Manavgat

Der Oktober ist vergangen und wir befinden uns in den Wintermonaten. Es hört sich dramatischer an, als es ist, denn noch immer bewegen wir uns um die Mittzwanziger herum, was die Temperaturen angeht.
Schon um sieben schlug ich die Augen auf, die Sonne schielte durch das Blätterdach der alten Bäume hindurch. Eigentlich liegt dieser Platz wundervoll und war sicher auch einmal prächtig. Vor fünfzehn Jahren. Denn ich habe an der Rezeption Aufkleber vom ACSI-Führer gefunden, den letzten aus dem Jahre 1995. Ab diesem Zeitpunkt ging es bergab, die Ruinen erinnern noch an einst glorreiche Zeiten, die schon lange vorbei sind. Das geschieht eben, wenn man einen Ort derartig vernachlässigt. Schon das Zähneputzen wurde jedes Mal zu einer Qual. Heute sollte diese Überwindung ein Ende haben. Der alte Seebär, der den Platz leitet, versuchte auch noch, einen für ihn besonders günstigen Eurokurs abzurechnen. Ich kann jedem nur empfehlen, so etwas niemals hinzunehmen. Auch der Preis, den wir bezahlten, war immer noch zu hoch angesichts der äußeren Umstände. Eigentlich waren alle sehr nett. Die türkische Nachbarin gab uns eine Menge Tipps, verabschiedete uns mit Küssen auf die Wange, auch der Seebär schüttelte meine Hand mit seiner Pranke, das Lächeln und die Freundlichkeit waren tief und echt. Wenn nur sein Campingplatz nur etwas gepflegter wäre, wären wir sicher noch geblieben. Am Ende jedoch waren wir beide froh abzufahren, brauchten dringend eine Dusche.

In Antalya verfuhren wir uns wie üblich. Ich glaube nicht, dass ein einziger Tag vergangen ist, an dem mir das nicht auf die eine oder andere Weise geschehen ist. Dann aber folgten wir der Richtung Anlanya, in der Hoffnung, diesmal mehr Glück mit dem Platz zu haben. Ich behielt meine Befürchtung, im touristischen Niemandsland ohne Unterkunft zu landen, für mich. Letztlich stellten sie sich als unbegründet heraus, wir fanden einen wundervollen kleinen Campingplatz, direkt am Meer, mit den saubersten Einrichtungen, die ich in der Türkei gesehen habe. Es ist genau der richtige Ort für die Urlaubsbasis, wo Nina ihre gestresste Seele baumeln lassen kann. Es gibt einige Ausgrabungsorte in der Gegend, die wir uns ohne Eile ansehen können.

Mir gingen auch andere Gedanken durch den Kopf. Um sieben war ich bereits wach, weil es einfach hell wurde. Ich brach beinahe in Panik aus, weil ich noch einige Minuten liegen musste, denn Licht ist zu einem wertvollen Gut geworden. Jetzt sitze ich hier, am Strand und sehe einem rötlich-schimmernden Sonnenuntergang zu, den ich übrigens aus Kitschgründen nicht fotografiert habe. Es ist eigentlich schön, doch ist es erst kurz vor fünf. Mir bereitet das zumindest Bedenken, denn ich habe mich ohne Zweifel zu einem Menschen entwickelt, der oft und gerne draußen ist. Da ich im Dunkeln schlecht sehe, ist der Tag meist bei Sonnenuntergang vorbei. Diese Zeitumstellung war wie eine Schallgrenze – Sonnenuntergang um sechs ist noch zu ertragen, um fünf jedoch nicht mehr. Die Tage sind jedoch noch so wundervoll, dass ich noch nicht daran denken möchte, diese Fahrt zu beenden, doch manchmal kommt mir der Gedanke schon. Ich habe mich auch dabei ertappt, in den diversen Rough Guides nach möglichen Orten Ausschau zu halten, an denen ich überwintern kann. Völliger Blödsinn, denn meine Reise hat eine natürliche Fahrtrichtung. Umkehr ist nicht eingeplant, Spanien war vor einem halben Jahr und liegt Tausende von Kilometern entfernt. Aber eine andere Idee ist mir dabei gekommen. Vielleicht fahre ich zurück nach Griechenland und setze über nach Süditalien. Von dort könnte ich mir den Weg nach Sizilien bahnen, um dann mit einer Fähre nach Tunesien überzusetzen. Ich weiß, es ist ein schwacher Ersatz für Syrien oder Jordanien, aber immerhin. Und in Afrika ist die Sonne vielleicht noch etwas heißer als in Europa. Diesen Gedanken muss ich setzen lassen, denn ich weiß nicht einmal, wohin ich fahren werde, wenn Nina wieder fort ist. Ich will mich damit auch noch nicht befassen, denn ich genieße den Augenblick derzeit sehr, ein Zustand, den ich viel zu selten erreiche. Daher ist in einer Woche immer noch Zeit, sich Gedanken zu machen.

Den heutigen Tag haben wir wirklich ausgekostet. Ohne Stress haben wir unser Quartier gefunden und uns eingerichtet. Danach liefen wir für einige Stunden am völlig leeren Strand entlang, der verlassen vor uns lag. Die Sonne brannte, nicht mehr heiß, aber angenehm. So schön kann es also auch noch in einem Wintermonat in der Türkei sein.
Wenn doch nur die Tage länger währen. Aber das ist müßig. Ich werde mich an die Dunkelheit gewöhnen müssen, um mich an den seltenen lichten Momenten zu erfreuen.
Wie theatralisch….