Rocamadour
Noch unter den Eindrücken des letzten Tages, der ein sehr nachdenklicher gewesen war, machte ich mich auf den Weg. Der Campingplatz bei Souillac hatte mir nicht gefallen, zum einen stand mein Zelt den ganzen Tag in der prallen Sonne, zum anderen befand es sich direkt gegenüber dem taghell erleuchteten Sanitärblock. Die billigen Plätze eben. Dabei wären massenhaft andere, schattige frei gewesen, aber das will man anscheinend nicht. So also fuhr ich ab, ohne eine Träne zu weinen. Zumindest nicht aufgrund des Platzes.
Einen Teil der Strecke war ich bereits gestern gefahren, aber nur bis Pinsac. Hatte ich am Vortag noch vorgehabt, auch Lacave zu besuchen, so hatte ich keine Lust mehr gehabt. Dann hätte ich aber eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, was mir heute noch bevorstand. Ich habe es mir gedacht, zumindest ungefähr. Rocamadour kommt von Rock Amadour, also Felsen (den man liebt, oder so ähnlich). Dass das keine Flachlandstrecke werden würde, war mir irgendwie klar. Trotzdem gewöhne ich mich nicht daran. Kurz nach Pinsac ging es nach unten bis zu einer Brücke, von der aus ich wundervolle Aussichten auf ein Schloss und die Dordogne genoss. Dann aber ging es bergauf, nicht sehr sanft übrigens. Schon hier schob ich die ca. 45 Kg, die Fahrrad und Gepäck zusammen wiegen. Vielleicht sind es auch nur 40. Keine Ahnung. Ein Sack Zement kommt auf jeden Fall zusammen. Nur, damit man sich eine Vorstellung machen kann. Mit meinen an Zahnstocher erinnernde Beine komme ich nicht weit auf dem Rad, schiebender Weise geht es gerade so. Irgendwann kam ich auf einer Ebene an, dachte, von nun an wird es schon nicht mehr so schlimm werden. Falsch gedacht, es wurde viel schlimmer. Erst einmal erreichte ich jedoch eine Abfahrt, den ganzen Hügel, den ich geschoben hatte, musste ich nun hinunterrollen. In der Ferme entdeckte ich eine Straße, die steil nach oben führte. Nein, das würde sie schon nicht sein, das ist nicht die Straße nach Rocamadour. War sie natürlich doch. Ich erreichte also Lacave im Tal, idyllisch gelegen, ebenfalls mit einem Chateau hoch über den wenigen Häusern, das malerisch gelegen ist. Ich machte eine Reihe von Fotos.
Dann erreichte ich die Straße, von der ich nun wusste, dass ich sie hochfahren musste. Hochschieben, genauer gesagt. Und das tat ich auch. Meine Schultermuskulatur ist zum Glück wesentlich mehr entwickelt als meine Oberschenkel. Immerhin etwas, worauf ich mich verlassen kann. Trotzdem war es höllisch, die Sonne brannte ausgerechnet an diesem Tag, es waren um 11 Uhr bestimmt bereits 30 Grad. Mein Sporthemd klebte an mir, ich verlor viel Flüssigkeit, die ich kaum ersetzen konnte. Ich dachte nicht darüber nach, schob einfach weiter.
Es sollten nur 10 Kilometer sein, von Lacave bis Rocamadour. Waren es sicher auch nur, aber ich musste mehr als 200 Höhenmeter überwinden, um dorthin zu kommen. Wenigstens musste ich allerdings nicht mehr so weit hinunterfahren. Rocamadour erreichte ich schließlich, aus dem letzten Loch pfeifend. Allerdings lag mein Campingplatz noch fünf weitere Kilometer entfernt. Wieder war ich an dem Punkt, wo die geringste Steigung zu viel für mich war. Ich kam nirgends mehr hinauf. Also schob ich ab und zu.
Den Platz erreichte ich schließlich kurz nach Zwölf, vielleicht halb eins. Ich war nur ca. zwei einhalb Stunden unterwegs gewesen, war aber vollkommen am Ende.
Trotzdem habe ich wohl an Fitness gewonnen, denn eine Stunde später machte ich mich auf nach Gramat, wo ich einkaufen wollte. Ich nahm die Strecke über Rignac, einem winzigen Dorf. Ich bereute diese Entscheidung bereits nach wenigen Minuten, denn ich fuhr stetig bergab. Das Dorf liegt im Tal. Gramat, die Stadt, liegt auf dem Hügel. Grimmig also machte ich ein paar teuer (mit Muskelkraft) erkaufte Fotos vom malerischen Dorf mit der wuchtigen uralten Kirche, dann schob ich das Rad wieder den Hügel hinauf.
Gramat erreichte ich zwanzig Minuten später. Es ist nicht die Zeit, die hier meine Währung ist, sondern die Energie, die ich mir aus dem Leib saugen lasse. Gramat ist eine nette Stadt, kaum ein Tourist verläuft sich hierher. Es ist mir ein Rätsel, nur wenige Kilometer von hier liegt eines der bekanntesten Dörfer und Wallfahrtsorte Frankreichs. Aber nichts scheint überzuschwappen. Dabei hat jeder dieser Orte seinen eigenen Charme. Alte Häuser, prächtige Kirchen, hier auch ein großzügiger überdachter Markt, der an diesem Nachmittag sogar voller Buden war. Ich schlenderte also durch die Gassen, schwitzend, weil das Wetter durchaus umgeschlagen ist. Es war der heißeste Tag hier. Schließlich kaufte ich noch ein, bummelte dabei ausgiebig, bevor ich den Rückweg einschlug. Auch hier, auf der Hauptstraße, fuhr ich beinahe permanent bergab. Es ist eine anstrengende Gegend. Flach existiert hier nicht, entweder schieben oder laufen lassen. Getreten wird fast nicht. Es war ohnehin egal, denn ich konnte nicht mehr. Mein Körper befindet sich seit Tagen im Ausnahmestadium. Ich beginne langsam, es zu spüren. Irgendwo werde ich mal einen Tag oder zwei ausspannen müssen. Wahrscheinlich erst wieder in Berlin, wo gerade eine ausgiebige Hitze- und Dürreperiode herrscht. Unser Garten in Gräbendorf ist vollkommen verdorrt. Sehr ärgerlich.