Anamur
Ich bin fertig. Beinahe genau ein halbes Jahr, nachdem ich angefangen habe, ist der Roman in einer Form, von der ich sagen kann, dass ich mich traue, ihn anderen zu zeigen. Wahnsinn. Und doch, bis jetzt war es der leichte Teil. Denn nun stelle ich mich dem Feedback einiger Auserwählter, die meisten davon sind durchaus in der Lage, Schwächen zu finden, was die Geschichte sicher braucht, auch wenn es hart für mich wird. Aber wer mag schon gerne Kritik hören. Andere werden einfach nur meine Seele streicheln. Das brauche ich.
Fürs Erste jedoch ist es ein gutes Gefühl, das ich heute Abend auskosten möchte. Zur Belohnung koche ich mir eine Tajine, dazu türkischer Landwein, den ich bereits jetzt trinke. Warum auch nicht? Ich möchte feiern, was ich auch allein sehr gut kann. Eigentlich ist es angebracht, denn das Schreiben des Buches war ebenfalls eine Ein-Mann-Show.
Nachdem ich gestern kaum aufgeschaut hatte, blieben heute noch ca. 50 Seiten übrig, die ich in einem Schwung korrigierte. Danach folgte, was ebenfalls von einiger Bedeutung ist, die grafische Aufwertung. Menschen sind so leicht zu beeinflussen, vor allem negativ, daher werde ich nicht noch einmal den Fehler machen, vielleicht einen Absatz nicht richtig eingeschoben zu haben. Besonders das Lexikon, das wegen der ausgedachten Welt notwendig ist, bearbeitete ich nochmals. Ebenso die Liste der Namen. Danach experimentierte ich mit Schriftgrößen. Alles Kleinigkeiten, die aber wichtig sind. Nicht für mich, denn mir ist es egal. Aber andere lassen sich von Fehlern oder Schnitzer zu leicht in ihrem Urteil beeinflussen. So funktioniere ich auch, selbst wenn ich es mir jedes Mal versuche zu verbieten, wenn ich es merke. Man muss in der Lage sein, Schönheit zu sehen. Auch wenn sie den einen oder anderen Makel aufweist.
Das alles dauerte. Doch um zwei Uhr war ich soweit fertig. Morgen verschicke ich die Geschichte, der heutige Abend aber gehört mir, mit meinen Charakteren, die mir sicherlich kein Glas wegtrinken werden. Verrückt.
Durch das Beenden der Arbeit kann ich morgen ruhigen Gewissens reisen. Heute fuhr ich in die Stadt, Anamur, von der der Rough Guide sagt, dass sie nichts aufzuweisen hat. Der Reiseführer hat recht, eigentlich gibt es keinen Grund herzukommen. Doch mag ich die normalen türkischen Städte, weil sie noch ursprünglich sind. Wildfremde Menschen grüßen einen auf der Straße, halten ein Schwätzchen im Supermarkt, sind einfach freundlich. Es scheint eine echte Wesensart der Türken zu sein. An touristischen Orten mit hohem Sightseeing-Potenzial trifft man so etwas nicht an. Schade eigentlich, aber dort bestimmt eben das Geschäft die Atmosphäre, nicht die Menschlichkeit. Das ist eigentlich die Attraktion in Anamur. Deshalb lohnt es sich doch hinzufahren. Kein Museum, ein Tee in einer Bar, das ist es, was die Erlebnisse hier erschafft. Und diese sind lebendig. Keine toten Steine, sondern Menschen aus Fleisch und Blut.
Als ich wieder auf dem Campingplatz war, brachte mir Pervin, eine attraktive Mittvierzigerin und Leiterin des Platzes, eine warme Suppe. Einfach so, weil ich so viel gearbeitet hatte. Nach so viel Aufmerksamkeit, die mir schon unangenehm wurde, gönnte ich mir eine Stunde am Strand, las ein Buch über Berlin zur Zeit der Luftbrücke und traf auf alte Bekannte, denn die Charaktere leben im Süden der Stadt, wo ich aufgewachsen bin. Sehr schön, vielleicht bin ich doch etwas heimatverbunden.
Das war es eigentlich schon. Morgen werde ich mir einige Ruinen in der Nähe der Stadt ansehen. Dann heißt es weiterfahren. Ich bin übrigens am südlichsten Punkt der Türkei angelangt. Ich denke, sehr viel südlicher wird es generell nicht mehr werden, denn nach Syrien werde ich nicht fahren. Etwas enttäuschend, aber so etwas möchte ich nicht überbewerten, denn es ist, wie es ist.
Dabei fällt mir ein, dass ich gestern eine merkwürdige Szene beobachtet habe. Auf dem Gelände leben zwei Hunde, beide schon recht alt. Einer der Beiden pinkelte auf den Rasen. Der Zweite begann danach, an dieser Stelle zu schnuppern, bevor er die noch nicht versickerte Flüssigkeit in sich hinein schlabberte. Mir wurde ganz anders, aber das Vieh genoss seinen Trunk. Danach tropfte es von der Schnauze. Ich erzähle das, weil ich so etwas noch nie gesehen habe. Komischerweise fiel mir dabei meine Oma ein, die ebenfalls ein sehr merkwürdiges Verhältnis zum Urin gehabt hat. Zu viele Details habe ich zum Glück nie erfahren. Mir reicht es, Hunden bei ihren Wasserspielen zu beobachten. Herzlichen Dank. Denn wirklichen Appetit auf die Tajine habe ich gerade nicht.
Wohl bekomm’s.