Ölüdeniz

Heute wollte ich mich belohnen, einen Tag frei von meinem Roman. Zu meinem Erschrecken jedoch weckte mich um kurz nach sieben das unverkennbare Trommeln auf dem Camper, was zu einem sofortigen Aufspringen und Einsammeln meiner Wäsche führte, die draußen noch immer vor sich hin trocknete. Kein besonders guter Start also. Und ebenfalls nicht besonders vielversprechend, denn ich hatte heute vor, endlich ein Stück des Lykischen Weges zu laufen.
Es blieb bei den wenigen Tropfen, aber die Gipfel der Berge, wo ich den Weg vermutete, lagen in dichte Wolken gehüllt über mir. Ich zögerte lange, doch wusste ich mit mir heute eigenartigerweise gar nichts anzufangen. Es war ein Wandertag, mein Geist und Körper forderten ihn mit Vehemenz, in dem sie alles andere blockierten. Schließlich gab ich nach, packte meine Sachen, ergriff meinen selbst geschnitzten Wanderstock und begab mich zur Bushaltestelle. Die kurze, aber steile Fahrt dauerte nur wenige Minuten.
Es ist ein recht unspektakulärer Start zu einem berühmten Wanderweg, der sich immerhin 500 Kilometer weit bis nach Antalya erstreckt. Ungefähr einen Kilometer nach der Haltestelle steht ein riesiges Schild, unter dem man hindurchgehen kann. Wer diese Aufgabe annimmt, empfindet es vielleicht anders, im Grunde ist es sicher egal, denn man muss nicht weit laufen, dann wird dieser Pfad schon von selbst grandioser. Der Weg ist anfangs recht breit, eine sanfte Steigung führte mich in die Höhe. Die Sicht auf die Lagune und die Berge wurde immer besser, je höher ich stieg. Ein kleines Schild wies mich darauf hin, dass ich meinen Müll auch wieder mitnehmen solle, für mich eine Selbstverständlichkeit, für andere ganz offensichtlich nicht, denn es liegen leider überall Plastikflaschen, Tüten und anderes Zeug herum, das nicht verrottet. Hier wurde der Weg zu einem Pfad, das Laufen zum Wandern, denn ab jetzt musste ich auf jeden Schritt achten. Auch die Steigung wurde herausfordernder, was ich allerdings erst später merken sollte. Dicht am Hang lief ich entlang, die Ausblicke sind einfach traumhaft. Ich weiß gar nicht, wie viele Fotos ich von der Bucht unter mir machte, nur für den Fall, dass es immer schöner werden würde. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie hoch mich der Pfad führen würde. Eigentlich hatte ich angenommen, dass er kaum noch anstiege, sich auf dem Niveau der Bushaltestelle befände. Das war ein Irrtum, denn ich kraxelte immer weiter. Auf einem Rastplatz traf ich drei ältere deutsche Damen, die alle wesentlich fitter wirkten als ich. Zu diesem Zeitpunkt überlegte ich, ob ich wieder umkehren sollte, denn ich näherte mich der Wolkengrenze. In den Alpen wäre ich nicht losgelaufen, hier schien es mir ebenso unvernünftig. Die drei Damen fanden das komisch, waren überzeugt, dass es nicht regnen und auch der Nebel sich bald verziehen würde. Ich kam mir albern vor und konnte mich natürlich nicht lumpen lassen. Ich überholte sie fünf Minuten später. Sollte es regnen, würde ich bei einem Tee im Trocknen auf sie warten.

Der Pfad schlängelte sich immer höher, dabei wurde es immer kühler, denn ich befand mich mitten in den Wolken. Die Bucht unter mir verblasste, der Nebel verschluckte sie mehr und mehr. Doch der Weg selbst blieb immer interessant und herausfordernd. Ich war froh, gute Trekkingsandalen zu tragen. Eigentlich waren selbst die nicht angemessen genug, wie ich später feststellen sollte. (Anmerkung ein Jahr später: Ich würde heute jedem empfehlen, diesen Weg mit guten Wanderschuhen zu begehen.)

Nach einigen Stunden erreichte ich das erste Dorf. Dort pflückte ich einen Granatapfel von einem herrenlosen Baum. Ich glaube, dass ich so etwas noch nie gegessen habe. Ich liebte diese angenehme Säure, saugte an dem saftigen Fleisch, die Kerne spuckte ich danach einfach aus. Keine Ahnung, ob man das so macht. Dann sah ich die ersten Laubbäume, ich denke, die andere Vegetation bestand ausschließlich aus Nadelbäumen. Die Blätter waren alle schon gelb und mir fiel auf, wie weit der Herbst schon vorangeschritten ist. Da es wieder sehr warm ist, kam es mir in den letzten Tagen eher wie Anfang September vor.

Hier oben wird massenweise Honig hergestellt. Überall summte es, Dutzende Bienenhäuser/Kisten stehen auf den Feldern, die Imker waren fleißig bei der Ernte. In diesem Moment hatte ich wirklichen Appetit auf Honig. Hätten sie ihn hier oben angeboten, wäre ich nicht abgeneigt gewesen zu kaufen. Aber das verflüchtigte sich schnell. Eigentlich hätte ich ruhig fragen können. Dann erreichte ich das zweite Dorf. Es sah noch ursprünglich aus, die Menschen hatten ihre traditionelle Kleidung an, auch wenn ich eigentlich nur Ältere traf. Alle waren sehr freundlich, grüßten den zerzausten Wanderer.
Hier merkte ich allerdings, dass es an der Zeit war umzukehren. Meine Beine waren schwer, die Steigung hatte ich wie immer unterschätzt, meine Kräfte auch. Irgendwann traf ich die drei Damen wieder, die den Weg fortsetzten.
Es ist immer etwas anderes, einen Weg auch zurückzugehen. Alles sieht völlig anders aus, denn meist ist die Tageszeit eine andere und somit das Licht unterschiedlich. Auch ist die Blickrichtung genau anders herum, ich bemerkte Aussichten, die ich vorher nicht wahrgenommen hatte. Hier allerdings rächten sich meine Müdigkeit und mein schlechtes Schuhwerk, ich hob meinen Fuß nicht richtig und knickte in der Folge um. In dem Moment, in dem es geschieht, ist es nie sehr schlimm. Aber jetzt in der Ruhephase merke ich es doch.

Die Strecke, die ich heute gelaufen bin, betrug ungefähr zwanzig Kilometer, für die ich ziemlich genau sechs Stunden benötigt hatte. Auf dem Weg habe ich überlegt, vielleicht einmal die ganze Strecke bis Antalya zu laufen. Ist doch sichere besser als diese ganzen christlichen Wege. Der Hype darum ist mir seit „Ich bin dann mal weg“ einfach zu groß, auch wenn es ein wirklich gelungenes Buch ist. Aber das mache ich ein andermal.
In jedem Fall soll es morgen endgültig regnen, also werde ich eine Pause einlegen und ins Kino gehen. Und ganz sicher die „Finishing Touches“ an mein Buch anlegen.
Ich hoffe auf etwas Euphorie, wenn ich endlich fertig bin. Bis jetzt lässt sie auf sich warten.