weit, manchmal nur wenige Zentimeter. Wie es ist, konnte ich nicht schnell genug nach unten kommen, so etwas reizt den Reisenden in mir ungemein. Auf Holzstegen, Hunderte von Metern lang, läuft man über die Lagunen, die immer in anderen Blautönen schillern. Die Gewässer sind fischreich, die Tiere sind Feinde anscheinend nicht gewohnt, denn die tummeln sich dicht unter der Oberfläche des glasklaren Wassers in Erwartung von Brotkrumen, die die Besucher ihnen in Mengen geben. Die Pfade aus Holzplanken sind urig, mitunter etwas glitschig, so dass ich froh war, meine Wanderschuhe angezogen zu haben. Damit stand ich allerdings ziemlich allein da, denn meist sah ich Badeschlappen. Unglaublich, worin Leute wandern gehen, aber letztlich war ich derjenige, der einen festen Tritt hatte. Auch damit stand ich allein da.
Der Wasserfall, den ich von oben gesehen hatte, ist der Längste in Kroatien. Laut Beschreibung war er nicht einmal in bester Verfassung, während der Schneeschmelze muss es ein gewaltiger Anblick sein, wenn der Wassernebel ihn einhüllt und es statt des Beinahe-Rinnsals ein wahres Ungeheuer sein muss. Aber auch so war es beeindruckend.

Ich lief weiter, eigentlich immer den Menschen nach. Es ging noch einigermaßen, doch das einsame Wandern, das ich so liebe, war es natürlich nicht. Trotzdem, die Farben der Seen waren berauschend, die hier auf unterschiedlichen Ebenen kaskadenförmig entstanden sind. Es ist ein echtes Schauspiel, völlig natürlich und die Kroaten machen einiges, um die Gegend so zu erhalten. Baden ist verboten, Campen und Fischen ebenfalls. Ich lief immer weiter am Wasser entlang, bis ich auf einen der Ausflugsziele stieß. Hier erst bemerkte ich, wie viele Besucher wirklich da waren. Zu Hunderten bevölkerten sie die Wiesen, doch das Cateringsystem des Parks funktioniert. Es gibt Fast-Food, vorgekocht, und die Bedienung ist recht schnell. Hier trank ich meinen ersten Espresso. Trotz der sehr schwierigen Hinfahrt hatte ich genug Reserven, um noch viele Kilometer zu wandern. Ich schiebe das einfach auf meine immer besser werdende Kondition, trotz Anstrengungen erhole ich mich relativ schnell wieder.
Hier an diesem Ziel fuhr eine Fähre über den See. Ich stellte mich an, merkte aber rasch, dass italienische Verhältnisse herrschten. Also Traubenbildung statt Schlange, ich komme damit inzwischen gut zurecht. Immer einfach nach vorne schummeln, besonders wir Alleinreisende haben einen gewaltigen Vorteil dabei. Mir fiel auf, wie viele Familien mit Kindern jeden Alters unterwegs waren. Ich hätte Angst, weil die Pfade oft sehr schmal sind und auch häufig nicht so fest sind, wie sie erscheinen. Zumindest nicht, wenn Dutzende von Menschen gleichzeitig darauf laufen.
So jedenfalls kam ich – dicht gedrängt zwischen den anderen Besuchern, deren Ausdünstungen nicht sehr angenehm waren – zu einer Dampferfahrt über einen der Seen. Als wir ankamen, ging es weiter, immer wieder zu anderen Seen, zu kleineren oder größeren Wasserfällen. Es war wirklich sehenswert. Bei dieser Gelegenheit konnte ich das Stauverhalten beobachten. Irgendwo vorne entschied sich jemand stehen zu bleiben, um ein Foto zu schießen. Der Hintermann, der eigentlich hätte vorbeigehen können, bemühte sich auch, vorbei zu kommen, aber just in dem Moment, als er direkt neben dem Fotografen stand, neugierig wurde und auch stehen blieb, um zu sehen, was denn so interessant war. Jetzt kam die Schlange natürlich zum Stocken und blieb unbewegt, selbst als das anfängliche „Hindernis“ schon lange weiter gelaufen war. Ich habe dabei nicht sehr viel Geduld, hier nicht, auf Autobahnen auch nicht. Wenn Leute langsam genug fahren, um eine Panne oder einen Unfall anzusehen, dabei nicht merken, dass der Rückstau gewaltiger ist als sie denken.
Der Effekt hier war ähnlich, zumal immer mehr Leute in den Park drängten. Trotz der Tatsache, dass ich auf immer ausgefalleneren Wegen wandelte, immer wieder traf ich auf diese Erscheinungen. Mittlerweile kamen wir trotz diszipliniertem Laufen nur noch im Schneckentempo voran, es war einfach zu voll. Als ich an der vierten Station, also ganz hinten im Park ankam, merkte ich auch warum. Es gab eine Busverbindung, die gekonnt die Leute überall an verschiedene Stellen im Park verteilte. Deshalb waren auch an den am weitesten entfernten Orten so viele Besucher.

Ich jedenfalls hatte genug. Vier Stunden hatte ich hier verbracht, nun wurde es zu voll. Ich nahm ebenfalls den Bus oder besser Tram, eine von einem 4×4-Fahrzeug gezogene Schlange aus Abteilen. Bald schon war diese völlig überfüllt, die Leute zwängten sich in jede Ritze der Waggons. Es roch wie in der Londoner Metro bei seltenen 35 Grad, kaum auszuhalten. Dennoch gelangte ich so relativ schnell wieder an meinen Ausgangspunkt zurück. Die Tour zurück ging wesentlich flotter, weil ich natürlich die meiste Zeit hinunter fahren konnte.
Als Fazit würde ich sagen, dass sich ein Besuch in jedem Fall lohnt, nur nicht zu dieser Jahreszeit. Um die Wasserfälle und Kaskaden noch eindrucksvoller zu sehen, ist wahrscheinlich die Schneeschmelze der beste Zeitpunkt. Dann sind sicher auch nicht so viele Besucher da und es ist außerhalb der Saison wesentlich günstiger. Ich jedenfalls bereue es trotzdem nicht, hier gewesen zu sein, denn es ist wirklich ein Spektakel der besonderen Art.

Auf dem Platz angekommen merkte ich zu meiner Überraschung, dass das Internet wieder funktionierte. Ich nutzte es, um wirklich zu recherchieren, denn morgen verlasse ich Kroatien schon wieder. Bosnien ruft, ein für mich völlig unbeschriebenes Blatt und damit vielleicht ein echtes Abenteuer. Wir werden sehen. Ich freue mich darauf wie immer, wenn etwas Neues ansteht. Es ist Zeit, dass dieses Land mehr Aufmerksamkeit bekommt, denn es hat den Hauptteil des Kriegsschadens zu tragen gehabt. Eigentlich ungerecht, dass es noch nirgends auf den Touristenkarten zu finden ist. Einen Rough Guide oder Lonely Planet gibt es jedenfalls noch nicht.
Wird Zeit, dass ich komme und schreibe.