Ayvalik

Die Nacht war eisig kalt. Drei Decken brauchte ich, um wenigstens etwas warm zu bleiben. Der Wind rüttelte an meiner Behausung. Irgendwann hörte ich den Hahn krähen, draußen war es noch völlig finster. Eine Fehlfunktion des Federviehs? Ich musste sowieso austreten, also pellte ich mich aus den Decken. Es war wirklich etwas heller als noch gestern Nacht, aber war es wirklich schon soweit, dass die Sonne aufging? Ein Blick auf die Uhr im Camper schockierte mich, sieben Uhr bereits. Ich fühlte mich wie drei Uhr nachts. Es kann auch sein, dass es an meiner kleinen Erkältung lag, die mich doch mehr erschöpft als mir lieb ist. Doch länger als eine Stunde blieb ich nicht liegen.

Es war Zeit, weiter zu fahren. Was auf der Karte nur wie eine kurze Strecke aussah, entpuppte sich am Ende als 80 Kilometer. Hinzu kamen noch weitere 20, auf denen ich umherirrte. Aber dazu später.
Die Strecke selbst lief entlang des Meeres. Vom Camper sah es fantastisch aus, doch draußen stürmte es immer noch. Ich hatte es nicht sehr eilig, konnte mir Zeit lassen. Irgendwie spüre ich im Moment kaum Eile, aber so etwas ändert sich öfter als mir lieb ist. Also nutze ich diesen Tag aus so gut ich konnte.
Ich hielt an, um einzukaufen. Ich wunderte mich, dass ich so viel bezahlen musste, beachtete es aber nicht weiter. Erst später kam ich auf die Idee, doch einmal den Kassenbon zu kontrollieren. Dort merkte ich, dass ich für sechs Flaschen billigstes Wasser 12 Lira, also sechs Euro gezahlt hatte. Ganz genau also den sechsfachen Preis, der ausgeschildert gewesen war. Eigentlich hätte ich drei Dutzend Flaschen im Camper stapeln müssen. Warum erzähle ich es? Weil es mich ärgerte. Nicht nur wegen der paar Piepen, sondern weil ich meinem Instinkt wieder einmal nicht rechtzeitig gefolgt bin. Ich habe in England einmal ein Kilo Mehl gekauft. Also eigentlich 45, denn das war es, was die Verkäuferin abgerechnet hatte. Bei dem Wocheneinkauf hatte dieser Posten kaum etwas ausgemacht, kein Wunder bei neun Pence pro Kilo, dennoch war es mir damals teuer vorgekommen. Auch damals habe ich erst zu Hause kontrolliert. Warum mache ich das? Ich weiß, dass etwas nicht richtig ist, werde trotzdem nicht aktiv. Um ehrlich zu sein, beunruhigt mich das, denn wer weiß schon, ob ich es nicht genau so mache, wenn es wirklich um etwas geht. Ich glaube, dass ich wieder auf meine schier grenzenlose Faulheit gestoßen bin. Sonst würde mir das nicht geschehen. Ich nehme mir hiermit vor, weniger faul zu sein. Als wenn es damit getan wäre.

Der Ort Ören war auf der Karte gelb hinterlegt, Grund genug also, um kurz zu halten. Die eigentliche Attraktion hier ist der Strand, goldgelb und sandig, das Meer blau und still. Ganz sicher ein perfekter Ort, um zu baden. Doch heute war es nun wirklich nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Das Ressort drum herum war genauso leer wie der Strand. Auch wenn es Samstag war, hatte kaum jemand der Weg hierher gefunden. Spielte ich noch kurz vorher mit dem Gedanken, eine Nacht hier zu bleiben, entschied ich mich rasch dagegen, in einer Art Geisterort wie diesem wollte ich nicht bleiben. Jetzt noch nicht.
Ayvalik lag als Nächstes vor mir, hier aber würde ich sicher etwas finden. Die Stadt selbst empfand ich beim Durchfahren als nicht besonders attraktiv, trotz anderslautender Berichte des Rough Guides. Ich fuhr erst einmal hindurch, entdeckte einen Campingplatz und fuhr aufs Gelände. Mit dem alten Besitzer wurde ich rasch einig. Dann schaute ich mir die sanitären Einrichtungen an. Dabei kam ich an einem alten Sofa vorbei, auf dem ein riesiger Köter saß. Vor dem Sofa lag ein mit Fliegen bedeckter Katzenkadaver. Mir drehte sich fast der Magen um. Nur noch zum Schein warf ich einen Blick auf die völlig verschmutzten Toiletten und die sandigen Duschen. Ich hatte den Alten nach einer Fahrradpumpe gefragt, die er mir zum Camper brachte. Sie passte nicht, Grund genug also, abzufahren, um eine suchen zu gehen. Ich machte mir nicht die Mühe zu erklären. Ich wollte so schnell wie möglich weg. Widerlich. Ich sah sein Gesicht im Rückspiegel. Wer weiß, ob der Hund es war, der die Katze getötet hat. Wenn ich in mich hineinhorche, fällt mein Verdacht auf den Alten. Dort konnte ich jedenfalls nicht bleiben.

Ich irrte in der Gegend umher, es musste noch einen Platz geben, Camping Ada auf einer Insel Adasi/Cunda. Ich suchte eine Weile, verfuhr den teuren Sprit. Dann irgendwann landete ich auf einer Brücke, das war es.
Der Platz, den ich nach zehn Kilometern erreichte, liegt wundervoll, direkt am Meer. Es sieht noch malerischer aus als der, auf dem ich die letzten beiden Tage gewohnt habe. Er ist deshalb auch sehr teuer. Die Toiletten sehen ebenfalls verdreckt aus. Ich verstehe es nicht, Preise wie an der Costa Brava, Einrichtungen wie in Montenegro. So werden sie nicht viele westliche Touristen anziehen. Aber schön gelegen ist es natürlich trotzdem.
Vom Besitzer habe ich erfahren, dass das Dorf auf der Insel sehr schön sein soll, schöner als Ayvalik. Daher werde ich den morgigen Sonntag für einen Ausflug zu Fuß nutzen, es sind wohl nur drei Kilometer. Vielleicht fährt auch eine Fähre aufs Festland.
In jedem Fall bin ich heute nicht dazu gekommen, an meinem Roman zu arbeiten. Das muss ich morgen nachholen. Aber der Tag ist ja auch noch nicht vorbei, selbst wenn es schon Abend ist.
Das Bild der toten, geschundenen Katze geht mir trotzdem nicht so leicht aus dem Kopf. Es ist schon gut, dass ich abgefahren bin.