Bourton-on-the-water

Es war eine recht stürmische Nacht. Die Ebene, auf dem sich der Campingplatz befindet, ist den Elementen ausgesetzt und eine steife Brise rüttelte mich durch. Ich weiß immer noch nicht warum, aber bei starkem Wind fühle ich mich nie besonders gut, so dass mein Tag viel zu spät erst um weit nach acht Uhr begann. Letztlich war es egal, denn nach so vielen Tagen des spektakulären Sightseeings genoss ich die Tatsache, es etwas ruhiger angehen lassen zu können. Auch wurde mir bewusst, dass es die erste Nacht im Camper war, die ich seit der Katastrophe bei Pisa allein hier verbracht habe. Komisch, wie die Zeit vergeht, vier Monate sind seither ins Land gezogen.

Heute Morgen las ich eine Kurzgeschichte von Hermann Hesse über das Reisen. Auch er ist oft unterwegs gewesen, hat viele Teile der Welt gesehen und Erfahrungen gesammelt ohne die Bindung zu seiner Heimat zu verlieren. Vielleicht ist es auch für mich an der Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, warum auch ich die ständige Unruhe spüre, andere Orte sehen zu müssen.
Zwar ist der gefährlichste und heißeste Brand vorbei und allzu selten noch frequentiere ich den Rough Guide, verlasse mich lieber auf meine Augen und Sinne, um zu entdecken, was mich bewegt. Auch hat meine Reisegeschwindigkeit abgenommen, wenn ich an meine ersten echten Erfahrungen denke. Im Alter von Anfang zwanzig war ich auch hier wie bei allem anderen ein Spätstarter, konnte ich kaum still sitzen, wenn ich eine Attraktion sah, dachte ich bereits an die nächste. Ich gönnte mir kaum Pausen und so wurde das Reisen damals zu einer echten Strapaze. Heute ist es anders, ich tue, wozu ich Lust habe. Auch ein Gang durch die Natur in einem Land ist für mich genauso erfüllend wie das Besuchen antiker Stätten oder prachtvoller Museen. Vieles hat an Reiz gewonnen, was ich früher nicht einmal beachtet hätte. Und dennoch, auch wenn ich wesentlich ruhiger geworden bin, hat das Reisen selbst nichts an der Faszination verloren. Noch immer zieht es mich in die Welt hinaus und ich denke, dass ich sogar erst am Anfang meiner Reisekarriere stehe. Es hat mir geholfen, offener zu werden, mehr auf die Menschen zuzugehen. Eine Tatsache übrigens, die mir auch im Alltag in Berlin hilft, denn der Zauber der Fremde geht auch auf die Menschen über, die ich in meiner Heimat treffe. Selbst bei normalen Unterhaltungen oder Alltagsgeschäften spüre ich diese Veränderung im Vergleich zu früher.
Und doch kehre ich oft zurück zum Ursprung. In Italien entdeckte ich damals die großen Renaissance-Künstler, Michelangelo, DaVinci, Raffael. Ich sah mir die griechischen Tempel mit großem Eifer an und entdeckte mittelalterliche Städte und deren Charme. Auch heute ist es noch so, nur ruhiger. Und dennoch habe ich das Gefühl, alles intensiver zu erleben, genauer hinzusehen. Und nicht nur auf Reisen. Dieser Blick ist meiner, ich habe ihn durch das Reisen gewonnen.

Früher, als Kind, da hat ihn im Grunde jeder. Hinter jedem Winkel versteckt sich dann ein Abenteuer, immer steckt etwas Besonderes in jedem Ort. Irgendwann verlieren wir das, unsere Aufmerksamkeit widmet sich anderen Dingen, die man vielleicht als die realen im Leben bezeichnen kann. Durch das Reisen jedoch konnte ich wieder einen Teil dieser kindlichen Neugier zurückgewinnen.
Sicher bemerke ich noch nicht alles, aber die Schönheit entdecke ich nun oft in den kleinsten Details und bin mir nicht zu schade, stehen zu bleiben, wo andere in Massen vorüber strömen. Heute zum Beispiel war es ein Cottage Garten, den es hier sicher zu Hunderten gibt. Die Lupinen standen in voller Blüte, ebenso wie die Rosen. Der Duft war betörend süß, aber das, was mich am meisten beeindruckt hat, war das Geräusch. Tausende von Hummeln und Bienen gingen ihrer Arbeit nach und erfüllten den Garten mit einem gleichbleibenden Ton ihrer schwirrenden Flügel. Die hellen Sandsteine des Cottages bildeten den perfekten Hintergrund.

Ich wanderte heute Morgen nach Bourton. Dabei verlief ich mich mehrere Male, immer wieder jedoch fand ich den Bridle Way wieder, der mich schon bald ins Herzstück der Cotswolds führte. Es war bereits am Morgen ziemlich voll. War es immer schon, denn Touristen kommen hier busweise an. Besonders Japaner , die man also nicht nur in Oxford besuchen. Ich potterte ein wenig in den Geschäften herum, schaute mir Kleidung für Personen jenseits des Rentenalters an, besah in einem Küchenladen eine ganze Auswahl an Teetassen, alles in englischer Manier: natürlich für Touristen.
In einer Teestube bestellte ich eine schöne Tasse Cappuccino. An das Nationalgetränk Englands habe ich mich in sieben Jahren nie gewöhnen können. Mittlerweile aber ist Espresso wirklich kultiviert. Oh lovely.
Danach wanderte ich weiter durch Bourton. Das Dorf ist eigentlich sehr malerisch, doch die Massen wurden immer größer. Kaum ein Flecken Gras war an den Ufern der Kanäle noch frei. Ich erinnerte mich daran, dass ich für VisitEngland einen Text über Bourton übersetzt hatte. Da war von einem Wanderweg zu den Slaughters die Rede gewesen, Den suchte ich und nach einigen Irrläufen fand ich ihn auch. Hier war es wesentlich ruhiger, in Lower Slaughter entdeckte ich einen hübschen Platz für ein Picknick, direkt an einem Bach, hinter mir die alte Kirche mit dem typisch urigen Friedhof. Vor Jahren wollte die Regierung Blair etwas gegen die verwitterten und schief stehenden Grabsteine auf solchen Friedhöfen unternehmen. Ein Sicherheitsrisiko, so hieß es damals. Ich bin froh, dass sie sich nicht durchgesetzt hat.
Ich lief danach weiter nach Upper Slaughter, auf den Feldern an Schafherden entlang. Ich erfreute mich an den sanften Hügeln und der warmen Sommerluft. Ein perfekter Tag für eine kleine Wanderung. Upper Slaughter begrüßte mich genauso herzlich, die alte Kirche spendete Schatten und ich suchte mir einen Krimi aus, der hier gegen eine Spende zu haben war. Ich liebe so etwas. Die vielen Charity Shops mit den Büchern, die einem eine ganze Urlaubslektüre bescheren können.

Der Weg zurück wurde recht lang, ich merkte, dass ich in den Monaten meines Aufenthalts in Berlin etwas eingerostet war. Ich setzte mich in Bourton noch einige Minuten an den Fluss, sah den Menschen dabei zu, wie sie die Sommertage genossen, jeder auf seine Art. Familien picknickten, Kinder spielten im Wasser und einige Lads versorgten sich im Pub mit Pints. Es herrschte eine wirklich entspannte und fröhliche Atmosphäre.
Gegen 18 Uhr war ich wieder am Campingplatz, müde und völlig eins mit mir. Ich war heute an genau dem Ort, an dem ich sein sollte. Selten weiß ich das so genau. Morgen fahre ich sicher wieder etwas weiter, auch wenn es sein kann, dass ich wieder hier übernachte. Der Platz ist einfach ideal. No nonsense. Und mittendrin.