Fahrt nach Mistra
Und doch war es am Ende schwieriger als ich dachte. Das Verlassen Koronis stellte sich als Herausforderung dar. Irgendwann in den letzten Tagen habe ich meinen Rhythmus umgestellt, fahre jetzt in dem mir sonst bekannten Griechenland-Tempo, also alles ein bisschen langsamer. Vor einigen Tagen habe ich von dem gesprochen, das mich antreibt. Das ist natürlich noch da, aber lange nicht so stark. Schon heute Morgen wieder, viel zu spät, nach acht Uhr erst erwachte ich und lag einfach nur da, dachte darüber nach, ob es nicht besser wäre, noch einen Tag zu bleiben. Nun war aber Schluss, ich schüttelte alles ab, was diese Form der Faulheit verursacht haben konnte, der Camper sah aus wie auf dem Schlachtfeld, etwas ist definitiv anders. Ich tat mein bestes, um etwas Ordnung zu schaffen, vom Gedanken sehr früh abzufahren, hatte ich mich schon zwangsläufig verabschiedet. Auf der anderen Seite hetzte ich mich nicht, genoss ein ausgiebiges Frühstück und machte dann die Leinen los.
Auf ungefähr 100 Kilometer hatte ich die heutige Strecke geschätzt, an Kalamata vorbei, über den Laghada-Pass bis nach Mistras, der byzantinischen Stadt. Schon beim Start wusste ich, dass es trotz der kurzen Strecke keine zeitlich kurze Angelegenheit werden würde, aber was machte das schon? Ich fuhr die ersten Kilometer am Wasser entlang, oft mit Blick auf den mittleren „Finger“ des Peloponnes, der Mani, die rau und wild sein soll. Auf dieser Fahrt werde ich es nicht heraus bekommen, denn meine Reise geht wieder gen Norden. Kalamata selbst wollte ich auslassen, mein Rough Guide teilte mir mit: If you can, travel through quickly. Das tat ich, allerdings stellte sich das als etwas schwierig heraus, denn die meiste Zeit raste ich in Schrittgeschwindigkeit einem Traktor hinterher. Erst kurz vor Ortsende bog dieser ab, gefolgt von meinen Flüchen. Ich kann so etwas nicht ausstehen, auch wenn ich sicher bin, dass ich im Allgemeinen das Verkehrshindernis darstelle. Aber davon merke ich meist nichts, also ist es mir egal.
Kurz hinter Kalamata begann der Aufstieg, der noch sehr gemütlich verlief. Aber ich ahnte, was noch kam, denn Garmin zeigte mir im Voraus schon eine ganze Reihe von Serpentinen. Die Gegend wurde rauer und karger, ich sah wieder viele Berghänge, aus denen Tausende von schwarzen Stummeln herausragten, einst prächtige Bäume, jetzt nur noch verbranntes Holz. Ich habe auch den Eindruck, dass eine nicht wieder gutzumachende Erosion schon eingesetzt hat, die den dünnen Boden abgetragen hat. Der nackte Fels schimmert jedenfalls schon viel zu oft hervor. Ich habe den Eindruck, dass an diesen Orten jahrhundertelang nichts mehr wachsen wird, weil einfach die Grundlage fehlt. Wenn ich dann sehe, wie Leute – Touristen und Einheimische – ihre Zigarettenkippen achtlos auf dem Boden entsorgen, kann ich nur den Kopf schütteln. Es ist einer der Gründe, weshalb ich mich gegen das hier so verbreitete wilde Campen entschieden habe. Zum einen stecken die Griechen in einer schweren Krise, jeder eingenommene Euro zählt, zum anderen möchte ich nicht für die Vernichtung von einigen Tausend Hektar Wald mitsamt den darin lebenden Tieren verantwortlich sein. Wie so etwas aussieht, habe ich nun zur Genüge gesehen.
Natürlich ist die Fahrt über diesen Pass eindrucksvoll, denn an vielen Stellen gewinnt die Natur Land zurück. Besonders Olivenbäume – manchmal schwarz verkohlt – stemmen sich gegen die eigentliche Zerstörung, sprießen wieder, auch wenn man ihnen ansieht, dass sie große Schmerzen gelitten haben. Erstaunliche Bäume. Umso schlimmer, dass besonders alte Exemplare so oft zum Verkauf angeboren werden. Obwohl ich sagen muss, dass ich so etwas eher in Kroatien und Italien gesehen habe und nicht hier. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich besonders in Griechenland so beeindruckende Olivenbäume gesehen habe, einer war laut Aussage der Besitzer über tausend Jahre alt und spendete der Terrasse einer ganzen Taverne Schatten.
Anders als bei anderen Pässen genoss ich die Fahrt heute noch mehr. Vielleicht weil die Etappe nicht so lang war, denn ich wusste, dass ich nur noch ca. 30 Kilometer zu fahren hatte, die ich daher langsam angehen konnte. Nach dem Pass ging es recht schnell wieder abwärts, ich kam in eine beeindruckende Schlucht. Es ist immer ein erhabenes Gefühl, wenn die Bergwände sich neben einem auftürmen, während man selbst auf schwierigen Straßen Kurve um Kurve meistert, der Abgrund immer noch tief genug, um einen zu beeindrucken.
Von hier aus dauerte es nicht mehr lang, dann sah ich Sparta unter mir, Mistra ebenfalls, denn die Burgruine ist weithin sichtbar. Sparta, Kriegergesellschaft der Antike, Bezwinger der Athener, der weichen Feingeister, die Euch so lange erfolgreich Widerstand geleistet haben. In einer der Schluchten sollen die Spartaner früher die Kinder entsorgt haben, die nicht ihrem Gesundheitsideal entsprochen haben. Dagegen sind doch Sarazins Äußerungen geradezu milde. Wie es eben geschieht, sind die Spartaner irgendwann verschwunden. Heute ist kaum etwas übrig von der antiken Gesellschaft, die den Peloponnes einst beherrscht hat. Die Spartaner haben nie viel wert auf die Schönheit der Architektur gelegt, alles war praktisch gebaut, meist aus Holz. Das kann ich akzeptieren. Vor vielen Jahren habe ich über ihren Untergang gelesen. Das war erstaunlich. Homosexualität war im antiken Griechenland völlig akzeptiert, nicht nur das, es war Teil des Alltags. Die Spartaner aber scheinen es im Laufe der Jahrhunderte übertrieben zu haben, denn sie kamen nicht mehr aus ihren Kasernen heraus zu ihren Ehefrauen, vergnügten sich lieber untereinander. Was kam am Ende heraus? Gar nichts, denn die Spartaner wurden immer weniger, weil sie sich nicht mehr fortpflanzten. Das soll ihren Untergang besiegelt haben. Sozusagen selbst natürlich dezimiert. Aber das kann ich nicht belegen. Ich sag es mal trotzdem.
Heute machte ich nichts mehr, ich schrieb am Roman, der nun wirklich in den letzten Zügen liegt, schwamm eine Runde im Swimmingpool und muss gestehen, dass ich mich daran gewöhne.
Morgen sehe ich mir die antike Stadt an, die beeindruckend sein soll. Sie sah schon von Weitem so aus, direkt am Berg konnte ich viele Mauern erkennen. Aber das hat nun wirklich bis morgen Zeit.