Zagreb

Nein, mache ich nicht.
Um sechs schlug ich das erste Mal die Augen auf, noch ein paar Minuten, dann aufstehen. Daraus wurde natürlich nichts, wie auch. Gegen halb neun das zweite Mal, sehr ärgerlich.
Schon um diese Zeit war es draußen kaum auszuhalten. Die hohe Luftfeuchtigkeit machte allen zu schaffen. Ich beeilte mich deshalb, packte und wusch ab, war eigentlich kurz nach neun fertig zum Aufbruch. In einer stillen Sekunde nahm ich den Reiseführer zur Hand, um mich auf mein heutiges Ziel Karlovac vorzubereiten.
Ich weiß nicht, ob es eine gute oder schlechte Idee war. In jedem Fall schien die Beschreibung so sarkastisch und langweilig, dass ich meine Meinung änderte. Museumstag in Zagreb statt Karlovac. Die Zeit schien mir besser angelegt zu sein. So ist es eben manchmal.
In dem Moment, in dem ich mich gelangweilt von meinem nun für immer imaginären Ziel abwandte, sah ich eine Gruppe von Reisenden Richtung Rezeption laufen. Ein Blick auf die Uhr bestätigte, dass der Bus nach Zagreb in 20 Minuten fahren würde. Ich denke, dass auch das meine Entscheidung endgültig beeinflusst hat, denn ich packte rasch meinen Rucksack und folgte der Gruppe. Es ist so viel stressfreier, mit den Öffentlichen zu fahren. Ich traf ein Pärchen aus dem Schwarzwald, wir redeten und gaben uns gegenseitig Reisetipps.
In der Stadt angelangt, trennten sich unsere Wege. Das ist auch gut so, denn beim Reisen ist Privatsphäre genau so wichtig wie zu Hause. Man kann immer noch abends auf dem Campingplatz Gedanken über das Erlebte austauschen.

Mein Weg führte mich ins archäologische Museum, das vom Rough Guide in höchsten Tönen gelobt wurde. Zurecht, wie ich fest stellte. Erst musste ich in die dritte Etage, dann wieder nach unten, so sah es der Weg vor, den die Leitung uns Besuchern empfahl, auf diesem Pfad durch die Zeit wandelte ich also, begann in der Steinzeit. Besonders die Pfunde aus der Bronzezeit waren beeindruckend. Ein besonders berühmter Fund, ein Bronzegefäß in Form eines Vogels, übersah ich beinahe, dabei ist es eine Art Wahrzeichen Kroatiens und sogar auf der 20-Kunanote abgebildet. Es befindet sich in einem Glaskasten, auf ca. 1,00 Meter Höhe, damit ist es nicht mehr auf meiner Augenhöhe, womit sich meine Schwierigkeit, es zu entdecken, erklärt. Marketingstrategen aufgepasst. Eyelevel is Buylevel.

Das Museum legt viel wert auf militärische Archäologie, viele Waffen und Ausrüstungsgegenstände sind ausgestellt. Sie könnten noch ein wenig an der Beschriftung arbeiten, die, wie ich finde, anschaulicher gestaltet werden müsste. Ich stieß jedenfalls auf ein mir unbekanntes Volk der Japoten, die hier in der Eisenzeit Kroatien bevölkert hatten. Die Römer jedoch leisteten ganze Arbeit, der spätere Kaiser Augustus verwandelte die Hauptstadt des Volkes in ein Häufchen Asche.
Ebenfalls auf dieser Etage sind ägyptische Funde, die hier her passen wie die Jungfrau ins Bordell. Aber nett ist es trotzdem. In einem winzigen Nebenraum steht für mich die größte Sensation, kaum beachtet übrigens, wie beinahe das ganze Museum, das ich fast für mich allein hatte.
Hier liegt eine ägyptische Mumie. Es muss einmal eine bildschöne Frau gewesen sein, edle Wangenknochen, zarte Haut, schlanke Gestalt. Man muss natürlich etwas Fantasie mitbringen. Doch das ist nicht das Wesentliche. Die Dame war wie alle Mumien in Leinenstreifen eingewickelt. Und für diese „Verpackung“ ist sie heute berühmt. Denn auf den Streifen befinden sich etruskische Texte, ich denke die vollständigsten, die je gefunden wurden. Über 1000 Worte, zusammenhängend, so etwas ist einzigartig, denn bislang gab es immer nur kurze Grabinschriften. Leider ist die Sprache verloren und bislang, trotz intensiver Bemühungen, nicht entziffert. Kein Wunder, bei so wenigen Proben. Aber für die Dame im klimatisierten Glaskasten ist es sicher ebenso bitter. Man weiß nichts über sie, aber ihre Verpackung ist der Star der Sammlung. Als wenn man ein Geschenk in Zeitungspapier einwickelt, das dann nur interessant ist, weil der Beschenkte die Nachrichten lesen will.
Vergleiche hinken, ich sehe es ein.

Archäologisches und Tesla Museum

In den unteren Bereichen sind ebenfalls noch reiche Funde, vor allem viele griechische Vasen, sicher aus etruskischen Gräbern und viele römische Militärfunde aus der Gegend. Beeindruckt dabei haben mich die Militärdokumente, anscheinend Beurteilungen auf Bronzetafeln von Vorgesetzten, die die Betroffenen mit sich tragen konnten, also eine Art antiker Zeugnisse. Auch von so etwas hatte ich noch nie gehört.
Ich verbrachte wundervolle 1,5 Stunden in dem Museum, sitze jetzt, nachdem ich die Erfahrung noch einmal an mir vorbei ziehen lasse, im Hof des Museums, zwischen römischen Statuen und Grabstelen, mitten im Grünen in einem Café, habe sogar eine Internet-Verbindung und kann somit nochmals einiges nachlesen.
Der Tag ist noch nicht vorbei, mal sehen, was ich jetzt noch anstellen kann.

Nach einem mehr oder weniger längeren Spaziergang in der Mittagshitze, eine Art Abschied von der kroatischen Hauptstadt, machte ich mich auf den Weg zum Technik-Museum. Was mich erwartete, war einmal mehr ein Schritt in die Vergangenheit, eigentlich nichts Neues bei einem Museum, vielleicht jedoch nicht bei diesem.
Schon am Eingang wurde ich auf das Folgende vorbereitet, denn das Gebäude hatte den Hauch eines 60er Jahre Plattenbaus. Innen war es dann wie in der ehemaligen DDR vor 30 Jahren, ein Museum, das nach Alter roch. Empfangen wurde ich von allen möglichen Gefährten für allerlei Elemente, Luft, Wasser, Erde. Als Erstes fiel mein Blick auf einen NSU, hier holte mich also meine jüngste Vergangenheit ein, denn der jetzige Besitzer der Marke war ja bis vor gut einem Jahr mein Brötchengeber, bis mir die Bedingungen, mir eben diese Brötchen zu verdienen, im Halse stecken blieben.

Hier, in Zagreb, war es auch das uninteressanteste Gefährt, ich glaube aus den 30ern, der Renault daneben sah viel interessanter aus. Daneben standen alte Lokomotiven und Straßenbahnen, weiter hinten Flugzeuge, ein italienisches U-Boot aus dem II. Weltkrieg. Die Beschriftung aber war das Beste, sicher noch aus den Zeiten, als das Museum eröffnet wurde, was viele Jahrzehnte her sein muss. Ich schwelgte in Jugenderinnerungen, denn genau so haben früher die Museen im Osten ausgesehen, wobei sich die Aussteller hier damals sehr viel mehr Mühe gemacht hatten, die einzelnen Objekte in Szene zu setzen. Aber wie gesagt, alles aus einer anderen Epoche. Oben waren Satelliten ausgestellt, sowohl aus der UDSSR als auch den USA, sicher eine winzige Anspielung darauf, dass Tito kein besonderer Liebling der Sowjets gewesen ist.

Eine ganze Abteilung unten ist dem kroatischen Sohn Tesla gewidmet. Leider reicht mein technischer Sachverstand nicht aus, um die Errungenschaften irgendwie zu bewerten, wenn ich aber richtig gesehen habe, steht Tesla auf einer Stufe mit Edison, ein Pionier und Freigeist, der Probleme liebte, weil er sich an ihnen ausprobieren konnte. Letztlich machte er die Erfahrung, seine Grenzen diesbezüglich nie kennenzulernen, denn er löste alle, die ihm von andren gestellt wurden. Ein technischer Sherlock Holmes also oder Hercule Poirot, nur eben aus Fleisch und Blut und nicht aus Papier und Tinte.

Höhepunkt des Museums aber war eine kurze Führung durch ein unterirdisch angelegtes Mienensystem, gebaut von Minenarbeitern, also völlig authentisch. Viele Hundert Meter Stollen, unterschiedlichster Natur. Erst einfach abgesichert, dann komplizierter, die Holzbalken schräg angeordnet, um dem Druck besser standzuhalten. Dann Eisenpfähle. Es war kühl da unten, roch modrig, beklemmend. Die Minenarbeiter hatten also ganze Arbeit geleistet. Es war ein echtes Erlebnis.
Danach wurden im Tesla-Raum die Erfindungen des Genies vorgeführt. Ich verstand nicht viel, weil die Erklärungen in Englisch auch etwas mager ausfielen. Aber es war in jedem Fall ein Gaudi aus Blitzen und magnetischen Experimenten, rollenden Kugeln und faradayschen Käfigen.

Letztlich habe ich heute zwei Museen völlig unterschiedlicher Natur gesehen. Beide lohnen sich. Das eine ist auf dem Höhepunkt der Zeit, sehenswert und liebevoll arrangiert. Das andere befindet sich noch im alten sozialistischen Zustand, ist aber schon aus diesem Grund genauso sehenswert.
Selten hatte ich so viel Spaß wie an diesem Tag und ich bin froh, noch einen Tag länger geblieben zu sein.
Manchmal sind die spontanen Entscheidungen eben die besten.