Güzelbahçe

Den gestrigen Abend hatte ich mit einem Schweizer Pärchen verbracht, die seit Januar unterwegs sind. Stundenlang haben wir Reisegeschichten ausgetaucht. Ich weiß nicht, ob Kommunikation trunken macht, aber es kommt mir so vor. Vielleicht ist es auch die starke Entwöhnung, ich glaube, dass ich, seit Nina abgefahren ist, niemals wieder so viel geredet oder auch zugehört habe. Es war wundervoll, mit Menschen zu reden, die ebenfalls ihre Träume leben, einfach das tun, was ihnen Spaß macht. Sie wollen auch gen Süden, vielleicht treffen wir uns noch mal, irgendwo am Meer. Wir werden sehen.

Mein Körper zwingt mich heute dazu, etwas ruhiger zu fahren. Die Erkältung erreichte mich irgendwann vor gut einer Woche, ein uralter Engländer hat sie mir geschenkt. Nach einiger körperlicher Anstrengung gestern bekam ich heute die Quittung. Morgens ging es noch, doch bereits während der Fahrt merkte ich, wie mein Kopf begann zu schmerzen und die Nase immer weiter zu schwoll. Das machte die Geschichte etwas anstrengend. Ich fuhr an der Ausgrabungsstätte Pergamon vorbei, die sich zwar in einigen Kilometern Entfernung befand, doch irgendwie zu mir hinüber blinzelte. „Was machst du eigentlich, bin ich nicht schön genug?“ Aber ich widerstand, auch wenn es alles andere als leicht war. Es ist nicht der erste Ort von historischer Bedeutung, den ich links liegen lasse. Ich habe es in Spanien bereits beschrieben, aber Reisen heißt auch, Entscheidungen zu treffen. Ebenso wie die Iberische Halbinsel ist auch die Türkei enorm groß. Im Moment bekomme ich einen guten Überblick, sehe Dörfer, Städte und Metropolen, bunt gemischt. Und es ist eine überwältigende Erfahrung. Niemals hätte ich gedacht, dass sie mich so bewegen könnte. Zugegeben, nach Griechenland sind meine Sinne die Ausgrabungsstätten betreffend etwas abgestumpft. Aber die Metropolen und die romantischen Dörfer mit ihren kleinen Häfen – meine Güte. Dabei stelle ich immer wieder erstaunt fest, dass das Meer selbst kaum eine Rolle spielt, höchstens eine Art Statist ist, der im Hintergrund einige Geräusche macht. Ich habe ihm schon lange nicht mehr zugehört, selbst gestern nicht auf dem sicherlich erstklassig gelegenen Campingplatz Ada. Auch wenn dieser als Institution sicher nicht zu den besten gehört, seine Lage muss einmalig sein und schon der Fairness halber erwähnt werden.

Wie Istanbul unterschätzte ich auch Izmir. Diese Stadt hat drei Millionen Einwohner, ist damit beinahe so groß wie Berlin. Aber das war nicht das Dramatische. Ich kam relativ gut voran, dann stellte sich mir die erste Baustelle in den Weg. Ich musste einen Berg hinunter, in die engen Gassen der Stadt. Vor mir fuhr ein Linienbus, wie der da hindurchgepasst hat, weiß ich nicht. Irgendwann kamen wir wieder auf die Hauptstraße, von der wir allerdings wieder hinuntergeleitet wurden, denn die nächste Baustelle kündigte sich an. Die Geschwindigkeit hatte ich inzwischen auf Schritttempo reduziert, denn von überall her kamen Autos. Doch ihrem Ruf als chaotische Autofahrer wurden die Türken nicht gerecht, alles lief noch in geregelten Bahnen, selbst das Einfädeln funktionierte gut. Ich war beeindruckt. Dann war ich endlich wieder draußen, hatte die ganze Stadt durchfahren, weil der einzige Campingplatz in der Gegend etwas außerhalb auf der anderen Seite der Bucht liegt. Vorbei ging es an Kasernen, die hier mehrere Kilometer weit die Straße begleiten. Ich kam an einem Einkaufszentrum vorbei, das auch ein Kino beinhaltete. Seit über einem halben Jahr war ich nicht mehr im Kino, nicht im Theater oder in der Oper. Erst heute fiel es mir auf. Doch kann ich sagen, dass mein kulturelles Leben auf dem Nullpunkt gelandet ist? Wohl kaum. Dafür sehe ich viel und ausreichend. Aber auf einen Film im Kino hätte ich schon einmal Lust. Vielleicht an einem dieser Tage, es soll etwas regnerischer werden.

Den Platz fand ich ohne Probleme, er ist einfach, aber recht sauber, liegt direkt an der Hauptstraße. Aber ich habe Glück, die vielen Bäume schlucken den Lärm fast vollständig und der Vorort von Izmir, dessen Namen ich nicht einmal kenne, liegt perfekt für die Stadtbesichtigung, auch wenn ich sicher nicht eine Woche bleiben werde wie vorher geplant. Dazu ist es dann außerhalb zu hässlich. Ich habe mir den Ort Güzelbahçe angesehen, er ist nichts Besonderes. Eben eine türkische Kleinstadt mit allem, was man braucht, aber ohne Charme trotz Hafen. Es macht nichts. Morgen werde ich Izmir erkunden oder besser: damit beginnen. Wie lange ich bleiben möchte, weiß ich noch nicht.
Die Überarbeitung des Buches war heute etwas anstrengend und ich glaube, dass ich recht froh sein werde, wenn ich damit durch bin. Vielleicht mache ich dann eine oder zwei Wochen Pause, bevor ich mit der Fortsetzung beginne, denn ich fühle mich ein wenig ausgepowert. Nun, die Texte laufen nicht weg, sie sind ja sowieso schon da. Ich muss sie nur aufschreiben. Aber das habe ich nun so oft beschrieben.

Ich habe in dem Roman Marguerite Duras einen wundervollen Satz gelesen, über den ich heute eigentlich schreiben wollte. Dazu fühle ich mich nicht gut genug, denn besonders für diesen brauche ich ein schönes Gefühl. Ich werde es aber bestimmt an einem der nächsten Tage nachholen. (Anmerkung ein Jahr später: Ich habe es nie kommentiert und weiß heute auch nicht mehr, um welchen Satz es ging. Wieder etwas verpasst. Aber vielleicht war es auch nicht so wichtig.)
Erinnert mich daran