Marrakesch

Der Morgen kam etwas später für mich. Ich weiß nicht, was es war, ob die kilometerweiten Wege auf dem Rad, die Fußmärsche durch die Stadt oder die vielen Eindrücke, die mich noch immer beschäftigten. Jedenfalls wachte ich erschöpft auf. Langsam bewegte ich mich, da ich dachte, es wären noch die Nachwirkungen der Nacht, doch dem war nicht so. Ich brauchte eine Weile, ehe ich mich wieder aufmachen konnte, beinahe wäre ich dem Gedanken erlegen, den Vormittag am Pool zu verbringen, doch ich widerstand erfolgreich. Erst gegen 10 schwang ich mich aufs Rad und fuhr langsam los. Meine Aufmerksamkeit heute war definitiv nicht so groß wie eigentlich notwendig, doch ich hatte Glück, am heutigen Sonntag waren wesentlich weniger Menschen unterwegs. Wieder stellte ich das Rad im Zentrum ab, von dort lief ich weiter zu Fuß. Heute wollte ich Richtung Kasbah, besonders den Palais El-Badi ansehen. Wie gestern auch schon fand ich ihn natürlich nicht, dafür aber sofort die Saadianischen Gräber, direkt neben der Kasbah Moschee. Die Gräber hatte ich ohnehin geplant zu sehen. Es war ein schneller Entschluss. Wieder führte mich ein dunkler Gang in eine Art Garten, der in Wirklichkeit ein Friedhof war. Gleichzeitig drängte sich an mir eine Schulklasse vorbei, sicher an die 30 Zehnjährige machten Lärm für 50. Aber es störte mich nicht sehr, denn die Lehrer sorgten rasch für Ruhe. Es war das erste Mal, dass ich einen muslimischen Friedhof betreten habe. Um die prächtigen Mausoleen anschauen zu können, musste ich mich an eine bereits beachtliche Schlange anstellen. Doch es lohnte sich. Innen fand ich prachtvolle Bögen mit Steinmetzarbeiten, an denen ich mich nie sattsehen kann. Es ist und bleibt jedoch eine Begräbnisstätte. Mir gingen viele Gedanken durch den Kopf, die Saadianer waren mächtige Fürsten, die im 16. Jahrhundert ihre Dynastie gründeten und besonders mit ihrem Handel mit Zucker steinreich wurden. Diese Grabsteine der Menschen jedoch, die hier beerdigt sind, sind nicht gekennzeichnet, zumindest nicht für Touristen. Sie haben keine Namen, nichts weißt auf ihre Taten hin und doch haben sie die Könige, vor allem Südeuropas, in ihrer besten Zeit mehr als nur in Schach gehalten. Wie vergänglich ist doch Ruhm oder Reichtum, heute erfreuen sich Touristen an der prächtigen Architektur der Gräber, nicht aber an dem, wofür die lebendigen Menschen standen, wofür sie lebten, litten und arbeiteten. Wieder dachte ich daran, wie wenig Sinn es macht, nach Ruhm und Reichtum zu streben, das ist vergänglich wie hier, an diesem Ort, deutlich. Es macht vielleicht nur Sinn, wenn es ein Nebeneffekt ohne wirkliche Wichtigkeit ist, wenn etwas anderes, das Streben nach Wahrheit und Vollkommenheit im Vordergrund steht. Vielleicht gibt es das andere manchmal gratis dazu, obwohl es dann nicht mehr notwendig ist.
Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich anstand. Vielleicht sollte ich nicht zu oft anstehen, anscheinend geht mein Geist mit mir durch.
Ich schaute mich noch auf dem Friedhof um, die Gräber hier sind durch einfache Bodenmosaike gekennzeichnet, die aus einer Art Fliesen besteht. Fast unscheinbar scheinen sie, ich achtete beharrlich darauf, nicht draufzutreten, was angesichts des Besucheransturms hinter mir nicht einfach war. Weiter hinten wurde es gartenähnlicher und eigentlich ist es ein stiller, würdevoller Ort, doch ich möchte nicht wissen, was hier in der Hoch-Saison geschieht, wenn es an einem Apriltag bereits so voll ist.

Saadianische Gräber und Palais El-Badi

Ich suchte weiter nach dem Palast der Saadianer, gennant Palais El-Badi. Irgendwie gelangte ich auf einen Markt, in Sekundenschnelle war ich mitten im Gewühl, konnte weder vorwärts noch rückwärts, ließ mich mit der Menge treiben. Dabei schafften es einige waghalsige Mopedfahrer, sich zwischen uns hindurchzuschlängeln, es ging ohne Berührung von Statten, was einiges an Bewunderung verdient. Die Abgase allerdings weniger, die sich sicher in jeder Mahlzeit, die mit den Produkten dieses Marktes zubereitet wurden, verewigt haben.
Wie gestern bereits wusste ich bald nicht mehr, wo ich war. Auch waren hier keine Touristen mehr, was mich der ständigen Ansprache durch Einheimische aussetzte. Irgendwann war ich am königlichen Palast und erregte Ärgernis dadurch, dass ich Fotos schießen wollte. Ein Polizist zeigte mir sehr ausdrücklich, dass so etwas hier nicht unbedingt erwünscht ist. Ich lief einfach weiter, ging, wie ich erst später anhand der Karte feststellte, durch das jüdische Viertel, ohne es zu erkennen, fand schließlich den Palast, nachdem ich einmal um das gesamte Viertel herum gelaufen war. Langsam begannen meine Beine zu schmerzen. Der Palais el-Badi gehörte einem der Herrscher der Saadianer, einem der reichsten seiner Sippe. Er ließ die gesamte Inneneinrichtung dieses riesigen Palastes mit Gold und Edelsteinen schmücken. Als er jedoch das Zeitliche segnete, hatte sein Nachfolger nichts Besseres zu tun, als das Gold von den Wänden und die Edelsteine aus den Fassungen zu kratzen. Somit ist heute nichts übrig außer einer riesigen Ruine. Der gesamte Ort wirkt öde und leer, ich hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wie es hier einmal ausgesehen haben könnte. Wenigstens ein Juwel befindet sich hier, die reich dekorierte, aus dem 12. Jahrhundert stammende Minbar (Kanzlei) aus der Koutouba Moschee. Laut den Beschreibungen muss es ein Werk sein, dass die gesamte Holzlegearbeit beeinflusst hat. Leider steht sie sehr weit hinter der Absperrung, doch befinden sich im Raum ebenfalls Beispiele dieser Arbeiten, so dass ich von Nahem betrachten konnte, was ich von der Ferne kaum erkennen konnte.
Danach brummte mein Magen, nichts dagegen einzuwenden, sondern zu handeln. Ich kaufte an einer Art Fastfoodstand frische, frittierte Fische, meist Schollen. Ich setzte mich auf eine Bank in der Nähe und feierte ein kleines, kulinarisches Fest. Es war einfach und köstlich. Eine Katze näherte sich, den Anblick, der jetzt folgte, werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Die Katze miaute, schaute mich an. Ich sah in zwei entzündet-rote, vereiterte Höhlen, die mich blind anstarrten. Mir verging sofort der Appetit, ich gab dem bedauernswerten Geschöpf meinen letzten Fisch, auch wenn das die Leiden der Katze vielleicht verlängert, aber mir war der Appetit vergangen.
Ich lief noch ein wenig durch die Kasbah, doch die ständigen Annäherungsversuche junger Marokkaner hielt ich jetzt, in dem immer müder werdenden Zustand nicht länger aus. So fand ich meinen Weg zurück zum Fahrrad und machte mich auf in Richtung Jardin Majorelle. Er ist zauberhaft, um es in einem Wort zu sagen. Wohlgepflegt blühte dieser kleine Garten bereits, die Wege wanden sich und hinter jedem Winkel entdeckte ich neue, pflanzliche Wunder. Auch die Architektur, einige kleine Gebäude und Wasserbecken, passen harmonisch ins Gesamtbild und es ist ein wahrlich erquickender Ort. Auch hier herrschte bereits ein erheblicher Andrang, doch es war noch auszuhalten. Ich kann es niemandem verdenken, denn dieser Garten ist ein echtes Juwel, wenn auch kein Geheimtipp.
Nach einer Stunde kehrte ich zum Campingplatz zurück, schaffte es gerade so und spüre jetzt einen erheblichen Schmerz im Oberschenkel. Zu allem Überfluss begann es während der Fahrt noch kräftig zu regnen, den Schlamm, den vorbeifahrende Autofahrer hochspritzten, darf ich jetzt gleich aus meiner Kleidung waschen. Halb so schlimm.
So gehen ereignisreiche Tage in Marrakesch zu Ende, ich habe mich entscheiden, weiter zu fahren. Ich brauche jetzt wieder etwas Abgeschiedenheit, mal sehen, ob ich sie finde.

Jardin Majorelle