Kramsach, Ziereiner Alm

Wie feucht es in der Nacht in den Alpentälern werden kann, merkte ich heute Nacht. Ein Gang um drei Uhr zu den Örtlichkeiten ließ mich frieren, so dass ich es nicht schaffte, heute früh rechtzeitig wach zu werden. Erst nach acht schlug ich die Augen auf, nicht gerade früh, wenn man bedenkt, dass ich eine Wanderung geplant hatte. Die Krux war, dass die Sesselbahn Sonnwendjoch schon gegen kurz nach 16 Uhr ihren Betrieb einstellt. Nicht gerade wanderfreundlich für die Gipfelstürmer unter uns. Vom Platz aus brauchte ich wieder eine Stunde zur Talstation, erst gegen 10:30 also saß ich im Lift. Es war schlichtweg spektakulär. Das Wetter spielte mit, die Sonne strahlte und beleuchtete die Berge um mich herum scharf. Nur in der Ferne war es diesig, so dass Panoramafotos nicht gut geworden sind.
Das schöne Wetter zog leider sehr viele Ausflügler an, die sich später als echte Wanderer herausstellten. Sämtliche Wege heute waren belegt mit Menschen, meist langsamer als ich, was wahnsinnig anstrengend ist. Das Langsamlaufen liegt mir nicht. Der erste Stopp war die Rosskogel, immerhin 1950 Meter hoch. Von der Bergstation war es ein kurzer Aufstieg, der es allerdings bereits in sich hatte. Trotzdem habe ich selten so problemlos einen Gipfel erreicht. Es sollte der Einzige heute bleiben.

Mein Weg führte mich weiter in Richtung Ziereiner See. Ich war froh, dass ich heute richtige Wanderschuhe anhatte, die wirklich rutschfest waren. Denn da ich mich auf dem von der Sonne abgewandten Hang befand, war es sehr glatt und feucht. Vor mir kämpften wandernde Senioren um Halt, kein leichtes Unterfangen selbst für mich. Der See selbst war bereits der zweite Höhepunkt nach dem Gipfel. Er liegt eingebetet zwischen steil aufsteigenden Hügeln, ruhig und still. Dass er geheimnisvoll ist und sicher tief, hatte ich schon gelesen. Das bestätigte sich. Er erinnerte mich an den Lake District in England, eine kleinere Version von Waste Water. Das Wasser war an den Rändern türkis, in der Mitte tiefblau. Auch hier scharrten sich wahre Massen an Wanderern. Die meisten schienen in Gruppen unterwegs zu sein, schnatterten in einer Tour und gingen mir damit mächtig auf den Geist. Für mich hat das Laufen einen meditativen Charakter. Dass ich dabei still bin, selbst in Begleitung, liegt in der Natur der Sache. In touristischen Orten wie Florenz oder Rom kann ich mit dem Lärm von Touristen umgehen, sie ignorieren. Hier gelang mir das nicht so gut.

Kurz nach dem See, den ich Dutzende Male fotografierte, stand ich vor einem Abzweig. Hier hätte ich noch entscheiden können, ob ich die wirklich großen Gipfel auf dem Plateau angehen wollte oder lieber einen mehr oder weniger gemütlichen Rundweg wandern wollte. Ich entschied mich für Letzteres, schlichtweg weil mir die Zeit fehlte. Gerne würde ich einmal einen 2000er erklimmen, aber dafür hätte ich viel früher losgehen müssen. Außerdem handelte es sich bei dem Rundweg zur Zierreiner Alm um keinen Pappenstiel. Es ging auf und ab, die Wege waren steinig und unwegsam. Eine echte Alpenwanderung eben. Letztlich bin ich froh, dass ich es gemacht habe, wie ich es entschieden hab. Ich sitze gerade auf einer Bank, inmitten eines herrlichen Panoramas. Ein gewaltiger Felsen spendet mir Schatten und ich kann schreiben. Ein Besuch des Gasthofs an der Bergstation fiel wegen übermäßiger Betriebsamkeit aus. Ich habe diesbezüglich eben meine Grenzen. Langsam werde ich mich an den „Abstieg“ wagen, in Form des Sessellifts. Ich genieße noch immer die herrlichen Aussichten auf die Alpen. Ich weiß zwar nicht, wie die Berge alle heißen, aber das ist im Moment eigentlich egal. Man muss Schönheit nicht immer beim Namen nennen. Manche Gipfel tragen Schnee, sicher sind es Gletscher. Wer weiß, vielleicht kann ich bis nach Italien sehen, das Land, das noch immer meine Träume bestimmt, wenn ich mich mal traue zu träumen. Ist in letzter Zeit nicht mehr so oft der Fall. Die Realität und das Alter scheinen mich immer mehr einzuholen. So schnell ich auch laufe.
Morgen geht es nach Innsbruck, danach werden wir sehen. Ich lerne in jedem Fall allmählich, nicht mehr so schnell von Ort zu Ort zu hetzen. Es lohnt sich. Wirklich.