Bled

Und darauf habe ich mich nun so akribisch vorbereitet. Heute morgen stand ich relativ früh auf, ich empfand es als würdig, den nahenden „Abstieg“, denn letztlich fahre ich nun wieder gen Süden, gebührendem Respekt entgegen zu bringen. Auch hatte ich mir eingebildet, in eine Art unentdecktes Gebiet, etwas entfernt der ausgetrampelten Pfade der Tourismusindustrie, zu fahren. Nun, den Übertritt über die Grenze, wo das geregelte westliche Leben in den wilden Osten übergeht, bemerkte ich nicht einmal. Die blöden Österreicher kassierten noch einmal kräftig für die Durchfahrt durch einen ihrer Backofen-Tunnel, die, wenn es einmal brennen sollte, ganz sicher jedes Lebewesen binnen Sekunden zu Braten machen. Bislang hatte ich es Tausende Kilometer geschafft, Maut zu vermeiden, jetzt aber erwischte es mich bei den Österreichern und den Slowenen und das nicht zu knapp. Ich habe mir vorgenommen, Länder, die so unverschämt abkassieren, demnächst zu meiden. Im Augenblick ist es noch schwierig, denn ich will ja irgendwann einmal irgendwo ankommen.

Sei es drum, plötzlich war ich in Slowenien, hatte es gar nicht gemerkt. In besagtem Tunnel war die Grenze gewesen, als ich wieder das Tageslicht erblickte, sah es alles andere als wild aus. Die Straßen gut ausgebaut, alles sauber und richtig, Straßenschilder, die einen auf Höchstgeschwindigkeit und die Gefährlichkeit des Alkohols am Steuer hinweisen. So ein Quatsch, wer würde schon seine Flasche Single Malt lenken lassen?
Meine Enttäuschung ging aber weiter. Mein Auto war mit einigem Abstand das älteste, um mich herum fuhren nur slowenische Neuwagen sämtlicher Marken, Nobelkarossen und kleine Einkaufskutschen. Schon weit vor dem Ort, Bled, den ich herausgesucht hatte, waren Schilder, die mich auf den Campingplatz hinwiesen. Ich stellte mich in eine Reihe hinter einige Holländer, die auch hier campen wollten. Und die Regel gilt: Wo Holländer sind, ist man mit Sicherheit nicht der Erste. Nun, man ist sowieso nirgends der erste, aber wenn Niederländer herfahren, ist es erschlossenes Gebiet. Und so war es auch. Nach einem kleinen Stau im Ort selbst fand ich den Campingplatz. Die gutorganisierte Rezeption mit allen Quotenfrauen, blond, brünette, rothaarig, sprach sämtliche Sprachen, die ich mir vorstellen konnte. Der Platz war bestens organisiert, parzelliert, Trinkwasser gibt es fast auf jedem Platz, die Sanitäranlagen sind neu gekachelt, die Toilettentüren mit Blätterwerk-Muster bemalt, alles ist sauber. Wir sind also fernab der erwarteten Donnerbalken oder Sägespann-Toiletten. Zu guter Letzt hatte ich auf meinem zugewiesenen Platz auch noch eine sagenhafte Wifi-Verbindung. Das haben nicht einmal die Luxusplätze in Italien hinbekommen. Preislich waren wir auch auf einer Ebene, die schon lange nicht mehr als günstig gelten kann. Das Niveau entspricht ungefähr dem in Frankreich, ist also noch nicht ganz oben wie in Italien oder Spanien angelangt.
Trotzdem, ich fühlte mich ein wenig lächerlich. War ich noch einen Tag zuvor im Buchladen, um mir doch noch einen Führer für Slowenien zu kaufen, traf ich auf ein Land, das sich bereits bestens verkauft.

Ich richtete mich trotzdem ein, machte gute Miene zum nicht bösen Spiel, arbeitete einige Stunden am Roman und machte mich dann mit dem Fahrrad auf in die Stadt.
Bled ist wirklich malerisch gelegen, in der Mitte des Sees befindet sich eine kleine Insel mit einer Kirche darauf. Hoch oben auf einem Hügel sieht man bereits von Weitem die Burg der Stadt. Es erinnerte mich dunkel an eine Bierwerbung, Krombacher glaube ich. Wirklich nett. Der See ist zweifellos die Hauptattraktion, man kann sich von einem Gondoliere zur Insel fahren lassen. Die Kähne, die sie steuern, erinnern stark an die Schnapsboote im Spreewald, auf denen Tische angebracht sind, mit Körben voller Event-Destillaten wie Kleiner Feigling und Sex on the Beach…oder so….
Also eine ausgesprochen idyllische, genauer gesagt, Kurpark-Atmosphäre. Ich bin bei so etwas immer etwas skeptisch.
Der Ort selbst ist – wie gesagt – ein typischer Kurort mit vielen Hotels und einigen Parkanlagen. Nach ca. 20 Minuten stand ich da, wie sicher viele Touristen vor mir und fragte mich, was ich nun machen sollte. Ganz einfach, in den Schatten setzen, vorher ein Eis kaufen und dann die Seele baumeln lassen und das Szenario genießen. Also das, was alle anderen Touris nach 20 Minuten ebenfalls tun. Keine schlechte Idee, so machte ich es.
Der Anfang in Slowenien war also völlig anders als erwartet. Statt ein von Jahrzehnten vernachlässigtes Land vorzufinden, das noch immer mit seiner wirtschaftlichen Vergangenheit kämpft, sah ich Wohlstand und europäische Standards, die sich sehen lassen können. Vielleicht ändert sich das noch, das winzige Küstenstück werde ich sicher meiden, statt dessen eher weiter ins Landesinnere fahren. Ljubijana wird die erste Hauptstadt sein, die ich besuchen werde, Zagreb in Kroatien soll ihr dann etwas später folgen.
Im Moment lehne ich mich zurück und genieße den unerwarteten Frieden, während ich versuche, die Schokoladenflecken auf meinem T-Shirt zu entfernen, die beim Versuch, das Eis zu essen, unweigerlich entstanden sind. Es war vielleicht keine gute Idee, gleichzeitig zu tippen und zu essen. Ich lerne es aber auch nie.

Morgen werde ich zusehen, von dieser Art der Zivilisation etwas wegzukommen und in den Bergen etwas zu wandern. Im Allgemeinen findet der 0815-Kurgast den Weg nicht auf einen Gipfel, es sei denn, eine Sesselbahn fährt ihn mühelos nach oben. Die gibt es zwar auch, aber ich weiß, wo sie sind, daher kann ich sie meiden.