Granada

Die Form war heute besser, die Nacht allerdings nicht. Ich erwachte und sah den Hauch meines Atems im Camper, immer ein schlechtes Zeichen die Außentemperatur betreffend. Als ich vor die Tür trat, wehte mir ein eisiger Wind von den noch schneebedeckten Hügeln der Sierra Nevada entgegen, der den ganzen Tag über nicht nachlassen sollte. Trotzdem scheute ich keine Mühen, packte mich mehr oder weniger dick ein – Mitte Mai im Süden Spaniens, um es nochmals zu wiederholen – und machte mich auf den Weg in die Stadt. Die ganze Zeit über hatte ich ein schlechtes Gewissen, denn irgendetwas hatte ich gestern vergessen, was ich noch unbedingt erledigen wollte, doch es fiel mir nicht ein. Meinen Weg zur Alhambra fand ich nur mit etwas Mühe, außerdem ließ ich mir Zeit, machte eine Kaffeepause und schlenderte mehr als das ich lief. Irgendwann kam ich an den Hängen des maurischen Palastes an, lief von dort aus noch ein Stück bis zum Eingang. Jetzt, erst in diesem Augenblick, fiel mir ein, was ich vergessen hatte. Der Rough Guide hatte empfohlen, das Ticket für die Alhambra im Voraus zu buchen (unter www.alhambra-tickets.es), um unnützes Warten zu vermeiden. In getrübter Vorahnung stellte ich mich an die winzige Schlange aus wenigen Menschen in der Hoffnung, dass es so schlimm wohl nicht werden würde. Wurde es auch nicht, denn ich bekam zumindest noch ein Ticket für den heutigen Tag. Aber zu welchen Konditionen. Mit der Tatsache, die Anlage erst nach halb drei betreten zu können, konnte ich noch leben. Doch dass ich die Paläste, auf die es eigentlich ankam, erst gegen 18.30 Uhr besuchen durfte, das stank mir schon gewaltig. Es war immerhin noch nicht einmal 12 Uhr. So wurden wir, die wir nicht vorher geplant hatten, durch das System bestraft, die spätestmögliche Zeit also für die, die vorher nicht imstande waren, ihren Besuch anzukündigen. Das perfekte System der Ordnung, das gegen das Chaos, also mich, gewonnen hatte. Aber das hatte auch sein Gutes, denn ich hatte das Gefühl, das erste Mal auf dieser Reise Zeit zu haben, so viel Zeit, nur für mich. Ich fühlte mich sehr gut dabei, lief den Hügel wieder hinunter, bummelte ein wenig, schaute mir Schaufenster an und beschloss dann gegen 13 Uhr, etwas essen zu gehen. Ich fand sogar den Ort wieder, den ich gestern verloren glaubte, eine kleine Tapasbar dort kam wie gerufen. Einen winzigen Augenblick zeigte sich die Sonne, so dass ich in Erwägung zog, mich draußen zu setzen, Ein heftiger Windstoß mit Frostfaktor und das Verschwinden der Wärme spendenden Strahlen überzeugten mich davon, es nicht zu tun. Auch in der Bar war es kühl, denn die Fenster standen sperrangelweit auf. Doch ich hatte richtig gewählt, der Besitzer sprach nicht ein einziges Wort Englisch, aber auf langwierige Unterhaltungen war ich ohnehin nicht aus. Ich bestellte Seranoschinken und Cola. Letztere kam mit zwei Eisbrocken von der Größe des Himalaja, mich schüttelte es schon beim Anblick. Was die Tapas betrifft, servierte mir der Besitzer weit mehr als das Bestellte. Zu dem Schinken gesellte sich noch ein riesiges Stück spanisches Omelett, frisch aufgeschnittene Tomaten mit Olivenöl, Balsamicoessig und etwas Meersalz, und außerdem noch ein riesiger Korb mit duftend-knackigem Brot. Diese Extras waren Service des Hauses. Der würzige Seranoschinken passte bestens dazu. So lunchte ich wie ein junger Gott, so kam es mir zumindest vor. Nebenher las ich über die Geschichte Spaniens, letztlich auch über die Tatsache, dass Granada das letzte maurische Königreich war, dass es auf der spanischen Halbinsel gab. 1492, dem Jahr, in dem Kolumbus Amerika entdeckte, fiel es und läutete damit das Ende des Mittelalters ein. Binnen kurzer Zeit wurden die Mauren und auch die Juden gezwungen, das Land entweder zu verlassen oder zu konvertieren. Wie viel Wissen dabei einmal wieder verloren wurde, ist nicht auszudenken, denn die maurischen Kultur war hier lange Zeit Vorreiter in Punkto Wissenschaft. Wieder einmal zeigt sich, dass die Arroganz der Religion in Verbindung mit der Ignoranz derjenigen, die sie ausführen, beinahe grenzenlos ist.
Auch las ich über das Spanien des 20. Jahrhunderts und die Tatsache, dass vor nicht einmal 35 Jahren Menschen hier für ihre Gedanken, verhaftet, eingekerkert und ermordet wurden. Das mörderische Regime Frankos endete erst 1976. Bis heute sind die Verbrechen nicht aufgearbeitet. Als Deutscher weiß ich, dass sich so etwas irgendwann einmal rächt. Aber das will sicher niemand hören. Warum auch. Spanien macht einen stabilen Eindruck, von der gegenwärtigen schiefen Haushaltslage einmal abgesehen, doch die Demokratie hier scheint gesichert.

Alhambra und die Generalife

Nachdenklich lief ich zur nächsten Bar und trank noch einen Kaffee, bevor ich mich wieder auf den Weg zurück zur Alhambra machte. Immer wieder riss die Wolkendecke auf und gab mir eine leise Hoffnung auf ein wenig Wärme, doch immer, wenn meine Haut unter den Strahlen langsam begann zu prickeln, verschwand die Sonne wieder und es war bitterkalt. Der Wind setzte mir dabei mächtig zu, ständig kühlte er mich bis auf die Knochen aus. Auch kündigte ein entflammter Hals eine leichte Erkältung an, die ich im Moment nicht gebrauchen kann.
Gegen drei betrat ich die Alhambra, hatte keine Ahnung, wie ich über drei Stunden bis zum Betreten der Paläste – dazu gibt es gesonderte Tickets – verbringen sollte. Wie sich herausstellte, war die Zeit eher noch zu knapp bemessen. Vor sieben Jahren war ich bereits schon einmal hier gewesen, hatte die Anlage als nicht so groß in Erinnerung. Doch sie unterhielt mich ausgiebig. Ich begann meine Entdeckungen in der Alcazaba, die eher einer Trutzburg gleicht. Hier konnte ich einige der mächtigen Türme besteigen, hatte dabei herrliche Ausblicke auf das Albaicínund meine Route, die ich gestern gelaufen war. Immer wieder fand ich kleine Gärten, die ich leider wegen des Wetters kaum genießen konnte, doch blühten sie bereits und fast überall lag der schwere Duft von Rosen und Yasmin in der Luft. Die arabischen Bäder waren ebenso gut erhalten wie die im Albacin, doch ich würde mir wünschen, sie würden nicht in diesem ruinösen Zustand erhalten, sondern wieder komplett aufgebaut.
Die Festung Carlos V. nebenan scheint völlig aus der Reihe zu tanzen. Überall sieht man maurische Hufeisenbögen, hier aber steht ein Palast aus harten Steinquadern, viereckig-mänlich, gegen die verspielte, architektonische Weiblichkeit im Rest der Alhambra. Eine interessante Ausstellung zu der gesamten Anlage schaute ich mir näher an, dabei wurden Filme in Ausschnitten gezeigt, die hier einmal gedreht worden sind. Ich finde so etwas immer besonders interessant, zeigt es doch, dass Generationen vor uns davon genauso fasziniert waren wie wir. Und auch nach uns sein werden.
Später suchte ich die Gärten des Generalife auf, die noch prächtiger waren als alle bis dahin gesehenen. Überall plätscherte das Wasser aus scheinbar Dutzenden Springbrunnen, Zypressen sind aufs Ordentlichste beschnitten und geben den Gärten eine strenge Ordnung, Wasserbecken lockern die Atmosphäre auf. Daneben viele Blüten, die daran erinnerten, dass es Frühling ist. Die schönste Wasseranlage fand ich oben im Palast des Generalife, herrliche maurische Bögen mit feinen Ornamenten und dazu passenden Pflanzen. Ich war so begeistert, dass ich fast die Zeit vergaß. Es war mittlerweile nach sechs, keine Ahnung, wie die Stunden so schnell verflossen waren. Ich riss mich also los und eilte zurück zu den Nasridenpalästen, musste mich in eine bereits beachtlich angeschwollene Schlange einreihen. Endlich waren wir an der Reihe.
Es war auch so fantastisch, wie ich es in Erinnerung hatte. Ich verlor mich in den Ornamenten der reich verzierten Wände, bewunderte hölzerne Decken, auch welche aus Stuck und war von dem architektonischen Reichtum völlig eingenommen. Raum um Raum, Platz um Platz, immer wieder erschien ein neues Bild, das ich entdecken durfte. Leider wurde das Herzstück, der Löwenbrunnen, gerade restauriert, so dass die berühmten Viecher nicht am Platz waren. Sei es drum.
Irgendwann jedoch war es genug, der Wind wurde immer heftiger und ich schleppte mich aus der Anlage Richtung Bushaltestelle.

Erst weit nach 21 Uhr kam ich am Camper an, zu müde, um zu schreiben, was ich also einen Tag später erledigte. Ich fahre heute ab, mal sehen, was mich erwartet.