Seccagrande

Ich fuhr wirklich ab. Nach fünf Tagen, einer ganz und gar nicht geplanten Zeitspanne für einen eher langweiligen Ort wie diesen, machte ich mich wirklich auf den Weg. Das Wetter war fantastisch, zumindest schien die Sonne den ganzen Tag, auch wenn es langsam immer kühler wird. In der Nacht hatte mich mein Zahn wieder geplagt und so langsam muss ich mir überlegen, was ich dagegen unternehmen will. Ich glaube nicht, dass ich einfach so weitermachen kann, denn bei Schmerzen wie diesen dreht sich ab einem gewissen Punkt alles nur noch darum. Auch bin ich mir nicht sicher, ob es nicht doch Folgeschäden geben kann. Man liest ja einiges, bis hin zu einer Blutvergiftung, die unter Umständen tödlich enden kann. Alles schon da gewesen. Vielleicht schaue ich morgen im Krankenhaus vorbei, um mich an einen Zahnarzt verweisen zu lassen. Das jedenfalls riet mir der Campingplatzbetreiber vor Ort. Vielleicht ist es alles nur eine Frage der Medikamente, Antibiotika oder ähnliches.

Ich fuhr in jedem Fall an Agrigento vorbei. Im Nachhinein ärgerte ich mich, dass ich die grandiosen dorischen Tempel, die von weither zu sehen sind, nicht wenigstens fotografiert habe. Ob ich noch mal herkommen werde, weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich werde ich von ihnen kein besseres Bild bekommen, denn von Nahem sehen die Gebäude meist gar nicht mehr so malerisch aus. Aber vielleicht fahre ich die 50 Kilometer wieder zurück. Es wäre nicht das erste Mal.
Ich bin in einem Ort gelandet, der Seccagrande heißt. Da ich schon recht früh auf dem Platz angekommen war und mir noch etwas die Beine vertreten wollte, machte ich mich auf den Weg in den Ort. Es war ein Trauerspiel, um es gleich vorwegzunehmen. Auf den einsamen Straßen begegneten mir Straßenköter, wilde und unansehnliche Viecher, die mir alles andere als geheuer schienen. Menschen sah ich gar nicht, alles war zu, manche Fenster sogar vermauert. Das ist nicht besonders vertrauenserweckend. Ich lief weiter den Hügel hinunter, bis ans Meer. Auch hier war alles geschlossen. Ich musste lange zurückdenken, wann ich das letzte Mal an einem solchen Ort gewesen war. Wahrscheinlich im Süden Spaniens im Mai, als sich noch kein Tourist in diese Gegend verirrt hatte. Jetzt war es anders herum, alle waren schon wieder weg und haben eine einsame Geisterstadt zurückgelassen. Es war unheimlich, trotz der Sonne und des Meeres, so dass ich meine Runde recht schnell abschloss.

Langsam kommen mir übrigens wieder Rückfahrtgedanken. Ich kann es nicht leugnen, das Ende naht, schneller als ich es wahrscheinlich denke. In zwölf Tagen kommt Nina nach Catania, wir werden hier eine Woche verbringen. Ich sehe es ehrlich gesagt nicht, dass ich meinen Aufenthalt danach noch ausdehne. Aber wo soll ich dann noch hin? Ich kann nur noch nach Tunesien, eine Fahrt nach Norden würde unweigerlich in einer schnellen Abreise enden. Ich ertappte mich dabei, heute einige Routen für die Rückreise durchzuspielen, bevor ich schnell die Karten beiseitelegte und in die dunkelste Ecke verbannte. Kann das sein? Ist es wirklich bald vorbei? Ich kann es noch nicht recht glauben, schon weil ich mir ein Leben in einer Wohnung im Moment nicht vorstellen kann. Auch habe ich meinen Roman nicht einmal richtig angefangen, aber das ist nur eine trübe Ausrede. Ich möchte diese Gedanken eigentlich weder zulassen, noch an diesem Punkt weiter verfolgen und hoffe, dass ich mir nicht selbst eine Idee eingepflanzt habe, die nun zu gedeihen beginnt.

Der morgige Tag wird sicher ein Test, denn ich werde mir ansehen, wie das Gesundheitssystem der Italiener funktioniert. Nachdem ich das britische kenne, kann es eigentlich nur besser werden. Ich kann trotzdem den Gang zum Arzt nicht aufschieben, auch wenn es mich ärgert. Besonders aber ergrimmt mich die Tatsache, dass ich für die verdammte Krone ein halbes Vermögen hingeblättert habe. Die kann ich wahrscheinlich abschreiben. Aber noch mal mache ich nicht den gleichen Fehler. Eine einfache für 200 hätte auch nicht länger gehalten als die für 600. Ich hoffe nur, dass der Zahn nicht heraus muss. Aber es hilft jetzt nichts, wir werden abwarten. Mal sehen, ob Morgen überhaupt etwas geschieht.