Sierra Espuna
Heute Morgen erwachte ich zur Musik, die tausend Vogelstimmen erklingen ließen. Langsam schüttelte ich die marokkanische Zeit aus mir heraus, denn ich bewege mich wieder auf das für mich normale Maß von sieben Uhr früh zu. Das heißt, heute Morgen war ich schon eine Stunde näher dran als sonst, aber eben auch noch eine Stunde entfernt davon. Ich trat vor den Camper und sah auf die Berge, es war wirklich der richtige Ort an diesem Tag. Noch versteckte sich die Sonne hinter den Hügeln, doch wenige Minuten später brannte sie bereits recht intensiv auf uns hinab. Ich hatte keine Eile, denn außer einer kleinen Wanderung hatte ich mir nichts vorgenommen. Die nette Dame von der Rezeption beriet mich wegen möglicher Routen, verschaffte mir fast einen Wandergenossen, was ich allerdings gerade noch verhindern konnte und beantwortete auch sonst bereitwillig alle Fragen. Bevor ich mich auf den Weg machte, schaute ich mir das kleine Dorf El Berro an, welch eine Abwechslung zu den mir sonst bekannten Ressorts am Meer. Hier ist alles ursprünglich und einfach, die Menschen sind nett und hilfsbereit und heißen Touristen wie mich Willkommen. Von hier aus suchte ich auch den Weg zu meiner Tour, aus irgendeinem Grund nahm ich an, dass sie vom Dorf aus startet. Ich sah auch so etwas wie ein Wanderzeichen, rot-weiße Striche, die Teil meiner Tour sein sollten, doch nicht hier. Ich lief einen Berg hinauf, dann fand ich keine Zeichen mehr und ca. eine halbe Stunde später stand ich wieder vor dem Campingplatz Sierra Espuna, der Ausgangspunkt für den Rundweg sein sollte. Ich erkannte den Weg leider immer noch nicht, fragte einen alten Spanier, der mich eine Route Richtung Friedhof hinaufschickte. Das war verkehrt, doch von oben sah ich ein kleines Tor mit den rot-weißen Streifen, somit fand ich doch noch, was ich suchte. Zwar musste ich mich durch einen Olivenhain kämpfen, doch das war mir egal, manchmal geht man eben steinige Wege, um ans Ziel zu gelangen. Somit begann mein Rundweg mit einiger Verzögerung.
Inzwischen war es Mittagszeit, somit am heißesten. Ich lief ein ausgetrocknetes Flussbett entlang. Diese Wanderung hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen, besonders in der Nase: der betörende Duft. Tausende von Rosmarinpflanzen, wilder Thymian, ein Kraut, das ich unter dem Namen Hysiop kenne und eine Art Currypflanze, das konnte ich neben anderen unbekannten Kräutern identifizieren. Immer wenn ein besonders sonniger Abschnitt kam, roch es angenehm würzig, die Pinien trugen ebenfalls zu dieser Duftorgie bei. Ich blieb oft stehen und rieb an den Kräutern, um ihre Reize noch zu verstärken. Die eine oder andere Pflanze grub ich aus, ich habe zu diesem Zweck immer ein altes Klappmesser dabei, denn ich liebe das Kochen mit frischen Kräutern. Mehr noch als mit den exotischen Gewürzen aus Marokko, aber das ist Geschmackssache. Hier kam ich auf meine Kosten, der Weg schien wie für mich geschaffen. Es war im Grunde auch nur ein einfacher Spaziergang, leichte Anstiege, fester Untergrund, den ich sogar mit meinen abgelaufenen Sandalen meistern konnte und schattige Wälder, die der Hitze den Schrecken nahmen. Genau das Richtige also für mich an diesem Tag. Nach einem Drittel der Strecke hörte ich plötzlich Stimmen, eine Gruppe von ungefähr zehn Spaniern kam mir entgegen. Ich hörte sie bereits lange bevor ich sie sah, denn alle redeten durcheinander. Sie hörten auch nicht auf zu reden, als ich an ihnen vorüberlief, doch alle grüßten mich, sozusagen ein „Intermediate Greet“ zwischen zwei Sätzen. Es waren die einzigen Menschen, die ich auf der Strecke traf, auf dem Rest des Pfades blieben die vielen Kräuter und ich unter uns. Manchmal hatte ich Probleme, die Strecke zu finden, denn immer an Gabelungen fehlten Hinweise, doch jetzt hatte ich das Glück, das mir am Anfang gefehlt hatte und ich fand den Weg immer wieder. Nach zwei Dritteln der Strecke machte ich eine Pause, mitten im Wald waren einige Tische und Bänke aufgebaut, dort streckte ich alle Viere von mir, aß ein Stück Omelett von gestern, Salami und Brot. Dazu machte ich etwas Fortschritte bei meiner russischen Lektüre (Dostojewski lässt grüßen), kurz, ich ließ es mir gut gehen. Das letzte Stück war das steilste, obwohl ich es nicht als schwierig bezeichnen würde. Ein schöner Spaziergang eben, der mich immer weiter nach oben führte, von wo aus ich herrliche Aussichten auf die Berge genoss. Die Höchsten sind hier um die 1400 oder 1500 Meter hoch, also recht anständig für ein Mittelgebirge. Doch meine Tour heute führte mich nicht zu den Gipfeln, sondern ich blieb weit darunter. Irgendwann blickte ich auf das Dorf hinunter, sah den Campingplatz und konnte von oben verfolgen, welche Wege ich zu Beginn der Wanderung verfehlt hatte. Was eine Änderung des Blickwinkels manchmal bewirkt. Doch als ich unten ankam, merkte ich auch, dass ich keine Chance gehabt hatte, den richtigen Weg auf dieser Seite zu finden, denn kein Schild verriet die richtige Route. Das war jetzt aber auch egal, denn ich war angekommen.
Eines ist jedenfalls heute auf der Strecke geblieben. Meine schlechte Laune von gestern war wie durch die frische Bergluft weggeblasen und meine Gedanken hatten nur noch positiven Charakter. Auch fiel mir auf, dass wenn ich wählen müsste, ob ich das Meer oder die Berge vorzöge, ich würde definitiv die Berge wählen. Doch das ist vielleicht nur eine Laune, morgen kann das wieder anders aussehen. Die gute Mischung macht es wie immer im Leben.
Morgen bin ich wieder bereit für „normale“ Touristenattraktionen und werde mir Murcia ansehen, bevor ich nach Alicante weiterreise. Damit hätte ich ungefähr die Hälfte der spanischen Küste hinter mich gebracht, habe aber noch wesentliche Highlights wie Valencia und Barcelona vor mir. Vielleicht mache ich noch einen Abstecher in die Pyrenäen. Vor allem wenn ich daran denke, wie erholsam und abwechslungsreich sich die Bergwelt hier herausgestellt hat. Ich stelle fest, dass meine Route allmählich Form annimmt.
Eines brennt mir jedoch unter den Nägeln: Meine Geschichte habe ich seit einigen Tagen nicht fortgesetzt. Ich sollte mich schämen. Tue ich aber nicht. Trotzdem wird es Zeit, etwas mehr Routine zu entwickeln. Vielleicht komme ich morgen in Murcia dazu, in einem netten Café an einem belebten Platz. Das ist für mich immer die größte Inspiration.