Museum of Contemporary Art Athen
Der letzte Tag in Griechenland.
Am gestrigen Abend bin ich spontan ins Kino gegangen, den letzten Bond-Film mit Daniel Craig. Irgendwie fühlte es sich an, wie überhaupt der letzte Bond-Film. Wer weiß?
Aber keine Spoiler, das ist auch kein Filmreview.
Heute Morgen stand ich pünktlich um sieben auf. Ich kann kaum anders. Später geht irgendwie nicht. Muss ja auch nicht und ist auch nicht wirklich früh, wenn man bedenkt, wie früh ich morgen aufstehen muss.
Es war ungewöhnlich grau draußen, Regen lag in der Luft. Ich aber beeilte mich nicht, zog meine Morgenroutine durch, 25 Minuten Yoga. Es wird wirklich langsam besser. Flexibler und kräftiger. Langsam. Aber sicher.
Gegen zehn machte ich mich auf den Weg. Es regnete schon ein bisschen, war aber nicht der Rede wert. Regen war vorhergesagt. Sollte es doch.
Die U-Bahn fand ich problemlos. Ich kenne mich ja mittlerweile hier gut aus. Unheimlich. Mit der Linie 1 (von dreien) fuhr ich bis nach Omonia, stieg dort um. Mein Ziel: Das Museum für Moderne Kunst. Ich wollte ihr wieder eine Chance geben. Man muss sich mit Kunst beschäftigen, um sie zu verstehen, hatte einst ein Dozent von mir gesagt. Ich weiß nicht, ob er recht hat. Aber ich wollte es erneut probieren.
Als ich bei der Station Fix angekommen war, regnete es in Strömen. Ich stand eine Weile vor einem Burgerstand unter der Markise, es hörte aber nicht auf. Es war auch kein leichter Regenfall, der nichts ausmacht, sondern ein unangenehmer Fluss von oben, der die Straßen bereits in kleine Rinnsale verwandelt hatte. Aber ich kämpfte mich vor, von einer Markise zur nächsten, nur um wieder aufgehalten zu werden. Das Museum lag direkt vor mir. Irgendwann, als es mal nicht so sehr regnete, passierte ich die Straße, rannte zum Eingang, oder das, was ich für den Eingang hielt. Es handelte sich aber nur um den Personaleingang. Der Wachmann schickte mich tatsächlich einmal ums Gebäude. Ich weiß nicht, was in solche Leute gefahren ist. Es goss in Strömen und man wird wieder nach draußen geschickt. Er hätte mich ja auch einfach hineinlassen und ein paar Schritte zur Ticketoffice gehen lassen können. Und zwar drinnen.
So in etwa aber ging es weiter. Ich hatte etwas durchnässt irgendwann den Haupteingang erreicht. Dort fand ich wieder Wachpersonal vor. Ich wurde beinahe angebellt: covid pass. ich stand irgendwie auf dem Schlauch. Vielleicht sehe ich in meinen etwas gelittenen Klamotten auch wie ein Impfgegner aus. Ich finde aber eigentlich, dass man natürlich fragen darf und auch soll. Aber muss denn dieser Ton sein?
Schließlich war ich drinnen.
Das Museum gefiel mir sofort, und zwar das Gebäude schon.
Es hat etwas riesiges, kühles. Fast überall ist es weiß gestrichen, aber auch viel Beton liegt noch frei. Die Räume sind hoch und weit, man hat Platz. Hinzu kam noch, dass kaum jemand da war. Beruhigend.
Ich fuhr mit der Rolltreppe, die mich irgendwie beeindruckte, erst einmal in die vierte Etage. Man kann diese Rolltreppe tatsächlich mit den Augen durchgängig bis nach oben verfolgen. Eigentlich fängt die Ausstellung in der dritten an, aber das war mir egal.
Ich will jetzt nicht die ganze Ausstellung beschreiben, ich hatte auch nicht immer inneren Zugang dazu, aber Einiges hat mich doch nachdenklich gemacht.
Ganz oben, in der fünften Etage, befindet sich ein Holzschiff. Es hat keine Segel, nur eine Fläche, die mit Boxen zugestellt war, an denen man vorbeilaufen konnte.
Darin befanden sich Sachen, meist Kleidung. Und jeweils eine große Tafel, auf der Textschnipsel aufgeklebt waren. Es handelte sich dabei um Original-Tagebucheinträge, so deutete ich es zumindest.
Zu den Schnipseln passend waren auch immer Dinge dazugeklebt, Knöpfe, Gips, kleine Zeichnungen, was eben passte. Vielleicht war es auch der Künstler selbst, der das getan hat. Die Einträge jedenfalls waren auf vergilbtem Papier geschrieben, nur Schnipsel, mit Bleistifteintragungen. Meist nur ein Satz oder zwei.
Es waren vielleicht zwanzig Kisten zu sehen. Und anhand dieser Kisten konnte ich das Leben des Künstlers verfolgen. Es handelte sich um einen Russen. Nicht politisch, aber er beschrieb sein Leben. Es waren jeweils Ausschnitte, zusammengesetzt, sodass ich mir einen Eindruck machen konnte, was er erlebt hat. So ging er seinen Weg.
Besonders beeindruckend waren die letzten beiden Kisten. Oder die letzten drei. Irgendwann nämlich stand dabei: das letzte Jahr.
Das war 1993.
In der nächsten Kiste war keine Tafel mehr, nur noch Kleidung. Die letzte Kiste war dann vollkommen leer. Nichts ist geblieben.
Es ist vielleicht das erste Mal, dass ich so etwas wie Konzeptkunst ansatzweise verstanden habe. Vielleicht weil sie eine Geschichte erzählte, weil sie ein Leben nachgezeichnet hat, das sicherlich ungewöhnlich gewesen ist. Ich muss mal über den Künstler lesen, dann verstehe ich es vielleicht besser.
Die letzten beiden Kisten aber berührten mich, weil ich Brücken schlagen konnte. Zum Leben. Und auch zum Tod. Was bleibt von einem Leben? Eine Kiste voller Kleidung, die niemand mehr braucht. Was macht man damit? Man wirft sie weg, die letzte Kiste ist also leer. Es nutzt einem ja auch nichts mehr, man ist ja nicht mehr da.
Das ist auch das, was wir als erstes gemacht haben, als unsere Eltern gestorben sind. Wir haben die Kleidung weggeworfen. Es ist nichts mehr da, außer ein paar Erinnerungsschnipsel, vielleicht ein Foto. Aber ansonsten hinterlassen wir erstaunlich wenig auf unserem Weg.
(Anmerkung: Bei dem Künstler handelt es sich um Ilya Kabakov, der übrigens noch lebt, Stand 2021)
Ich sah mir natürlich auch den Rest der Ausstellung an.
Ein Raum beinhaltete eine Installation mit Stacheldraht. Verschiedene Arten davon, aufgeschichtet, zu einer Art Raum. Ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht. Aber was ist das für ein fieses Zeug. Rasiermesserscharfe Metallstücke, die auf Draht geflochten sind. Sie dienen nur zwei Zwecken: Entweder Menschen fernzuhalten oder die, die sich nicht daran halten, ernsthaft zu verletzen. Es ist beklemmend, in diesem Raum zu stehen.
Ich sah mir noch einige Filme an, die ich allesamt nicht verstand. Aber irgendwie waren sie lustig, jeder auf seine Art.
Es war jedenfalls so, dass ich etwas befriedigter aus dem Museum herauskam.
Herauskam ist das falsche Wort, ich kam natürlich nicht heraus. Denn jetzt goss es wirklich. Sintflutartig. Die Straßen konnte man zu Fuß nicht überqueren, es waren reißende Flüsse geworden. Ich schaute mir das aus sicherer Entfernung aus dem Museum heraus an.
Da saß ich nun also. Und hatte Zeit, denn da draußen hatte ich nichts verloren.
Ich vertrieb mir die Zeit mit Surfen.
Irgendwann aber war das langweilig und ich wagte es hinauszugehen. Ich schaffte es relativ trocken bis zu Gregorys. Immerhin konnte ich lunchen und einen Espresso trinken.
Die Heimfahrt geriet jedenfalls zu einem kleinen Abenteuer.
Ich fuhr zurück nach Omonia, von dort aber fuhr keine Metro mehr nach Piräus. Die war nämlich ausgefallen. Überflutet wahrscheinlich. Was genau passiert ist, weiß ich nicht, jedenfalls war es schon unangenehm voll auf den Gleisen.
Aber mein Navi wusste Bescheid. Ich fuhr tatsächlich zurück zum Museum, von dort sollte ein Bus E90 nach Piräus gehen. Mal ehrlich, keine Ahnung, was ich ohne das Navi gemacht hätte. Vielleicht hätte ich mir einen Hotspot suchen müssen, das wäre auch gegangen. Googel weiß ja so etwas auch. Aber das Navi war natürlich eleganter. Es kennt auch die Öffentlichen. Beeindruckend. Ich werde die App jedenfalls kaufen, so viel steht fest.
Der Bus kam ein paar Minuten später. Es regnete nicht mehr ganz so stark, aber noch genug, um nass werden zu können. Die Fahrt verlief problemlos, was ein kleines Wunder ist, denn überall sonst herrschte Chaos. Stau. Abgesperrte Straßen. Umleitungen. Viele Unterführungen waren vollgelaufen, nur die, durch die der Bus fahren musste, ging noch. Deshalb erreichte ich gegen halb fünf Piräus, das ich beschloss auch nicht mehr zu verlassen. Ich hoffe, dass morgen mit dem Bus alles in Ordnung geht. Ich werde lieber eine Stunde eher abfahren, sicher ist sicher. Schlafen kann ich später noch. Oder auch nicht, es ist nicht so wild.
So also versinkt mein letzter Reisetag im Wasser, aber er war nicht ungenutzt. Es ist ein befriedigender Abschluss der Fahrt. Alles in allem bin ich zufrieden, auch wenn ich Teile der Reise nicht so mochte. Aber das gehört auch dazu.
Morgen um 8:20 geht es zurück nach Berlin.
Und darauf freue ich mich jetzt auch.
Bei aller Freude, wieder Reisen zu können: Wenn es reicht, reicht es. Und es reicht jetzt.
Und das ist gut.