Villach

Vor zwei Jahren war ich schon einmal auf diesem Campingplatz, damals auf dem Rückweg von meinem Kroatien-Urlaub. Damals fuhr ich zurück ins Ungewisse, denn es standen erhebliche Veränderungen bei meiner damaligen Stelle an. Ich übernahm direkt nach meinem Urlaub ein neues Team, neue Herausforderungen, aber auch neues Glück mit anderen Charakteren. Für mich war es der Anfang vom Ende, denn das neue Glück und die neuen Herausforderungen dauerten nicht lang an. Ein Dreiviertel Jahr später war ich in meine Freiheit entlassen und hatte als Führungsperson die schlimmsten, aber lehrreichsten Erfahrungen meines Lebens hinter mir, die man überhaupt machen kann. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich es damals geschafft, Teile meines Teams gegen mich aufzubringen. Eigentlich nichts Schlimmes, denn das ist nun einmal die Wahl, die man als Angestellter in solchen Positionen nun einmal zu wählen hat, nämlich nicht nach dem Willen von Alteingesessenen zu reden, deren Ziel es natürlich ist, weiter ohne Schwierigkeiten und Veränderungen durch den Alltag zu kommen. Diesmal jedoch gingen meine Probleme weiter, denn mein Chef hatte sich hinter meinem Rücken mit diesen Teilen des Teams verbündet. Sie hatten wie üblich auf meinen schwächsten Moment gewartet, der Tod meiner Großmutter war der richtige Anlass für den Angriff, der mich damals eiskalt und auf dem falschen Fuß erwischte. Von diesem Vorstoß habe ich mich dort niemals erholt. Selbst als es an die Zeit der Abrechnung ging, eine Abreibung, die ich meinem Chef angedeihen lassen wollte, fehlte mir der Wille, ihn durch eine schlimmere Hölle zu schicken als die, die er für mich vorgesehen hatte. Gut für ihn, gut für mein Karma. So sehe ich das heute.
Hier also erinnerte ich mich, ließ diese Zeit, die damals noch voller Hoffnung war, an mir ein weiteres Mal vorüberziehen. Es war auch noch die Hoffnung, in dieser Firma endlich eine Stelle gefunden zu haben, in der ich als Charakter, als echte Person ohne Schauspiel, meinen Platz finden konnte. Ein tragischer, wenn auch heilsamer Akt der Selbsttäuschung. Was folgte, war eine so intensive Zeit, dass ich noch immer davon profitiere, als Mensch und als Schriftsteller. Es war ganz sicher keine schöne Zeit, vieles würde ich im Nachhinein gerne verändern und ich verstehe mich heute selbst nicht mehr, wie ich mich so schnell in den schwärzesten Zeiten zurückziehen konnte. Zeige nur eine Sekunde Schwäche und du verlierst an Grund und Boden, den du nie wieder zurückgewinnen kannst. Dort war es zumindest so. Solle ich jemals wieder in eine ähnliche Situation geraten, werde ich mein Heil im Angriff suchen. Einen Test wäre es jedenfalls wert.

Die Nacht war eine, die ich lange nicht vergessen werde. Erst konnte ich kaum schlafen, denn die Hitze ging einfach nicht aus dem Camper heraus. Dann, irgendwann in der Nacht, erwachte ich, weil etwas an meiner Transe rüttelte. Es war der Wind, aber was für einer. Natürlich hatte ich mein halbes Inventar noch draußen zu stehen, Tisch und Stuhl und eine Reihe von Utensilien wie Teller und Besteck, dass ich nun vor dem Unbill der Naturgewalt zu retten suchte. Halb nackt lief ich herum und suchte den Boden ab. Ich war nicht der Einzige, denn besonders die „Zelter“ kämpften naturgemäß noch heftiger als ich gegen den Sturm. Die meisten hatten so billige Zelte, dass sie einpackten und abfuhren. Das Schauspiel endete dort aber nicht, denn in der Ferne zuckten die Blitze, das Donnern war noch nicht zu hören. Die Berge, die sich mehrere Hundert Meter vor mir erstreckten, wurden in dieses eigenartige, immer wieder kurz aufflackernde Licht getaucht, die Atmosphäre war gespenstisch-faszinierend. Ich sah es mir aus der sicheren Perspektive innerhalb des Campers aus an. Irgendwann holte mich der Schlaf doch ein, ich erwachte, als sich endlich ein paar Tropfen auf den Boden verloren. Die lange erwartete Abkühlung war da, die sich sofort auf das Klima im Camper auswirkte. Mit dem Effekt allerdings, dass ich am Morgen nicht aus dem Bett fand. Erst um neun stand ich auf, egal, es war Sonntag.
Hatte ich noch mit dem Gedanken gespielt, zwei Nächte zu bleiben, erschien es mir jetzt zu langweilig. Zwar hatte ich unter der Hitze gelitten, doch war diese nie in der Lage gewesen, mich vollständig von Aktivitäten abzuhalten. Bei Regen sieht das anders aus. Der Gedanke, noch einen Tag hier mit Nichtstun zu verwenden, gefiel mir nicht. Ich konnte genauso gut meinen Weg nach Österreich fortsetzen, wo ich zwar auch nichts tun würde, jedoch morgen, wenn ich meine Erledigungen auf deutschsprachigem Boden beginnen wollte, früher starten könnte. Also fuhr ich nach Villach.

Am Ende spülte es mich nach bereits zwei Wochen genauso aus Italien hinaus, wie es mich hinein gespült hatte. Eine eigenartige Entwicklung. Italien ist für mich wie eine üppige Schönheit, die man inzwischen so lange und gut kennt, dass man ihre Schönheit kaum noch bemerkt. Die anfängliche Leidenschaft ist von den vielen Höhepunkten aufgezehrt, man liebt sie zwar, kann aber auch ohne. Es ist schade, eine Art Verschleißerscheinung, gegen die ich mich normalerweise wehren würde. Jetzt aber, zur Hauptsaison, schaffe ich das nicht, denn der stetige Gedanke, mir diesen Teil der Reise eigentlich nicht leisten zu können, gepaart mit dem kaum zu ignorierenden Andrang von Touristen, lassen mich akzeptieren, dass es besser ist, zu einem anderen Zeitpunkt, im Rahmen einer anderen Reise zurückzukehren.

Die Überquerung der Grenze bemerkte ich kaum, ein winziges Schild hieß mich in Österreich willkommen. Nach fast vier Monaten war ich zurück auf deutschsprachigem Boden. Ob ich diesen Gedanken mochte, weiß ich noch nicht zu sagen.
Wenn meine Reise ein gleichschenkliges Dreiecke wäre, so befände ich mich jetzt am Scheitelpunkt. Ich habe den nördlichsten Teil des Trips erreicht, Berlin, einst an die 5000 Kilometer entfernt, liegt nur noch 900 Kilometer weit. Ab jetzt geht es wieder abwärts. Aber das sagt man nicht, denn rein geografisch geht es gen Norden. Alles eine Frage der Perspektive.

Morgen werde ich mich um Reiseliteratur bemühen, denn ich habe es während der Zeit der Vorbereitungen vollständig ignoriert, mich um den östlichen Teils Europas zu kümmern. Zumindest etwas möchte ich mich vorbereiten, so dass ich morgen einen Buchladen finden möchte, der mir die Rough Guides und Lonely Planets für Slowenien und Montenegro bestellt. Vielleicht Auch Bosnien-Herzegowina. Albanien gibt es nicht, da fährt anscheinend niemand hin.
Um die Vorderreifen des Autos muss ich mich auch kümmern. Es werden also organisatorische Tage hier, in denen ich mich in der Kühle auf die Weiterfahrt vorbereiten werde.
Ich bin gespannt, wie es weiter geht. Ab jetzt wird es definitiv wieder ein wenig abenteuerlicher. Und das ist gut so.