Villach

Es war einer der wenigen Tage, an denen ich nichts Besonderes vorhatte. Um sieben weckte mich mein Rücken, mal wieder, ansonsten potterte ich umher, so dass ich letztlich nicht vor halb zehn bereit für irgendwelche Schandtaten war. Noch immer mache ich mir wegen meiner möglichen Reiseroute Gedanken. Dabei ging mir der Ausspruch eines Zenmeisters durch den Kopf, den ich bei Rüdiger Nehberg gelesen habe.
Er sagte, wenn er sitzt, sitzt er. Wenn er steht, steht er. Wenn er läuft, läuft er. Auf die erstaunte Aussage seiner Zuhörer, die meinten, dass sie das auch täten, sagte der Meister: Wenn ihr sitzt, steht ihr bereits. Wenn ihr steht, lauft ihr schon. Wenn ihr lauft, seit ihr schon angekommen.

Diese Aussage beschäftigt mich bereits seit geraumer Zeit. Meine Reise ist oft durch das nächste Ziel bereits beeinflusst, doch sollte es so nicht sein. Auch heute wanderte ich einen kleinen Hügel hinauf, ich hätte mich einfach am Wandern selbst erfreuen können. Doch machte ich mir die ganze Zeit Gedanken, wie ich weiter fortfahren könnte. Hin- und her überlegte ich, war schon viele Monate im voraus, manchmal bereits im Januar. Entschuldigung, wir haben Juli.
Erst an diesen Erfahrungen merke ich, wie wenig ich eigentlich „bewusst“ lebe, wie sehr mich mein Kopf noch steuert, wo er eigentlich schon still sein sollte. Kenne ich mich nicht inzwischen gut genug, um nicht bereits verstanden zu haben, dass alles, was ich mir heute vornehme, höchstens noch für morgen, wahrscheinlicher Weise aber nicht mehr für übermorgen gilt? Wie oft habe ich auch hier, an dieser Stelle, von Plänen geredet, die sich dann nie realisiert haben, weil ich sie entweder vergessen oder mich völlig anders entschieden habe. Warum also verderbe ich mir immer noch den Moment, das Laufen, das ich so liebe? Ich habe keine Antwort darauf, weiß nur, dass mir in dieser Richtung noch eine Menge Arbeit bevorsteht.

Das Wandern war eigentlich nicht mehr als ein kleiner Spaziergang. Ich stieg den Hügel immer höher. An einer Stelle wurde ich von einem Radfahrer überholt, der eigentlich nicht sehr viel schneller war als ich. Dafür schnaufte er wesentlich mehr und man sah ihm an, dass er eigentlich lieber abgestiegen wäre, um zu schieben. Ich hätte das gemacht, aber er konnte sich diese Schwäche vor einem Fremden natürlich nicht geben. Also strampelte er weiter, immer in dem Bewusstsein, dass ich kurz hinter ihm lief. Um ihn aus seiner miserablen Situation zu befreien, blieb ich irgendwann stehen, um nachzusehen, ob ich nicht ein paar Blaubeeren naschen könnte. Bis auf zwei winzige Walderdbeeren fand ich aber nichts. Als ich mich wieder dem Weg zuwandte, war der Fahrradfahrer hinter der nächsten Biegung verschwunden. Wir trafen uns auch nicht mehr. Kurz darauf hatte ich mein Ziel, eine Alm, erreicht. Es war Zeit für Brotzeit. Ich bekam ein zünftiges Holztablett mit mehreren dicken Scheiben Graubrot, dazu eine riesige Salami und einige Tomatenscheiben. Wo denken die Leute eigentlich soll ich das hinessen? Ich tat mein bestes, immer noch ein Stück. Es war aber auch köstlich. Nebenbei schrieb ich, wie gesagt, wenn ich sitze, sitze ich, wenn ich esse….usw.
Nebenher hörte ich einigen Einheimischen zu, die sich über einheimische Sachen unterhielten, zum Beispiel der Pflege des Waldes. Und einer Wiese. Das war ein Stunden füllendes Thema, ich habe wegen des Dialekts und wegen der Tatsache, dass das Lauschen ungehörig ist, wenig mitbekommen. Von Wild war wohl die Rede.
Dabei musste ich an eine Situation denken, die beim Aufstieg geschehen ist. Ich kam an einem Kuhstall vorbei und ertappte mich dabei, die Luft hier tief einzuatmen. Meine Gedanken dabei, herrlich, diese Landluft. Erst eine Sekunde später wurde mir die Perversion bewusst. Ich roch Kuhscheiße, und das genussvoll. Dass eingefleischte Städter so etwas tun, gehört vielleicht dazu, es ist bezeichnend, dass es das ist, was wir mit dem Land in Verbindung bringen. Kuhscheiße. Naja, ist doch auch eine Aussage.

Irgendwann verabschiedete ich mich: „Tschüß“, antwortete ich auf das „Wiederscharn“. Den Blicken daraufhin wich ich aus, in dem ich mich schleunigst vom Hof machte, hörte aber, dass sich die Einheimischen darüber mächtig amüsierten.
Landeier.
Von nun an ging es fast nur noch abwärts, manchmal rutschend, manchmal festen Trittes. In jedem Fall kam ich heil unten an.
Einen Tag noch werde ich hier verbringen. Ich hatte noch einen anderen Einfall, diesen Ort hier im Sinne meiner Reise zu beschreiben. Wenn meine Route die Schenkel einer Frau sind, dann war Marokko der Fuß, Spanien der Unterschenkel, Frankreich der Oberschenkel, Italien der Hinternansatz. Was für ein Arsch. Und Österreich? Klar, das Objekt aller Leidenschaft. Deshalb ist es hier so bewaldet. Vielleicht bin ich deshalb auch so lange hier.
Ich denke, ich brauche Sex. Nina ist allerdings gerade abgefahren. Verzwickte Situation.
Mal sehen, was sich morgen ergibt.