Albenga

Ich hatte mir vorgenommen, an diesem Tag bis Genua zu fahren, also im Grund genommen fast die gesamte ligurische Küste an einem Tag zu nehmen. Das funktionierte aber nicht. Trotz der Tatsache, dass ich es bereits kurz nach neun fertiggebracht hatte, zur Abfahrt bereitzustehen, waren die Götter der Reise nicht mit mir. Ich schaffte es zwar mit etlichem Stop and Go aus Bordighera hinaus, doch als ich das endlich geschafft hatte, holte mich der San Remo-Berufsverkehr ein, bzw. er ging mir voraus. In den nächsten zwei Stunden schleppte ich mich gerade 15 Kilometer voran, die Sonne brannte bereits mit über 30 Grad auf den Camper und mich, dieses Mal war ich froh, Nina bereits in Berlin in einem wohltemperierten (herrliches Wort :-)) Büro zu wissen, denn selbst ich musste zugeben, dass diese äußeren Umstände an meinen Reserven nagten. Ich spielte zwischenzeitlich mit dem Gedanken anzuhalten und zu campieren, doch wirkte die Gegend reizlos. Ressort nach Ressort, eines schlimmer als das andere, die Strände voll mit strategisch aufgereihten Sonnenschirmen und Liegen,. Also keine besonders freundliche Atmosphäre, zumindest nicht für mich. Wenigstens der französische Glamour hatte aufgehört, ziemlich genau nach der Grenze übrigens. Es ist schon erstaunlich, die Reichen bleiben anscheinend auf der französischen Seite, während die Stinos kurz vorher in Ligurien stecken bleiben. Warum weiß ich nicht, vielleicht ist das Hinterland interessanter, die Strände sind es nicht, finde ich zumindest.

So schleppte ich mich dahin, selbst nach dem Stau ging es nicht sehr schnell voran. Dann erblickte ich – wie aus dem Nichts – eine Altstadt von Weitem, die interessant aussah. Mittlerweile war es bereits 13 Uhr, die Hitze wurde langsam kräftezehrend. Plötzlich sah ich ein Schild, Camping Bella Vista. Sehr anziehend. Ich setzte den Blinker und ganz nach italienischer Art zog ich nach links. Die Autofahrer mögen das hier.
Was mich dazu gebracht hat, hier einfach meine Zelte aufzuschlagen, weiß ich nicht, es war eine Eingebung, Intuition, und jetzt verstehe ich auch warum. Die Mittagsstunden nutze ich in kühlendem Schatten für das Ausruhen und für eine schöne Schreibsession. Ich wartete, bis die Hitze sich setzen würde. Der Platz wird übrigens von vier Holländerinnen betrieben. Heute Abend spielt Holland, das wird sicher lustig, vor allem wenn sie gewinnen. Auch fragte ich eine der Damen nach der Altstadt Albhenga, die ich unterwegs gesehen hatte.
„Acht Kilometer“ war die Antwort, happig für 37 Grad im Schatten. Doch um vier ging es einigermaßen, von der See her wehte ein frischer Wind und in den Bergen donnerte es gewaltig, dort also gingen die fälligen Gewitter hinunter. Die acht Kilometer mit dem Rad stellten sich übrigens als ziemlich kurz heraus. Es waren eher vierkilometerlange acht Kilometer, aber das macht nichts. Mein Weg führte mich vorbei an Kräuterfeldern, überwiegend Basilikum, für mich die Prinzessin der Kräuter, denn kein Sommer ohne Tomate-Mozarella-Basilikum. Der Geruch war intensiv und würzig-herb, denn die Blätter waren schwer und dunkelgrün. Ich war fast versucht, eine Probe mitzunehmen, dachte aber an den Bauern und hielt mich zurück.
Die kurze Strecke hatte aber auch einen anderen Vorteil: Es blieb mir mehr Kraft, um die wunderschöne Altstadt zu besichtigen. Ich kam, noch an das Rad gebunden, an einer Brücke vorbei, die halb im Boden steckend sicher ein altes römisches Werk ist. Weit gefehlt, aber mit meiner Irrung war ich nicht allein, wie ich auf einem Hinweisschild las. Es handelt sich um ein Produkt des Mittelalters, was Reisende vor mir ebenfalls schon falsch gedeutet hatten. Wahrscheinlich traut man es den Zeitgenossen der dunklen Epoche nicht zu, ein solch elegantes, 130 Meter langes Bauwerk errichtet zu haben. Doch sie haben es. Wieder also wurde ich Opfer meiner eigenen Vorurteile. Ich bin der Ansicht, dass es in wenigen Tausend Jahren keine nennenswerte Evolution gibt, so dass Menschen zumindest in ihren Anlagen die gleichen sind wie heute, ob Römer, Franken, Hanseaten – alles dasselbe. Warum also sollte es nicht im Mittelalter prozentual genauso viele Genies gegeben haben wie heute? Sicher sind es heutzutage zahlenmäßig mehr, aber nur, weil die Bevölkerung gewachsen ist.

Die Stadt selbst war ebenfalls ein voller Erfolg. Italien ist und bleibt Italien, und wenn ich vorher einige Städte Frankreichs als italienisch bezeichnet habe, ist das Bild, das ich mit Worten gezeichnet habe, schief, und zwar sehr. Es ist einfach anders. Italienische Altstädte protzen förmlich mit alter Bausubstanz, die Gebäude stehen dort einfach und verleihen den Orten so viel Charakter wie nur irgend möglich. Albenga ist ein gutes Beispiel und ein guter Start in die italienische Kultur, denn ich hatte das Gefühl beinahe vergessen, durch ein Openair-Museum zu laufen und einfach die Atmosphäre aufzusaugen. Das Schöne ist hier, dass die Menschen in diesem Openair-Museum leben, es gehört einfach dazu. Genauso übrigens in Florenz oder Siena, das macht die Städte so lebendig. Mein Aufenthalt in Florenz vor 8 Jahren fand übrigens ebenfalls in einem mittelalterlichen, vielstöckigen Wohnhaus statt, der Boden herrlich geneigt, die Wände beinahe meterdick. Eine traumhafte Erfahrung.

In Albenga sah ich wie in Lucca viele Türme, welche einmal Familien gehört haben, die sich auf diese Weise baulich geschützt hatten. Kleine Festungen gegen die Tücke.
Diesmal lies ich mir auch einen Besuch in der Kathedrale nicht entgehen, ein ziemlich altes und düsteres Gemäuer mit viel Charme. Albenga muss einmal sehr reich gewesen sein, doch der Hafen ist bereits vor langer Zeit versandet. Ich musste entsprechend lange laufen, um das Meer zu sehen. Der Geld- und Machtverlust im Mittelalter ist übrigens Italiens heutiges Kapital. Der Grund, warum in Italien so viele historische Orte zu finden sind, liegt in der Tatsache begründet, dass die Menschen einfach kein Geld hatten, ihre Häuser abzureißen und durch neue zu ersetzen. Ganze Jahrhunderte lang wohnten sie deshalb in den alten Gebäuden, ein wahres Glück heutzutage. Mir geistert eine Zahl im Kopf herum, von der ich nicht weiß, wo ich sie aufgeschnappt habe oder ob sie überhaupt richtig ist. Demnach sind in Italien zwei Drittel aller Kunstschätze dieser Welt, einschließlich natürlich historische Gebäude. Wenn dort etwas dran ist, weiß ich, warum so viele Menschen Italien so lieben. Und noch besser, hier, in Albenga, sind so wenige Touristen, dass es ein wirklich schöner, natürlicher Start ist, denn die Stadt gibt sich genau so, schön und natürlich, nicht so gekünstelt, wie manche ihrer toskanischen Schwestern.
Somit ergibt meine Eingebung, meinen Italienbesuch hier zu starten, plötzlich einen Sinn. Und ich bin froh, diesmal auf meine innere Stimme gehört zu haben. Also auch ein persönlicher Erfolg, den ich heute Abend gebührend feiern werde.