Grimauld, Cogolin & Collobrières

Mein erster Pastis in der Provence steht vor mir und macht vieles besser. Nach einer abermaligen, kaum gewollten Fahrt auf einem engen Bergpfad, der Fahrer und Beifahrer alles abverlangt hat, haben wir uns unser Eveningdrink wohl verdient.
Begonnen hat alles heute Morgen mit der frenetischen Suche nach einem neuen Campingstuhl. Einer der beiden alten war schon vor Wochen durch mein Fliegengewicht überfordert worden und hatte damals den Weg in die Welt der nicht mehr gewollten Möbel angetreten. Natürlich hatte ich in all der Zeit nicht daran gedacht, ihn zu ersetzen, so dass wir zwei Tage mit nur einem Stuhl verbringen mussten. Solch ein Möbelstück beim Campen ist der ultimative Luxus, wie jeder Backpacker sicher bestätigen kann. Ein Luxus, auf den ich heutzutage nur ungern verzichte. Daher war auch die Suche nach einem geeigneten Stuhl in zwei (!) Hypermarchés absolut notwendig, auch wenn in beiden der unbedingte Eindruck entstanden ist, dass die Einwohner von Fréjus seit Wochen gehungert haben und heute, an diesem speziellen Montag, das erste Mal wieder einkaufen konnten. Allein das Anstehen an der Kasse kostete uns mindestens eine halbe Stunde, was auch auf die Langsamkeit der Kassierer zurückzuführen ist, die ihre Arbeit für meine Begriffe eine Spur zu gewissenhaft und sorgfältig machen, gerade in Anbetracht der Schlangen von immer ärgerlicher werdenden Einkäufer. Am Ende jedoch waren wir stolze Besitzer des geeigneten Möbelstücks, unsere Nerven hatten jedoch bereits gelitten.

Unsere Fahrt ging etwas landeinwärts, auf der Straße nach St. Tropez verloren wir durch den anscheinend üblichen Stau wieder sehr viel Zeit. Irgendwann jedoch konnten wir nach Grimauld abbiegen, dort wollte niemand außer uns hin. Bald schon näherten wir uns dem Ort, der bereits von weitem spektakulär aussieht. Er klebt sich an einen Hügel, hoch über der Stadt ist eine Burgruine, die malerisch aussieht. Grimauld ist einer der Orte, auf die man nach einer solchen Anfahrt förmlich brennt und gar nicht schnell genug mit der Besichtigung beginnen kann. Sobald man jedoch angekommen ist, sollte man dieses Tempo enorm reduzieren, denn sonst entgehen einem zu viele Details. Es sind Kleinigkeiten, riesige Blumenstauden ranken sich an alten Häuserwänden empor, oft hängt der schwere Duft von Jasmin in der Luft, den ich liebe wie keinen anderen. Jede kleine Gasse hat ihren Charme und gehört erkundet. Wir hatten Glück und mussten mit dem Camper erst am Ort vorbei, so dass wir unseren Rundgang nicht auf den ausgetretenen Touristenpfaden begonnen hatten. Fast ohne einen Menschen zu sehen kamen wir an den mittelalterlichen Gassen entlang zur Burg, eine wildromantische Ruine, die von Flora und Fauna eingenommen und erobert ist. Der Ausblick auf die Gegend von dort oben ist gewaltig, vor allem vom Blick auf das hübsche Dorf darunter konnte ich nicht genug bekommen. In der Ferne sah ich eine alte Mühle, davor einen Friedhof. Wie symbolisch.
Auch die Besichtigung von Grimauld war ein voller Erfolg, ich liebe es einfach, diese engen Gassen zu erkunden. Die Kirche schauten wir uns diesmal ebenfalls an, es ist ein durch und durch romanischer Bau. Innen sieht es aus wie in einem düsteren Lagerhaus. Die Fenster sind winzig klein und lassen kaum Licht hindurch – so wie es in einer romanischen Kirche sein muss. Sie ist das wuchtige Zeichen kirchlicher Gebäude, bevor die Eleganz der Gotik mit ihren hellen und luftigen Bauten in Mode kam.
Wir befanden uns nun etwas weiter unten, gingen am alten Templerhaus vorbei und kamen auf so etwas wie eine Hauptstraße. Hier reihte sich ein Immobilienmakler an den nächsten und erinnerte uns daran, dass wir nicht weit von der azzurischen Küste entfernt waren. Diese Preise, meine Güte. Selbst wenn ich einen gut bezahlten Job hätte, könnte ich diese Summen nicht aufbringen, nicht einmal für eine mickrige Einzimmer-Wohnung. Hier änderte sich auch die Atmosphäre, eine kleine Touristenbahn kündigte sich an, ein Zeichen, dass wir lieber weiterziehen sollten. Auch hallte uns von überall her der ewig schallende Ton südafrikanischer Tröten entgegen, in fast jedem Café lief ein Fernseher mit dem aktuellen Spiel der Fußball-WM.
Das war das letzte Zeichen, das wir brauchten, um weiter zu fahren.

Der nächste Ort war nicht weit entfernt, Cogolin machte auf uns gar keinen touristischen Eindruck. Trotzdem hatte er einen gewissen Charme, wenn auch derberer Natur. Für mich fehlte eine Art Höhepunkt, auf den ich mich hätte fokussieren können, wie zum Beispiel eine Burgruine. Am Ende erkundeten wir wieder die Gassen und Straßen, ebenfalls eine interessante Angelegenheit.
Was nun folgte, wird in späterer Zeit bei Nina und mir sicher als eine schlechte Wahl gelten. Als nächstes Dorf, von dem wir dachten, dass es auf unserer Route liegt, hatten wir Collobrières gewählt. Eigentlich war es nicht weit weg, nur ca. 25 Kilometer, doch die hatten es in sich. Wir fuhren die D14 entlang, ein schmaler Weg, der viele Hundert Höhenmeter in Serpentinen überwindet. Dazu kommt noch der Gegenverkehr, mit sehr viel Mühe und Fantasie passen zwei Fahrzeuge aneinander vorbei. Wenn nicht noch die ungesicherten Abgründe hinzugekommen wären, hätte es vielleicht sogar ein bisschen Spaß gemacht, doch auf diese Weise schwitzten Nina und ich Blut und Wasser. Der Camper ist für Fahrten dieser Art nicht gemacht, er ist langsam, schwerfällig und kantig. Am Ende waren wir beide froh, in Collobrières anzukommen, wir hatten für die wenigen Kilometer weit mehr als eine Stunde gebraucht. Auch der Campingplatz stellte eine Herausforderung dar, denn die Steigungen waren beinahe schlimmer als alles, was wir bereits erlebt hatten. Aber jetzt ist es überstanden, der Pastis vor mir verdunstet schneller als es mir lieb ist und wir genießen die Stille des malerischen Bergdorfes, das sicher ein fantastischer Ausgangspunkt für Wanderungen in der Gegend ist.

Eines nur macht mir Kummer: Ich schaffe es nicht, meine gotische Novelle weiter zu schreiben. Es ist bereits der dritte Tag in Folge und ich merke bereits, wie der Fluss langsam abreißt. Ich werde eine Lösung finden müssen, wenigstens eine Session muss ich jeden Tag schreiben, sonst brauche ich nicht weiter daran zu arbeiten. Es ist ein neues Stück Routine, das ich finden muss. Das ist bitter nötig, sonst wird meine Enttäuschung grenzenlos sein. Will doch niemand, oder?