Rom

Ein Tag des Abschieds. Dank des Muskelkaters vom Laufen in den letzten Tagen kam ich kaum aus dem Bett. Aber ich konnte mich ohnehin kaum zur Eile entscheiden, denn ich habe gesehen, was ich habe sehen wollen. Rom kann man nicht in wenigen Tagen erkunden, auch nicht in wenigen Wochen. Meine Entscheidung, herzukommen, um eine der erstaunlichsten Städte der Welt zu sehen, war völlig richtig.
Nach einer langen, heißen Dusche und einem unmotivierten Aufräumen machte ich mich gegen Mittag auf in die Stadt. Hatte am Morgen noch die Sonne geschienen, war das jetzt leider vorbei. Langsam bezog sich der Himmel, doch einige Zeit blieb mir noch. Am Piazza Barberini stieg ich aus, um von hier die Via Veneto zum Park Villa Borghese zu laufen. Ich kannte die Strecke noch nicht. Meinen Weg flankierten Luxus-Hotels und ich fühlte mich so passend wie ein Frosch im Wasserglas. Mir kamen Menschen entgegen, deren Karrieren finanziell um einiges besser laufen als meine. Aber mit Sicherheit bin ich der mit dem zufriedenen Gesichtsausdruck. Zumindest bin ich entspannter mit meinem gebräunten Gesicht. Vielleicht bin ich auch nur neidisch. Aber auf was eigentlich? Vielleicht täte mir etwas Luxus auch ganz gut. Nur bin ich nicht bereit, das dafür Notwendige zu machen. Das ist nämlich ganz schön unangenehm.

Ich kam letztlich in der Villa Borghese an, ging in den Park, die grüne Lunge der Stadt. Hier schlenderte ich einfach vor mich hin, lief zur luxuriösen Galleria, die wundervolle Statuen enthält, die ich aber auf einem vorherigen Besuch schon gesehen habe. Auch war mir an diesem Tag nicht danach. Zu müde waren meine Beine und meine Augen, ich wollte einfach nur existieren und mich von der Stadt verabschieden. Dann begann der Regen. Erst kaum merklich, dann immer gewaltiger. Ich kam gerade am Globe vorbei, dem englischen Theater, ganz aus Holz gebaut, nach dem Vorbild in London. Natürlich sind es Open-Air-Veranstaltungen, die im Winter nicht stattfinden. Die Idee ist trotzdem reizvoll – Shakespeare in Rom.
Dann wurde es doch zu heftig. Ich flüchtete in eine Kirche an der Spanischen Treppe, um der Flut zu entkommen. Das Gotteshaus war voller als erwartet, so wie die ganze Stadt, wie sich herausstellen sollte. Nach 10 Minuten hatte ich genug, es regnete nicht mehr so stark, so dass ich die Treppen hinunter ging. Unten war alles abgesperrt, irgendeine Parade, die Menschen standen um die Gitter herum. Ich wählte den Abzweig nach links in Richtung Fontana die Trevi. Eine schlechte Wahl, denn hier wurde es nicht nur immer voller, auch endete der Weg in einer künstlichen Sackgasse. Ich merkte das erste Mal in meinem Leben, was es heißt Platzangst und einen Anflug an Panik zu bekommen. Als ich nämlich kurz vor der unüberwindbaren Absperrung stand, konnte ich weder vor noch zurück, die Menschen von hinten drückten aber bereits. Es war keine schöne Erfahrung, ich nahm mich zusammen, drehte mich um und folgte dem Strom in die andere Richtung. Aber ich bin sicher, dass auf diese Weise Panik und demzufolge auch Verletzungen entstehen können. Wahrscheinlich braucht es nur einen oder zwei Auslöser, um eine Masse in unheilvolle Bewegung zu setzen. Als ich aus dem Pulk heraus war, lief ich erst einmal über den weitgehend freien Platz und freute mich daran, mich ohne Probleme bewegen zu können.

Danach schlenderte ich einfach wieder drauf los. Ohne Ziel spazierte ich durch die Straßen, im Bewusstsein, wieder ein paar Jahre nicht herzukommen. Eigentlich tat das nicht weh, denn ich weiß, dass ich diesmal sehr lange hier war, lange genug in jedem Fall. Man soll aufhören, solange es noch schön ist.
Ich genoss in einer Bar einen Espresso Macchiato, ein wunderbares Getränk, lief weiter, zum Piazza dei Fiori, dann wieder zum Piazza Veneto. Hier entdeckte ich etwas, das ich als Sinnbild für Rom werten könnte. In einer Ecke stand eine verwitterte imperiale Statue, der Torso sicher zwei Meter hoch, das (weibliche) Gesicht völlig zerfallen. Vor der Ruine ein Mofa, klar im Halteverbot. Auf dem Sockel stand eine leere Packung, also Müll. Ich konnte nicht umhin, hier die Symbole der Ewigen Stadt der Gegenwart zu entdecken. Faszinierend.

Wieder war ich stundenlang gelaufen, ich nahm kaum noch etwas wahr. Nochmals besuchte ich den Fontana die Trevi, warf diesmal keine Münze hinein. Ich komme sicher auch ohne dieses Ritual wieder.
Dann spazierte ich zum Piazza del Poloplo. Massen an Menschen kamen mir entgegen, sicher war die Parade oder was auch immer jetzt vorbei. Es war trotzdem so voll, dass ich kaum vorwärts kam. Ich hielt irgendwo inne, schaute mir die Menschen an. Dabei kam mir der Gedanke, dass in 100 Jahren keiner von uns mehr hier sein wird. Es ist so komisch, wir nehmen uns zu Lebzeiten so wichtig, doch kommt die Welt problemlos ohne uns aus. So problemlos, dass sie uns alle paar Jahre komplett austauschen kann. Eines wird es trotzdem noch geben: die Stadt. Wieder wird sie entdeckt werden, jedes Mal neu, dann von anderen, noch nicht geborenen Menschen.

Zum Abschluss des Tages kam der Bus nicht. Eine halbe Stunde musste ich warten, wurde daran erinnert, dass das wohl überall so ist: Öffentlicher Nahverkehr wird immer auf dem Tisch des individuellen geopfert. Es ist falsch, aber das glaubt niemand.
Morgen fahre ich weiter. Sicher werde ich dann echte Trauer darüber empfinden. Aber jetzt bin ich noch hier und kann die trüben Gedanken auf Morgen verschieben.