Bei Silifke

Es reicht. Heute blieb ich nochmals, doch langsam merke ich, dass es wirklich genug ist. Das ewige Nichtstun tut mir nicht gut, besonders heute gammelte ich nur vor mich hin. Jetzt, am Abend, fühle ich mich ausgelaugt und unnütz. Daher habe ich beschlossen, morgen früh endlich die Zelte abzubrechen. Meine Route habe ich auch schon festgelegt, obwohl ich mich insoweit kenne, dass ich sie jederzeit ändern könnte. Wenn alles gut läuft, schaffe ich es morgen zurück nach Antalya, immerhin 400 Kilometer. Am nächsten Tag geht es nach Pamukkale, alles Weitere werde ich sehen. Damit wären vorherige Pläne ad acta. Aber es macht nichts.

Trotz meines Müßiggangs heute habe ich einen Quantensprung gewagt. Nach langem Zögern schrieb ich vor einigen Tagen einen Literaturagenten an, der hat heute geantwortet. Kurzerhand schickte ich ihm zwei Manuskripte und warte jetzt, was er dazu sagt. Ich muss gestehen, dass es für mich ein Wagnis ist. Am Ende werde ich Feedback bekommen, jemand vom Fach wird mein Werk beurteilen. Und ich habe natürlich die Befürchtung, dass es nicht gut genug ist. Allerdings erinnere ich mich oft an meine Vorbilder, z.B. Churchill, der nie aufgegeben hat, auch wenn er nicht auf die Zustimmung anderer bauen konnte. Trotzdem bin ich aufgeregt, doch am Ende gewinnt der, der etwas wagt. Jemand, der nicht wagt, kann nichts gewinnen. Allerdings auch nicht verlieren. Wie weit mein Selbstbewusstsein wirklich ist, werde ich somit nun in einigen Tagen wissen. Denn die Antwort wird kommen und sicher kein Standardschreiben sein, wie es Verlage senden. (Anmerkung ein Jahr später: Es kam nie eine Antwort, selbst auf Nachfragen hin nicht. Aber das ist wohl auch eine Antwort.)

Dabei habe ich am meisten Angst vor dem Erfolg. Vielleicht ist das mein ganzes Leben schon so, immer, wenn ich hätte feiern können, wenn ich etwas erreicht hatte, war es plötzlich nicht mehr gut genug, dachte ich bereits an Aufgaben, die vor mir lagen. Ich möchte das hier und jetzt anders machen, möchte den Schleier des Misserfolgs – des gesuchten Leidens – ablegen. Ich bin bereit, dafür hart zu arbeiten, Opfer zu bringen. In einigen Jahren schaue ich vielleicht auf diese Zeilen zurück, werde mich erinnern, was ich eigentlich einmal vorhatte. Es wird in jedem Fall spannend.

Hier bin ich nun also, wirklich am letzten Tag des Sommers. Wieder verführt mich die Wärme, jeder Kilometer zurück nach Westen/Norden ist gleichbedeutend mit Kälte. Auch wenn es tagsüber noch immer sehr warm in der Türkei ist, sind die Nächte jetzt schon kühl. Das ist hier eben anders. Aber ich darf mich davon nicht weiter beeindrucken lassen. Die Reise leidet darunter und im Moment wäre ich auch gewillt, den kommenden Roman wieder wie den anderen, also neben dem Reisen, an den düsteren Winterabenden zu schreiben, um tagsüber die Gegend zu erkunden. Ganz so, wie ich es seit einem halben Jahr mache.

Wer diese Texte liest, muss denken, dass ich ein besonders wankelmütiger Mensch bin. Der Eindruck ist richtig. Oft kann ich mich an mein eigenes Geschwätz des Vortags schon nicht mehr erinnern. Pläne werden so hinfällig, und selbst wenn sie mir noch im Gedächtnis sind, halte ich mich nicht daran. Trotzdem fühle ich mich gut dabei. Manchmal ist die Situation einen Tag später schon anders oder mir ist etwas Besseres eingefallen. Warum dann also nicht den Mut haben, es anders zu machen? Ich bin fasziniert von neuen Ideen, oft kann ich mich nicht entscheiden. Aber jetzt muss ich es und morgen werde ich mich zwingen abzufahren.
Ich bin gespannt, ob dieser Ort mich lässt. Bis jetzt hält er mich ganz gut in Schach. Es wird in jedem Fall hart.
Denn ich muss zurück in die Kälte.