Kavala
Keine Ahnung, was gestern mit mir los war. Müdigkeit, vielleicht eine oberflächliche und leichte Erkältung, die nie ausgebrochen ist, haben es fertiggebracht, mich in einen destruktiven und demoralisierten Zustand zu versetzen. Zwar wirkte alles sehr viel dramatischer als es war, doch die leisen Zweifel sind immer noch nicht verschwunden. Es ist ein Dilemma, denn mir besteht die Reise in sicher eine der faszinierendsten Städte der Welt bevor. Byzanz/Istanbul – ein Traum eines jeden Reisenden. Die gewisse Müdigkeit ist auch heute noch nicht verschwunden. Vielleicht mache ich mir auch zu viel Stress, der Druck, den Roman fertig zu schreiben ist nicht ohne. Dabei macht mir das Feilen mittlerweile Spaß. Allerdings ist es wesentlich aufwendiger als das Schreiben selbst. Doch langsam merke ich, dass meine Texte den Rhythmus finden, dass ich vor vielen Monaten in die Geschichte hineingefunden habe, auch wenn ich natürlich noch viele Passagen ändern muss. Doch nach den ersten 70 Buchseiten spüre ich den Lauf, der am Schluss ganz eindeutig vorhanden war.
Der Morgen also war ganz von meiner Arbeit bestimmt. Dabei werde ich mir angewöhnen, in Zukunft den Wecker zu stellen, denn ich finde es zu spät, erst um halb neun aufzustehen. Vor allem jetzt, da die Tagesstunden wieder wertvolle werden. Am 21.9. war Tag-und-Nacht-Gleiche, ab jetzt gewinnt die Dunkelheit und frisst sich gierig ins Tageslicht hinein. Morgen stelle ich den Wecker.
Gegen Mittag nahm ich mein Fahrrad und machte mich auf den Weg nach Kavala, der größten Stadt bis Istanbul. Ich musste mich erst an vielen Wohnblocks vorbei kämpfen, dann erreichte ich den Hafen. Der Tag selbst erinnerte mich an die Zeit in Genua. Zwar war es nicht mehr so heiß, doch hingen die Wolken sehr tief, brachten Feuchtigkeit, die, gepaart mit Temperaturen in den hohen Zwanzigern, ein Inferno entwickelten. Bei mir ging es noch, doch etwas beleibtere Menschen waren vollständig durchgeschwitzt, die Flecken auf den Hemden eindeutig, die Gesichter puterrot.
Der Hafen in Kaval ist verhältnismäßig groß. Sicher nicht so massiv wie Piräus, aber dennoch beachtlich. Die Fischerboote lagen vor Anker, ansonsten herrschte an diesem Sonntag wenig Betrieb. Die Akropolis hüllte sich in den feuchten Dunst, der uns allen mächtig zu schaffen machte. Die Halbinsel mit der alten Burg darauf sieht von Weitem beeindruckend aus. Ich machte mich also sogleich auf den Weg zur Spitze. Dieses ehemalige türkische Viertel hat mehr Ausstrahlung als das in Thessaloniki. Die Gassen sind verwinkelt, die Häuser ragen in die Wege hinein, sind alle recht bunt angestrichen. Es hat beinahe etwas Heiteres. Unterwegs überholte ich einige Österreicher, die sicher nicht viel älter waren als ich. Sie schnauften gut hörbar, die Anstrengung des Aufstiegs sind bei diesen Verhältnissen noch etwas größer.
Die Akropolis selbst, sicher eine Festungsanlage aus dem Mittelalter oder sogar später, lohnt sich eigentlich nur aus einem Grund: der Aussicht wegen. Ich bestieg den alten Turm, es war abenteuerlich, denn die Stufen waren schief und krumm, durch die Zeit geschliffen. Die Durchgänge waren für Pygmäen konstruiert, so dass es eine gebückte Angelegenheit wurde. Aber das gab dem Ganzen einen gewissen Charme. Oben angelangt konnte ich die ganze Stadt und das Meer betrachten. Das allein ist die beiden Euros Eintritt wert. Die Häuser schmiegen sich an den Felsen, Farbtupfer überall, ab und zu zeigte sich sogar die Sonne. Das Meer jedoch ist bei diesen Verhältnissen am eindrucksvollsten. Es war sehr bewegt, die Wellen hoch und schäumend. Immer wieder schön anzusehen.
Der Rest der Anlage ist eher bescheiden, einige Gebäude sind restauriert, aber leer, auf einigen Mauerteilen kann man entlang spazieren, auch hier bieten sich schöne Aussichten.
Bald schon war es Zeit weiterzulaufen. Unterwegs sah ich eine alte Moschee, der man nicht ohne Weiteres anmerkt, das sie schon 400 Jahre alt ist. Ich setzte meinen Weg fort, suchte das Haus Ali Paschas. Ich fand es, leider versperrte mir ein Gitter den Zugang. Sehr schade, aber ich denke, dass ich in den nächsten Wochen noch reichlich Gelegenheit haben werde, um türkische Häuser zu sehen. Auf den verschlungenen Wegen hier sah ich ebenfalls alte Bekannte. Die Schriftzeichen waren eindeutig, arabische Kaligrafie, die an sich schon Kunst ist. Ich habe sie natürlich nicht gelernt, so wie einst vor vielen Monaten in Rabat versprochen. Aber das scheint sich durchzuziehen, selten halte ich mich an das, was ich mir vornehme. Sicher eine meiner besten Eigenschaften.
Als Letztes sah ich mir noch das gewaltige Aquädukt an. Es ist kein römisches, sondern türkisch, also wesentlich jünger. Doch erinnerte es mich an Segovia oder die Pont du Gard in Südfrankreich. Es schlängelt sich mitten durch die moderne Stadt. Ein beeindruckendes Bauwerk. Etwas fiel mir auf, es waren die beiden Taubenschläge aus Terrakotta. Die Viecher saßen dort auf den Simsen. Nun, das ist auch der Sinn.
Ich kämpfe noch mit mir, ob ich Fillipi morgen sehen möchte. Es ist ein interessanter Ort, denn hier fand eine der wichtigsten Schlachten der römischen Erbfolge statt. Brutus und Cassius verloren hier gegen Marc Anton und Octavian, den späteren Kaiser Augustus. Shakespeare hat das in seinem Werk „Julius Caesar“ so meisterhaft dargestellt. Die Realität sah sicher weniger theatralisch aus, eher blutig.
Wir werden sehen….