Chania

Es ist ein bisschen frustrierend.
Ich spreche nicht von der Reise, die ist fabelhaft. Sondern von der „Schicksalswahl“ gestern in Deutschland. Es fühlt sich so an, als ob es nur Verlierer gegeben hat. Und zwar auf allen Ebenen. Ich will nicht so sehr ins Detail gehen, aber am meisten wurmt es mich, dass wir wieder keine grüne Bürgermeisterin in Berlin bekommen, stattdessen eine rechte Sozialdemokratin, die vor ein paar Monaten den Doktortitel hat zurückgeben müssen, weil sie abgeschrieben hat. Und die jetzt anscheinend lieber mit Konservativen und Liberalen koalieren möchte, statt mit den Grünen und Linken. Verkehrte Welt. Auf Bundesebene ist es beinahe noch komplizierter, da wage ich nicht mal eine Aussicht. Es wäre so viel möglich gewesen, aber die Wahl war so, wie sie ist. Frustrierend für so ziemlich jeden. Aber am Ende bekommen wir die Regierung, die wir verdienen. Das müssen wir akzeptieren.
Meine Nacht jedenfalls endete gegen halb sieben, wieder schlotternd, denn es war kalt. Wahrscheinlich taugt mein Sommerschlafsack überhaupt nichts. Er ist auch uralt. Ich werde ihn in Berlin wegwerfen, nachdem er mir noch einmal auf dem Rückflug zur Polsterung meines Rades dienen muss.
Den Morgen verbrachte ich mit düsteren Gedanken zur Wahl, es gab kein Entkommen vor den bitteren Wahrheiten und der Realität, die mir Kopfschmerzen bereitet. Es half nichts, ich musste mich dieser Angelegenheit stellen. Ich habe nachgedacht. Seit 2016 wurde mein Leben zusehends von Politik bestimmt. Viel zu viel. In den letzten Monaten auch von der Deutschen, die im Allgemeinen sehr nüchtern und langweilig war, ein Zustand also, den Politik überall einnehmen sollte. Ich betrachte das gestrige Ergebnis als Chance, mich noch mehr aus diesem Thema herauszuziehen. Da ich mich kaum jemals aktiv in die Politik einmischen werde, ist es sowieso praktisch sinnlos. Zumindest insoweit, dass sich in mir immer weiterer Frust aufbaut.
Mal sehen, wie es wird.
Zu meiner Reise heute gibt es kaum etwas zu sagen.
Ich hatte mir heute eine Aufgabe gestellt, endlich die kalten Nächte zu beenden, und zwar mit einer einfachen simplen Jogginghose oder ähnliches, das ich diesbezüglich verwenden könnte. Irgendwo war Markttag, das hatte ich im Internet gefunden, aber ich wollte es vorher in der Stadt probieren. Es sollte keine Shoppingtour werden, denn ich kann und möchte nichts transportieren. Und ich habe auch gerade kaum Sinn dafür. Irgendwie habe ich sowieso das Gefühl, dass sich mein Gepäck immer mehr ausweitet. Auch das ist normal, wenn ich mich recht erinnere, denn jede Reise ist anders, ich stelle ab und zu fest, dass eine Kleinigkeit fehlt. Ich denke aber, dass ich jetzt soweit gut aufgestellt bin.
Um eine kurze Geschichte noch weiter abzukürzen, ich suchte H&M, als Hort preiswerter Kleidung, um vor dem Trödelmarkt nachzusehen, ob ich etwas finden konnte.
Und ich fand.
Ich weiß gar nicht, was es genau ist, eine leichte Baumwollhose, die als Strandkleidung oder auch als Schlafanzughose durchgehen könnte. Sie ist in Größe „S“, und damit ein bisschen groß (!). Meine Hüften werden wohl nicht mehr sehr viel breiter werden. Aber für Nachts werden sie reichen. Und ich brauche sie dringend. Vielleicht kann ich sie auch anderweitig anziehen. Aber das ist alles nicht so wichtig. Das Wetter soll in den nächsten Tagen kühler werden, auch hier wird es Herbst, das ist kaum aufzuhalten. Ich bin noch mehr als zwei Wochen hier. Das ist beruhigend.

Beruhigt stellte ich fest, dass ich nicht mehr zum Markt musste. Ich war froh, diese Aufgabe schnell erledigt zu haben. Danach wollte ich zur Busstation, um mich über meine anstehende Weiterfahrt zu erkundigen. Ich hatte den Busfahrplan heruntergeladen, aber nur einen Bus am Tag nach Kissamos gefunden. Das konnte doch nicht stimmen. Unterwegs ging ich zu Gregorys, ein verlässlicher Ort für leichten und schmackhaften Lunch.
Von dort ging es weiter in Richtung Busstation, die ich nicht gleich fand. Also wollte ich sie mithilfe des Navis im Handy suchen.
Aber ich fand das Handy nicht.
Ich blieb vollkommen ruhig, auch wenn ich Panik in mir aufsteigen spürte. Im Smartphone ist alles. Impfzertifikat, Dateien, dieser Blog, Fotos, meine sämtlichen Kontakte. Es ist alles, PC, Telefon, Fernseher, Musikanlage. Mir wurde bewusst, wie schmerzlich der Verlust gewesen wäre. Selbst wenn ich mein Rad oder einen Teil der Ausrüstung verlieren sollte, wäre es nicht so schlimm wie das Verlieren dieses Smartphones.
Ich lief also zurück zu Gregorys, dort hatte ich es noch gehabt. Ich war auf der Toilette gewesen, hatte es in die Gesäßtasche gesteckt. Als ich den Toilettenblock erreichte, sah ich nichts. Klasse.
Aber dann war es doch dort, lag in einer Ecke der Toilette.
Uff.
Ich atmete tief durch.
Das war noch einmal gut gegangen.
Ich nahm mir vor, es nicht mehr in meine Gesäßtasche zu stecken.
Am Busbahnhof erfuhr ich dann, dass Kissamos auch Kastelli genannt wird. Das muss man mir doch sagen.
Es gibt sicher ein Dutzend Busse dorthin am Tag. Und auch wieder zurück. Meine Weiterfahrt ist jedenfalls gesichert.
Danach wusste ich nicht recht, wohin mit mir. Es war halb Eins, ich lief zum nautischen Museum, hatte aber partout keine Lust, es mir anzusehen. Auch die Altstadt konnte mich gerade nicht interessieren. Es ist ein bisschen die Luft heraus, finde ich.
Der Tag war schon zu angebrochen, um mir noch den Kopf zerbrechen zu müssen. Auch war meine Stimmung noch immer etwas düster. Ein Kaffee würde helfen.
Und so ist es dann. Es ist eigentlich ein Kykladentag, an dem der Besuch eines netten Cafés schon ein Highlight ist. Ich konnte mich meinen Gedanken hingeben, mich meinen Ängsten stellen, mir einreden, dass es schon nicht so schlimm werden wird.
Meine größte Befürchtung ist übrigens, dass eine rechte Regierung das Tempelhofer Feld bebauen könnte. Das wäre jammerschade. Ansonsten kann sie, so glaube ich, keinen wirklichen Schaden anrichten, dazu ist Berlin zu heterogen. Aber die Verkehrswende, die wir dringend benötigen, wird wohl weiter auf sich warten lassen. Als Radfahrer muss ich weiter auf bessere Verhältnisse warten. Überhaupt scheint mir Politik zu großen Teilen nur aus Warten zu bestehen, darauf, dass Leute endlich so weit sind, sich mal zu Veränderungen durchzuringen.
Morgen bleibe ich noch hier, vielleicht mache ich eine kleine Radtour am Meer entlang.
Wenn ich früh losfahre, kann ich der Hitze am Tag ausweichen, denn tagsüber ist es ausgesprochen heiß. Auch nachts ist es nicht kalt, aber zu kalt für meinen komischen Schlafsack. Aber egal, das hatten wir jetzt ausgiebigst.
Morgen ist der letzte Tag hier, vorerst zumindest.
Mal sehen, ob ich ihn besser nutzen werde als den heutigen.