14.09. Fahrt nach Sifnos
Es ist immer etwas ganz besonders, morgens früh auf einer Fähre abzufahren.
Ich weiß es heute noch genau wie damals. Die Fähre fuhr um sechs Uhr ab. Aufgestanden bin ich sicher um halb fünf. Ich habe gerne Zeit, um noch einen Kaffee zu trinken und mich fertigzumachen. Das Packen geht bei mir immer recht schnell. Viel habe ich selten dabei.
Dann zur Fähre.
Ermoupolis war vollkommen still. Die letzten Nachtclubs hatten wahrscheinlich vor einer Stunde zugemacht. Nun aber war kaum jemand unterwegs. Nur diese Fähre, eine langsame auf jeden Fall, wartete im Hafen.
Der Weg entlang der Hafenpromenade war kurz. Ich erinnere mich, dass es bereits angenehm warm war. Nur eine leichte Brise wehte, so dass eine dünne Strickjacke bereitlag. Braucht man immer mal wieder.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, trotzdem war es nicht dunkel. Sie kündigt sich hier immer schon früh an. Erst als ich an Bord war, zeigte sie sich, übrigens ging sie direkt bei meinem Hotel auf, in dem ich hier untergekommen war.
Dann legten wir ab. Ich schoss noch einige Fotos, endlich auch mal eines vom Industriehafen. Ermoupolis ist schon eine beeindruckende Stadt. Auch aus der Ferne.
Nun aber wollte ich wieder auf die „echten“ Kykladen. Sifnos, das ich im Jahr zuvor für mich entdeckt hatte und das mich nie wieder losgelassen hat, war das nächste Ziel. Vorbei ging es an Serifos, das ich auch noch besuchen würde. Aber nicht an diesem Tag.
Ich habe nicht mehr viele Fotos von Sifnos an diesem Abend.
Endlich aber begann mein Camping-Urlaub. Es ist meine Art zu reisen. Ich ziehe es einfach vor. In Kamares, dem Hafen-Ort auf Sifnos, gibt es einen Campingplatz, den Einzigen auf Sifnos. Makis ist der Betreiber, der mich immer so begrüßt: „How is the Book?“
„Finished“, sage ich immer. Stimmt ja meist auch. Es ist immer eines fertig.
Dann bekomme ich meinen Platz zugewiesen, Makis achtet sehr darauf, dass alle glücklich sind.
Es ist der beste Campingplatz auf den Kykladen.
Kamares selbst ist immer wieder ein Traum. Der Strand vor dem Campingplatz liegt direkt hinter einem Bambus-Hain. Zwanzig Meter entfernt. Er ist weitläufig, das Meer scheint immer ruhig, weil es so flach ist.
An diesem Abend bin ich essen gegangen. Mache ich selten, wenn ich allein bin. Hier aber konnte ich abends am Strand sitzen und mich bedienen lassen.
Immer toll.
Oder?
15.09. In den Bergen um Kamares
Ein Tag, der mir im Gedächtnis eingebrannt ist.
Ich liebe den Strand bei Kamares. Die langgezogene Sichel aus Sand und einigen Bäumen ist eigentlich perfekt. In der Nähe der Stadt befinden sich einige Cafés und Restaurants, ideal für einen Aufenthalt also.
Mir stand aber der Sinn eher nach einer Wanderung. Nachdem ich die kleine Stadt erkundet hatte, lief ich den Strand entlang zur anderen Seite. Dort gibt es mehrere kleine Kirchen, die sich wie weiße Kiesel in die sonnenverbrannten Hänge schmiegen. Eine davon nennt sich Agia Marina, genauso wie der kleine Ort nebenan. Für mich stellt sie eine Art Wahrzeichen von Kamares dar, diese pittoreske Kapelle fällt sofort auf. Ich besuchte sie, genoss den ersten Tag auf Sifnos. Ich war zurück.
Eine Straße führte mich dann weiter in Richtung der nächsten Kirche, wahrscheinlich ein kleines Kloster, Agia Katerini. Von hier kommt man direkt ans Meer. Ein Felsenbad für Mönche?
Ich aber wollte weiter. Bei Agia Katerini beginnt ein Trampelpfad in Richtung Kap Kokalas. Den nahm ich. Er ist manchmal schwierig zu finden, aber oft durch angehäufte Steinhaufen, von anderen Wanderern errichtet, eigentlich kaum zu verfehlen. Ich erinnere mich daran, dass ich in meinen Trekking-Sandalen schon an diesem Punkt an meine Grenzen stieß. Das Kap aber erreichte ich noch recht problemlos. Hier befinden sich Reste von einem der antiken Türme, die es auf Sifnos gab und die als Signalsystem benutzt wurden. Ich blieb eine Weile, schaute auf das Meer, beobachtete einige Fähren.
Von hier sollte es einen Wanderweg nach oben geben, sagte meine Wanderkarte. Ich fand ihn nicht, was mich jedoch nicht davon abhielt, trotzdem nach oben zu steigen. Irgendwann würde ich sicher darauf treffen, dachte ich mir.
Das war ein Trugschluss, denn ich fand niemals etwas, das daran erinnerte.
Jedenfalls hatte ich bald ziemlich zerschundene Beine und Arme, weil die Vegetation durchaus üppig und dicht sein kann. Meine Sandalen waren aufgrund des zerklüfteten und steinigen Untergrunds vollkommen ungeeignet für diesen Aufstieg, auch erinnerte ich mich daran, dass es einen Kamm gab, den man von unten gut erkennen kann. Den erreichte ich wirklich irgendwann. Es war so steil, dass mir schwindelig wurde. Aber das Ziel, ein weiteres Kloster, hatte ich nun vor Augen. Mir war vollkommen bewusst, dass es die gefährlichste Wanderung meines Lebens bis dahin gewesen ist. Einen Weg gibt es nicht. Aufgrund des Gefälles lief ich irgendwann auf allen Vieren, überquerte Steinhaufen, zerkratzte mir weiter die Extremitäten an den dornigen Büschen.
Dann aber war ich oben. Und vollkommen fertig. Ich hatte den Profitis Ilias erreicht, die Kapelle liegt hoch oben über Kamares. Die Aussichten waren unvorstellbar. Ich wusste jetzt, dass die Strapazen es wert gewesen waren. Eine antike Säule, weißgetüncht, ragte aus dem Gebäude empor, zierte ein Foto von einer weiteren Kapelle, Agios Simeon, das heute in unserem Bad hängt.
Ich weiß noch, dass der Abstieg, den ich jetzt über die langweilige, dafür sichere Asphaltstraße begann, ebenfalls ziemlich anstrengend war. Das lag damals auch daran, dass meine kleine Wasserflasche mit 0,5 Litern Wasser lange leer war. Das war wirklich eine Tortur, denn es war heiß, ein typisch kykladischer Spätsommertag.
An diesem Abend machte ich nicht mehr viel, denn der Muskelkater setzte fast sofort ein. Ich schlenderte noch durch Kamares, immer wieder ein nettes Unternehmen.
Ansonsten war es ein recht abenteuerlicher, anstrengender, aber auch belohnender erster Tag.
16.09. Von Apollonia nach Kastro
Ein Besuch auf Sifnos ist nichts, wenn man nicht die ehemalige Hauptstadt der Insel besucht. Kastro liegt am anderen Ende von Sifnos, was nicht heißt, dass es weit weg ist. Immerhin ist Sifnos überschaubar.
Ich nahm morgens den Bus nach Apollonia, der jetzigen Hauptstadt, wo ich mich zuerst umsah. Ein hübsches Städtchen, das aus mehreren Siedlungen besteht und dadurch ziemlich groß wirkt. Immer wieder aufbauend, auch wenn mir sicher noch der Tag zuvor in den Knochen steckte.
Als ich genug gesehen und genug Fotos gemacht hatte, suchte ich den Wanderweg. Er beginnt bei einer kurzen Straßenunterführung. Entlang an Feldern und Kapellen führte er mich an Kastro heran. Es sind ca. 45 Minuten zu Fuß, also nicht mehr als ein Spaziergang. Kastro selbst sieht man recht spät, weil es hinter einem Hügel versteckt liegt. Es ist aber immer ein erhebender Moment, wenn es plötzlich auftaucht. Es klammert sich an einen Felsen, die Häuser wirken wie Puderzucker auf einem Kuchen.
Ich hatte im Jahr zuvor ein Buch geschrieben, eigentlich eine kleine Spielerei. Das Buch spielt auf einer imaginären Insel an unterschiedlichen Orten. Einer davon ist Kastro. Besonders eine Taverne am Strand rückt in den Mittelpunkt, sie gehört Elena, die mit dem deutschen Rentner Helmut, dem Protagonisten, anbandelt.
Es war keine wirklich ernsthafte Geschichte, so dass ich mir an diesem Tag ansehen wollte, wie das Restaurant wirklich aussieht. Es heißt „Kapitän Georges“ und ist ganz und gar nicht so wie in meinem Buch. Vollkommen egal. Es ist meine Fantasie.
Jedenfalls besuchte ich den Strand als Erstes. Auch dieser Ort kommt im Buch vor. Helmut wird hier zum Fischer-Lehrling.
Kastro selbst hat einen unglaublichen Eindruck auf mich gemacht. Dieser Ort, der wie eine Festung angelegt ist, ist mysteriös und manchmal unheimlich, wenn das bei gleißendem Licht überhaupt geht. Ich liebe es, durch die engen Gassen zu schlendern und mich an den Eindrücken zu erfreuen. Überall verstreut sieht man die Zeugen der Vergangenheit, antike Säulen, Sarkophage, sogar eine Mauer aus minoischer Zeit ist in restauriertem Zustand erhalten. So alt ist Kastro schon. Über 3000 Jahre.
Der Blick auf das Meer, vor allem auf die malerische Kapelle „Sieben Märtyrer“ ist unbeschreiblich. Für mich ist es das Bild von Sifnos, an das ich als Erstes denke, wenn mir die Insel in den Sinn kommt.
Eines allerdings fehlt: Ein Café in Richtung Meer. In meinem unveröffentlichten Roman gab es eines. Es ist auch nicht schwer, sich eines vorzustellen.
Nach dem Besuch von Kastro schaute ich mir noch den Friedhof vor der Stadt an. Er sticht ziemlich aus der Landschaft heraus.
Lange habe ich nicht mehr an meinen Roman gedacht. Er mag kein Meisterwerk sein. Aber es hat verdammt viel Spaß gemacht, ihn zu schreiben.