Tarascon-sur-Ariège

Und auch dieser Tag stand im Zeichen der Erholung.
Von Anfang an war er so geplant, ich ließ mir Zeit beim Aufstehen und Frühstücken. Warum auch nicht? Dann spazierte ich gemütlich in die Stadt, war verwundert, dass einige Geschäfte geöffnet hatten. Schließlich war es Pfingstmontag. Bäckereien, Fleischer, Zeitungskiosk. Sogar der Intermarché. Ich finde das alles etwas übertrieben. Die Welt muss nicht 24/7 geöffnet haben. Es ist alles eine Frage der Bequemlichkeit, und zwar derjenigen, die nicht darauf verzichten wollen, wann immer sie wollen einkaufen zu gehen. Zum Schaden derjenigen, die sie bedienen müssen. In Deutschland beginnt es auch schon. Gefühlt haben die Geschäfte immer auch sonntags geöffnet. So ein Unsinn.
Es klingt jetzt so, als hätte ich mich geärgert. Das ist aber eher ein Gedanke von gerade eben. Ich war weit davon entfernt, mich aufzuregen. Als ausgesprochen heiter würde ich meine Laune beschreiben, ein seltener Fall also.
Ich hatte eigentlich kein wirkliches Ziel, aber das braucht man ja auch nicht. Also ging ich nochmals hoch zum Uhrenturm. Es ist wirklich ein grandioser Ausblick von dort oben. Das Tal der Ariège, die beeindruckenden und mächtigen Berge, die es umfassen, die mittelalterliche Stadt (zumindest ist sie sehr alt) unter mir – ich hätte es nicht besser treffen können mit meinem Haupturlaubsziel. Denn das ist Tarascon-sur-Ariège geworden. Ganze sieben Tage war ich hier. Und habe mich keinen Augenblick gelangweilt. Beinahe kam ein bisschen Wehmut auf. Aber an einem so schönen Feiertag, an dem die Sonne hinter Schleierwolken hervorlugte, kann man nichts Düsteres empfinden.
Natürlich besuchte ich danach nochmals meinen Lieblingsplatz, den Place Félix Garrigou.
Auch an diesem Tag fand ich die massive Kirche geschlossen. Sie wird also weiter auf meine Entdeckung warten müssen. Wer weiß, in 20 Jahren schaffe ich es vielleicht noch einmal hierher. Es ist nicht sehr wichtig.
Wie herrlich doch dieser Platz ist. Ich setzte mich auf die Brunnenbrüstung, der einzige Ort, an dem man sich hier setzen kann. Die vom Alter gebeugten Häuser betrachtete ich. Eine Wohnung steht zum Verkauf, eine andere darunter soll vermietet werden. Ich stellte mir vor, wie es wäre, hier zu leben. Eigentlich hätte ich Lust gehabt, einfach beim Makler anzurufen und diesen zu bitten, mir die Objekte zu zeigen. Oder noch besser, mich einfach einzumieten.

So etwas Irrsinniges. Ich habe noch nie so etwas Verrücktes getan.
Was würde Nina denken?
Nichts Gutes, denke ich.
Ich blieb wirklich lange sitzen und betrachtete die Welt um mich herum. Eigentlich ist es ein Glück, dass kaum einer diese Pracht bisher entdeckt hat. Sobald hier ein Café eröffnet, wäre es aus mit der Stille. In Gedanken eröffnete ich meines. Ich wählte sogar einen Ort, unter den Kolonnaden müsste es sein. Dort, im Schatten, mit der Möglichkeit, weitere Tische und Sonnenschirme auf dem Platz aufzustellen. Ich könnte Quiche und leichte Salate servieren, nachmittags die kunstvollen Apfelkuchen oder Tarte au citron. Als wenn es jemals zu so etwas kommen könnte. Gäste wären mir zuwider. Aber das hatte ich in diesem glücklichen Augenblick vergessen.
Danach schlenderte ich zurück zum Campingplatz, wo ich eigentlich den ganzen Tag verbrachte. Endlich kam ich dazu – oder besser, endlich überwand ich meinen Schweinehund – und begann nach 15 Jahren wieder mit dem Zeichnen. Es ist alles sehr hölzern, aber das war es wohl immer. Eigentlich gelang es mir nicht schlecht, zumindest was meine Ansprüche angeht. Es wird wohl etwas dauern, bevor etwas entsteht, das ich vorzeigen kann. Rötelzeichnungen haben es mir angetan. Immer schon. Oder scharfkantige Bleistiftzeichnungen, am besten mit einem 9B-Stift.
Ich las noch etwas, trank einen Abschiedsricard auf der Terrasse des Campingplatzes und erfreute mich meines Lebens.
Auch die folgenden Tage werde ich genießen. Es hat so lange gedauert, bis ich dazu in der Lage war. Eines ist mir klargeworden: Ich muss gar nichts. Schon gar nicht im Urlaub. Ob ich nun reise oder nicht.