Kotor

Es hätte ein so schöner, ruhiger Tag werden können, so wie ich es eigentlich geplant hatte. Doch es kam völlig anders. Schon beim Aufstehen merkte ich ein enormes Ziehen in der hinteren Schulter, das sich auf meinen Nacken ausgedehnt hatte. Schon das leichte Drehen des Kopfes bereitete mir einige Mühe. Der Schmerz breitete sich dann aus, verzog meine Brustmuskeln und war jetzt allmählich nicht mehr lustig.
Ich denke, dass so etwas mein Bewusstsein benebelt. Statt nochmals nach Herzeg Novi zu laufen, vielleicht noch ein Kloster in besonderer Lage zu besuchen, wie ich eigentlich vorhatte, packte ich meine Sachen und fuhr ab. Dabei zweifelte ich laufend an dieser Entscheidung, spielte sogar wieder mit dem Gedanken, mich hinzulegen, damit sich die Muskeln entspannen können, aber ich setzte mich gegen mich selbst durch. Es wurde ein Reisetag, der es mir am Ende nicht einmal erlaubte, an meiner Geschichte weiter zu schreiben. Also nicht besonders ideal.

Ich begann die Tour heute mit der Küstenfahrt um den Fjord herum. Es ist eine der wundervollsten Strecken, die ich bislang gefahren bin, führt direkt am Wasser entlang. Immer direkt an den Bergen entlang, die die Straße förmlich ans Meer zu drücken schienen. Hunderte von Metern ging es nach oben, es ist ein Szenario von atemberaubender Schönheit. Oft hielt ich an, machte Fotos vom Wasser und von Gipfeln, die beinahe im Dunst der Hitze verschwanden. Überraschenderweise sah ich eine Menge Campingplätze, keiner davon im ADAC-Führer. Wahrscheinlich gibt es keine Einzelwaschkabinen, daher sind sie nicht gut genug. Auch wenn die Schmerzen in meinem Nacken immer schlimmer wurden, konnte ich mich nicht dazu durchringen, anzuhalten. Letztlich war ich auch erst ca. 15 Kilometer gefahren. Allerdings nahm ich mir vor, bei nächster Gelegenheit doch zu halten, denn es kamen Orte, die eigentlich dazu einluden, sich hier auch abends aufzuhalten. Doch dann kamen keine mehr, in Perast hielt ich kurz an, wurde aber, nachdem ich einige Bilder gemacht hatte, von einem Busfahrer vertrieben, der unbedingt dort halten wollte, wo das Auto stand. Frechheit, auch wenn es eine Haltestelle war, kann er doch auch ein wenig suchen, müssen andere doch auch. Den Ort habe ich dadurch nicht gesehen, fuhr aber weiter, in der Hoffnung, einen Platz für die Transe zu finden.

Nach etlichen Kilometern gab ich auf. Aber Kotor wollte ich sehen, auch ohne Bleibe. Es stellte sich als nicht besonders einfach heraus. Erst einmal stand ich im Stau, denn ich war definitiv nicht der Einzige, der die Stadt sehen wollte, die der Campingplatzbesitzer in Herzeg Novi mit „Klein-Dubrovnik“ bezeichnet hatte. So kurvte ich eine Weile umher, bevor ich in ca. einem Kilometer Entfernung einen Parkplatz gefunden hatte. Wieder also ist es mir gelungen, das Prinzip „Parkraumbewirtschaftung“ zu überlisten. Es waren nur 10 Minuten zu Fuß, dann hatte ich Kotor erreicht.

Wenn ich gestern geschrieben habe, dass Montenegro touristisch noch nicht entwickelt ist, wurde ich hier Lügen gestraft. Kotor ist perfekt auf Besucher ausgerichtet, hat eine Altstadt, die sich mit jeder italienischen messen kann und ist immer noch entspannt genug, so dass ich in aller Ruhe bummeln konnte. Außen sieht es wirklich ein wenig wie Dubrovnik aus, sehr starke Mauern scheinen die Stadt noch immer zu verteidigen. Aber drinnen ist es anders, mittelalterlicher. Dabei ist draußen an der Mauer ein Wappen, ein Löwe mit Flügeln, kaum beachtet, aber es ist das Zeichen Venedigs. Faszinierend, wohin die Kaufleute der Lagunenstadt ihre Finger ausgestreckt haben.
Ich mochte Kotor auf Anhieb, Zwar waren gerade, als ich das Haupttor passierte, besonders viele Besucher da, aber das legte sich im Laufe der Zeit. Verwinkelte Gassen, schiefe und prächtige Häuser, Flair des Alten. Auch hier ist alles perfekt restauriert, etwas glaubhafter als anderswo. Es ist aber nicht nur die Stadt an sich, es ist ebenfalls die Lage. Sie liegt direkt unter einem Bergmassiv, hoch über ihr thront noch eine Festung, die man auch ersteigen kann. Ich schaffte es heute natürlich nicht, schon beim Gedanken an Klettern spannten sich die Muskeln in meinem Nacken immer weiter an. Ich war dadurch behinderter als mir lieb war, es strengte mich ebenfalls an. Die Kirchen hier schenkte ich mir, in allen wollte man einen Obolus, der ist es mir zurzeit nicht wert. Dafür huldigte ich wieder einem anderen Hobby, richtig, people watchig und im Internet surfen, einfach wundervoll. Überall offene Menschen und Netze. Geschrieben hab ich nicht, dafür war ich zu unruhig.
Nachdem ich dort eine ganze Weile gesessen habe, lief ich nochmals durch die Stadt, irgendwann aber hatte ich jeden Winkel erkundigt. Wenn es an solchen Orten langweilig wird, ist es vorbei, dann ist die Luft heraus. Da hilf auch kein Weiterwandern, ich zumindest sehe dann nicht mehr hin.
Also lief ich zurück zum Auto. Da ich kein Schattenparker bin, lief das Wasser in Strömen. Aber Hitze soll ja gut sein gegen Verspannungen, auch wenn ich es noch nicht spüre.

Wenn ich in ein neues Land komme, ist das Einkaufen immer ein besonderer Moment, denn es zeigt einem sehr viel über das Leben der „echten“ Menschen. Immer wieder bin ich überrascht, wie günstig doch Lebensmittel im reichen Deutschland sind im Vergleich zu denen im wesentlich ärmeren Ausland. Mir fällt dabei immer wieder ein, wie schnell Deutsche jedoch jammern. Ob die Ost-Europäer das auch tun?

Mein Ziel sollte langsam ein Campingplatz sein, doch der bei Budva war so unsympathisch, dass ich vorbei fuhr. Auch lag er sehr ungünstig, durch riesige Klippen von der Stadt getrennt, so dass es für einen Besuch mit dem Fahrrad eben völlig ungeeignet war. Die vielen Strandbars und Diskotheken versprachen auch keinen besonders ruhigen Aufenthalt, also fuhr ich weiter. So lange, bis ich bei Sveti Stephan ein Schild sah. Nicht einmal Google kennt diesen Campingplatz, sehr merkwürdig. Sicher, er steht auf der Stufe von vielen Marokkanischen, aber er ist doch mindestens eine Option. Den Ort selbst sehe ich mir heute Abend an.
Jetzt habe ich Montenegro schon zur Hälfte durchquert, das ist nicht unbedingt Sinn der Sache gewesen, schon gar nicht am zweiten Tag. Ich werde mir eine andere Route oder zumindest die eine oder andere Station überlegen, die ich anfahren werde. Vielleicht einen Nationalpark.
Wir werden sehen.