05.09. Geführte Tour durch Wien und Umgebung

Ein wirklich toller Tag.
Und was für ein Unterschied, wenn Einheimische die Initiative übernehmen. Ehefrau Ninas Kollegin in Wien Susanne und ihr Lebensgefährte Andy führten uns durch die Hauptstadt. Und zeigten uns Dinge, die wir niemals gesehen hätten.
Ich hatte mich im Grunde vollkommen auf Klimt konzentriert, auch weil er neben meinem Protagonisten eine solch wichtige Figur in meinem Roman darstellt, an dem dieser sich auch künstlerisch orientiert.
Dass es in diesem Dunstkreis der sich rasant entwickelnden Kunstszene so viel mehr zu entdecken gibt, war mir nicht so bewusst.

Erst einmal aber fingen wir in Purkersdorf an.
Hier wollte ich das Sanatorium besuchen. Es ist von niemand anderem als von Josef Hoffmann entworfen worden. Auch die Inneneinrichtung hat er designt. Von ihm stammt der Spruch: „Lieber 10 Tage für ein Stück, als zehn Stück an einem Tag“. Das war die Devise, nach der die herausragenden Handwerker der Wiener Werkstätte gearbeitet haben. Kein Wunder, das die irgendwann insolvent war, denn wer konnte sich solch perfekte, aber unglaublich teure Alltagskunst schon leisten? Denn das war es, was Hofmann und seine Freunde im Kopf hatten. Die Kunst sollte alle Aspekte des Lebens durchdringen, angefangen beim Besteck bis hin zum Gemälde. Alles musste von dieser überirdischen Idee nach Perfektion und Schönheit bestimmt sein.
Einer, der damals als junger Mann maßgeblich beeinflusst wurde, war übrigens Walter Gropius. Der mit seinem Bauhaus die Idee der Wiener Werkstätte weitertrug und veränderte, so dass Schönheit auch in den normalen Haushalten Einzug hielt. Heute haben wir Ikea, das gar nicht so weit weg ist davon. Design soll sich heute schließlich jeder leisten können.
Aber ich schweife ab.
Das Sanatorium in Purkersdorf liegt wirklich weit ab vom Schuss. Und ist sicher vor Touristen. Zumindest vor der meisten, denn wir waren ja nun dort.
Es ist ein Pflegeheim, das noch in Betrieb ist. Wir haben niemanden getroffen, den wir hätten fragen können. Also nahmen wir uns die Freiheit und schauten uns ein wenig um, immer mit dem nötigen Respekt allerdings, denn wir wollten nicht stören. Immerhin wohnen hier kranke Menschen.
Aber schon das Foyer war großartig. Hier fand ich eine Sitzgruppe mit Stühlen, die ich unbedingt einmal sehen wollte. Ich weiß nicht, ob es Originale waren oder neuartige Nachbauten. Das ist im Grunde auch ziemlich egal. Jedenfalls war es eine Ehre, mal darauf sitzen zu können. Bequem waren sie nicht, sahen aber toll aus. Ein paar Jahre später habe ich mal versucht, diese Stühle nachzubauen. Ohne Erfolg. Ist auch egal. Von dem Design jedenfalls lasse ich mich auch heute noch beeinflussen. Ein Gartenstuhl und auch einen Tisch in unserem Garten weist Einflüsse auf, die ich aus Purkerdorf mitgenommen habe.
Bei Kunstwerken der Wiener Werkstätte kann man sich im letzten Detail verlieren. So betrachtete ich Lampen. Welche Vollkommenheit. Einfache Wandleuchten. Und trotzdem so perfekt. Alles ist harmonisch, das Treppenhaus, die leichten Verzierungen aus Metall, die Pflanzgefäße. Alles fügt sich zusammen.
Wir haben es bei dem Besuch nicht übertrieben. Ich sah nur kurz den Speisesaal, da sich dort allerdings einige Patienten aufhielten, machte ich keine Fotos. Letztlich dauerte unser Besuch auch nur eine gute Viertelstunde. Ich hatte eben immer das Gefühl, dass wir Eindringlinge waren. Das stimmte ja auch. Ein kurzer Blick geht in Ordnung. Aber so invasiv wollten wir dann doch nicht sein.

Nach diesem erfrischenden Anfang ging es weiter zur Villa Wagner, dem zeitweiligen Wohnsitz vom Architekten Otto Wagner.
Was für ein Kitsch. Wagner hatte ich irgendwie nicht auf dem Schirm. Er war die Künstlergeneration vor Klimt, noch vom damaligen Mode-Künstler Makart beeinflusst, erst später dann von der Sezession. Und irgendwie habe ich zwar von ihm gelesen, aber erinnern konnte ich mich nicht. Dabei hat er sich im Stadtbild Wiens wie kein anderer verewigt. Nach seinen Entwürfen sind viele Pavillons der Wiener Stadtbahn erbaut worden.
Sein Haus jedenfalls ist herrlich kitschig. Inspiriert wohl teilweise vom Ägypten-Hype der damaligen Zeit, ein Pumpwerk ist mit bunten Säulen verziert, die wohl aus dieser Faszination heraus entstanden sind, ist es ein Sammelsurium von Design-Elementen. Statuen, Köpfe, ionischen Säulen – ich hatte den Eindruck, dass alles nicht so recht zusammenpassen wollte. Es war aber zumindest lustig.
Drinnen waren wir nicht, was ich jetzt ein bisschen bereue. Nach Bildern zu urteilen, muss es ein Erlebnis sein.
Nebenan ist ein weiteres Haus, in dem er gelebt und das er auch entworfen hat, das im Gegensatz zur Villa von sezessionistischen Einflüssen geprägt ist. Mir gefiel es besser. Nicht so überladen, einfache Formen.

Es ging weiter.
Wir fuhren in den Wiener Wald, zu einem Aussichtspunkt. Von hier aus haben die Türken die Stadt belagert. Man vergisst oft, wie nah das christliche Abendland davor stand, ein für alle Mal von den Mauren überrannt zu werden.

Wir standen ein bisschen unter Zeitdruck, was mir nicht bewusst war. Aber Andy hatte alles durchgeplant. Es sollte eine Überraschung werden. Wir fuhren übrigens auf der Hohen Warte weiter, der Straße für die damalige High Society, wo sich auch viele Bauten der Künstler des beginnenden 20. Jahrhunderts befinden. Mehr als einen kurzen Eindruck aber bekamen wir nicht. Die Hohe Warte wäre es alleine wert, ihr einige Tage zu widmen.
Wir aber hatten ein anderes Ziel:
Die Kirche am Steinhof, die nur zeitlich begrenzt besichtigt werden kann. Sie steht auf dem Gelände einer „Nervenheilanstalt“, heute das Otto-Wagner-Spital.
Sie ist von Otto Wagner gebaut. Das Schöne ist, dass sie in seiner Spätphase entstand. Also sezessionistisch. Viel interessanter.
Ich wusste überhaupt nichts von diesem Juwel, bis wir vorfuhren. Klare Linien, heller Innenraum, luftige Höhen. Und dazu Details, für die man eigentlich Stunden bräuchte, um sie zu erkunden. Ich stieß auch hier auf einen alten Bekannten der Wiener Werkstätte: Koloman Moser, Mitbegründer der Sezession.
Von ihm stammen die Entwürfe der Glasfenster.
Wir hielten uns lange hier auf. Den Raum muss man auf sich wirken lassen. Immer wieder schweifte der Blick zu den Design-Elementen, die allesamt faszinierend sind. Auch die Kanzel. Und die Lampen. Natürlich die Fenster. Und die schlichte Decke.

Es war ein Tag voller Impressionen.
Und doch waren wir noch nicht fertig. Wir wollten den Tag bei einem Kaffee ausklingen lassen. Und das im Hundertwasserhaus. Als hätten wir nicht schon Eindrücke genug gesammelt. Vorher aber hielten wir nochmals kurz in der Innenstadt, um uns einige Häuser von Otto Wagner anzusehen. Witziger weise aber nicht die Kreissparkasse, die ziemlich berühmt ist. Andy hat sie erwähnt. Aber ich glaube, wir konnten alle nicht mehr. Ich muss gestehen, dass ich nicht mehr aufnahmefähig war. Ist bei mir so, wenn zu viel auf mich einschwappt, machen meine Sensoren irgendwann zu. Zu empfindsam. Den Kaffee brauchten wir alle jedenfalls dringend. Und im Hundertwasserhaus fanden wir das angemessene Ambiente dafür.

Es war ein wundervoller Tag voller Anregungen.
Ich erinnere mich heute noch wie gestern.
Obwohl es schon Jahre her ist.

06.09. Wien Museum, Café Central, Prater

Und wieder ein Museum.
Aber ein kleines.
Das Wien Museum ist eher unscheinbar, lohnt aber trotzdem einen Besuch. Endlich konnte ich Klimts Gemälde von seiner Emilie Flöge sehen. Eine stolze Frau.
Außerdem kann man einige Gemälde von Egon Schiele bewundern, dem wir erst den nächsten Tag widmen wollten. Auch sind Handwerksarbeiten der Wiener Werkstätte ausgestellt.
Leider begegneten wir auch einem Stuhl, der Karl Lueger gewidmet ist. Dieser Bürgermeister der Stadt Wien am beginnenden 20. Jahrhundert spielte in seinen Wahlkampagnen so lange mit dem Anti-Semitismus, bis dieser in der Mitte der Gesellschaft angekommen war. Ein gewisser Adolf Hitler hat sich zu dieser Zeit übrigens auch in Wien aufgehalten. Ich bin der Meinung, dass so etwas in einem Museum nichts zu suchen hat. Aber die Österreicher haben an sich einige Probleme damit, ihre Nähe zum Faschismus und zum Holocaust aufzuarbeiten. Sieht man ja leider am Wahlverhalten auch heute noch.

Viel zu finstere Gedanken an diesem warmen Spätsommertag.
Für das Museum brauchten wir nicht viel Zeit, vielleicht anderthalb Stunden. Es ist auch nicht sehr groß. Danach wollten wir endlich einmal ein ehrwürdiges Café besuchen, entschieden uns dabei für das Café Central, zu Klimts Zeiten ein bekanntes Etablissement. Manche Künstler verbrachten hier den ganzen Tag. Noch heute befindet sich dort eine Statue von Peter Altenberg, ein Schriftsteller, der sich hier einen großen Teil seines Lebens aufgehalten hat. Ein weiterer Schreiberling ebenfalls. Egon Friedell, dessen Werke ich vor 25 Jahren verschlungen habe. Ich hatte den Eindruck, dass sich mit unserem Besuch ein Kreis schloss.
Der Kellner damals war übrigens einigermaßen nett und höfflich. Wir hatten auf den Wiener Snobismus und Hochmütigkeit gehofft. Welch eine Enttäuschung. Die Süßspeise aber war großartig, was man noch an Ehefrau Ninas Gesicht sehen kann.

Um den Tag abzurunden, besuchten wir noch den Prater. Eigentlich ein normaler Rummel, aber irgendwie gehört so etwas beim Wien-Besuch dazu. Auf eines der Fahrgeschäfte wagten wir uns aber nicht. Schließlich hatten wir gerade gegessen. Irgendwann ist das auch nichts mehr. Dank meines Schwindel-Syndroms habe ich auch die beste Ausrede, gar nicht erst in Versuchung zu kommen.

Wir waren wieder den ganzen Tag unterwegs. Und waren froh, einmal hier seien zu können.

07.06. Leopold Museum

Der letzte Tag in Wien.
Es war ein Besuch voller Highlights. Und doch hatten wir uns ein großartiges Erlebnis bis zum Schluss aufgehoben. Das Leopold Museum, das unseren gesamten Aufenthalt hier auf eine gewisse Art und Weise zusammenfassen konnte.

Viele Ausstellungsstücke drehen sich um die Wiener Werkstätte. Natürlich gab es Gemälde von Klimt zu sehen, auch von Koloman Moser, der nicht viel gemalt hat, und noch einigen anderen sezessionistischen Malern.
Ich erinnere mich allerdings besonders an winzige Nachrichten, Depeschen, die Emilie Flöge und Gustav Klimt ausgetauscht haben. Nachrichten, die der SMS nicht unähnlich waren, die die beiden bevorzugt nutzten, um in Kontakt zu bleiben. Die meisten davon hat Emilie kurz vor ihrem Tod vernichtet. Und ehrlich: Das ging und geht auch niemanden etwas an. Trotzdem ist es schade, dass diese Beziehung, die die beiden Künstler so geprägt haben muss, irgendwie niemals aufgeklärt werden wird. So bleiben nur Thesen, ich aber denke, dass sich zwei Seelenverwandte gefunden hatten, vollkommen egal, ob sie Partner, ein Liebespaar, Freunde, oder alles zugleich zu verschiedenen Zeiten ihrer Bekanntschaft waren. Eines ist sicher: Es war kompliziert. Oder ganz einfach.

Eine zweite, mindestens ebenso interessante, Partnerschaft stand aber im Mittelpunkt der damaligen Ausstellung.
Wally und Egon.
Stürmisch, frei, sicher auch unkonventionell.
Wally Neuzil stand Model für Schiele, war später seine Lebensgefährtin und begleitete den Maler nach Krumau und Neulengbach, stand mit ihm zusammen einen kurzen Gefängnisaufenthalt durch, indem sie während seiner Haft an seiner Seite stand. Um dann, als es ums Heiraten ging, abserviert zu werden. Nicht dass Schiele seine Beziehung zu ihr beenden wollte. Aber Wally hatte wohl genug davon. Nicht bürgerlich genug, um für die Ehe infrage zu kommen, beendete sie den Kontakt 2015.
Im Gemälde „Tod und Mädchen“ arbeitete Schiele die Trennung für sich auf. Wir konnten es an diesem Tag ansehen.
Lange lebten beide nicht mehr.
Wally starb an Scharlach, dass sie sich in einem Spital in Sinj in Dalmatien, dem heutigen Kroatien, zugezogen hatte, in dem sie als Hilfskrankenschwester während des Ersten Weltkrieges arbeitete.
Egon folgte ihr ein Jahr später 2018, zusammen mit seiner Frau Edith und ihrem ungeborenen Sohn. Die Spanische Grippe setzte einem der talentiertesten Künstler Wiens ein Ende.
Nur wenige Monate vorher war Gustav Klimt verstorben, der Egon Schiele Zeit seines Lebens protegiert hat. Ein Gemälde der beiden, von Egon gemalt, befindet sich ebenfalls im Leopold Museum. Es hat den Anschein, dass der junge Mann den alternden Künstler stützen muss. Vielleicht wäre es wirklich so gekommen, wenn beide länger gelebt hätten.
Schieles Werk wäre wohl ohne Klimt kaum möglich gewesen. Klimt mit seiner unbändigen Art, Akte darzustellen und sich somit über den biederen Klassizismus seiner Zeit hinwegzusetzen, öffnete erst die Tür für Schieles erotische und sehr viel freizügigere Kunst, in der Sexszenen offen dargestellt wurden, ohne Rücksicht auf die Verdeckung primärer Geschlechtsorgane.
Aber auch das hat noch Skandale verursacht, so wie in Neulengbach, wo Egon für einige Tage in einer Zelle schmachten musste, weil er so naiv gewesen war, eine Minderjährige bei sich übernachten zu lassen.
Zum Glück war sie noch Jungfrau, sonst wäre er nicht so schnell freigekommen.
Was mich immer wundert, ist die Tatsache, dass es so wenige Biografien über diese gewaltigen Maler dieser Zeit gibt. Über Schiele habe ich eine gefunden, über Klimt sogar nur eine Roman-Biografie (Anmerkung: Heute gibt es eine, die ich aber noch nicht gelesen habe). Wir reden hier über Künstler, deren Bilder zu den teuersten der Welt gehören. Die im Vergleich zu anderen noch nicht lange tot sind. Und über die man trotzdem relativ wenig weiß.
Einzigartig.

Mit diesem Besuch endete praktisch unser Aufenthalt in Wien. Wir gingen nochmals ein wenig spazieren, tranken einen Kaffee, dann aber hatten wir genug.
Es waren ereignisreiche Tage.
Der Höhepunkt unseres Hauptstadt-Trips.