Platamonas

Es ist einfach anders. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, heute mehr zu tun. In jedem Fall habe ich heute, um 14 Uhr, die letzten Worte des Romans geschrieben und somit die Rohfassung beendet. Damit ist natürlich meine gotische Geschichte lange nicht fertig, aber trotzdem ist es ein Erfolg. Leider fühlt es sich komischerweise nicht so an. Hatte ich gehofft, euphorisch zu sein und den Abschluss von vier Monaten Arbeit zu feiern, empfand ich rein gar nichts. Und im Grunde habe ich recht, denn sicher wird mich die Geschichte noch lange beschäftigen. Trotzdem hatte ich mir etwas mehr Freude darüber gewünscht, die sich gar nicht einstellt.
(Anmerkung 18 Monate später: Noch immer überarbeite ich den Roman, sicher zum sechsten Mal. Wann er wirklich fertig sein wird, weiß der Himmel.)

Ich war danach ausgesprochen faul. Und ich merke, dass Schreibroutine etwas anderes ist als Überarbeitungsroutine. Das erste schaffe ich sehr diszipliniert, doch ich stelle gerade fest, dass mir beim zweiten vieles fehlt. Plötzlich fielen mir Ausreden ein, warum ich nicht anfangen könne, auf einmal wollte ich einen Spaziergang machen, auch wenn ich dazu wenige Minuten zuvor keine Lust gehabt hatte. Nur um nicht mit der Überarbeitung anzufangen. Dann begann ein – sicher völlig unwichtiges – Cricketspiel, das ich unbedingt verfolgen muss. Und wer Cricket kennt, weiß, dass damit der Tag verloren ist. Es scheint, als hätte ich beim Auslaufen des Textes alle guten Eigenschaften verloren, die ich mir in den letzten Monaten angeeignet habe. Ich fühle mich nicht sehr gut dabei, denn eigentlich sollte es doch eine Freude sein, einen Roman in eine Form zu bringen, die man anderen auch einmal zum Lesen geben kann. Um später natürlich auch einen Verlag zu suchen.
Ich bin daher ausgesprochen zwiegespalten. Soll ich morgen weiter fahren und das Eigen-Lektorat ähnlich wie das Schreiben „nebenher“ machen? Oder bleiben und mich zwingen zu arbeiten? Schwierig.

Der Ort selbst ist etwas deprimierend. Als ich im Mai in Spanien war, gab es Campingplätze, die waren nicht voller als dieser hier. Doch die Stimmung war anders, es lag eine Spannung über den Orten, die sich vorbereiteten auf die Saison. Die Gesichter der Betreiber waren freudig. Jetzt ist es anders. Die Spannung ist draußen, ich habe beinahe das Gefühl zu stören. Wenn ich auftauche und ganz eindeutig nicht abfahre, erkenne ich beinahe etwas Enttäuschung. Das Schlimmste aber sind die Bäume. Ich merke, dass die Blätter sich verfärben. Vielleicht sind sie auch nur vom langen und heißen griechischen Sommer ausgetrocknet, jedoch fallen sie wie die Schneeflocken im Berliner Winter 2009/10. Vielleicht überträgt sich dieses Nachlassen der Spannung auch auf mich, nur zu gut, dass mir die Ausreden nicht ausgehen. Trotzdem ist es ein eigenartiges Gefühl, vor beinahe sechs Monaten bin ich aufgebrochen, habe eiskalte Nächte in Frankreich und Spanien erlebt. Der Frühling war gerade auf dem Vormarsch, die Natur erwachte langsam. Jetzt legt sie sich gerade wieder hin, und auch wenn es noch ein Weilchen dauern wird, so hat das langsame Sterben doch schon spürbar begonnen. Es macht mich etwas wehmütig.

Ich sah heute von einem Felsen aus den Olymp, er war mit Wolken umhangen. Eigentlich passend für den Berg der Götter, denn auch sie wollen sicher etwas Privatsphäre.
Während ich schreibe, entschiede ich mich gerade, morgen einen weiteren Arbeitsversuch zu unternehmen. Das Internet, das hier leider gratis und einfach zur Verfügung steht, werde ich versuchen zu ignorieren. Ich habe versucht mir das Reisen vorzustellen, Thessaloniki zu besichtigen. Doch kann ich mir das im Moment kaum vorstellen. Von Heute auf Morgen ist mir ein wenig die Lust vergangen, und auch wenn es mich weiter zieht, möchte ich in diesem Augenblick nichts entdecken. Vielleicht ist es Zeit, wirklich inne zu halten, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren. Wie ein Magnet hält es mich hier in diesem Ort, der völlig ausgestorben scheint, in dem es nur geschlossene Restaurants gibt und einige Rentner, die hier die letzten Tage des Sommers verbringen. Über dem ganzen Ort herrscht diese Stille, diese Einsamkeit nach dem Lärm, der hier sicher vor wenigen Wochen noch unerträglich gewesen ist und der nachhallt, dabei natürlich schal geworden ist.
A propos Rentner, der Nazi-Opa kam heute nicht vorbei. Wahrscheinlich hat er mich endgültig als Grünen und Schwulenversteher ausgemacht und ignoriert mich jetzt. Mir ist es recht, dann muss ich mir den Unsinn nicht weiter anhören.
Auch bin ich heute umgezogen. Nicht auf dem Campingplatz, nein, in Berlin, wo Nina alles allein gewuppt hat. Keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass die Wohnung, in die wir in meiner Abwesenheit gezogen sind, vorher von meinem Bruder bewohnt wurde. Das schließt ein, dass er sie völlig dreckig und garantiert nicht leer hinterlassen hat. Wir Thoms sind schon schlampig. Zumindest wenn man uns lässt.

Ich bleibe also morgen hier, werde nicht aufgeben, sondern um meine Geschichte kämpfen. Sie verdient es. Dessen bin ich sicher. Und ich habe nicht vier Monate daran geschrieben, um nun aufzugeben.
Ich stelle den Wecker, arbeite vielleicht am Strand. Aber arbeiten werde ich Versprochen.