Otocec

Die ganze Nacht über goss es in Strömen. Manchmal lugte ich aus dem Wohnmobil hinaus in die Dunkelheit, sah im Schleier der Feuchtigkeit zwischen den Tannen die Zelte stehen und beneidete die Leute darin nicht, denn ich kannte noch aus vergangen Tagen die Feuchtigkeit, die sich in jede Ritze, in jeden Zipfel hinein saugt. Dann kommt die Kälte, gegen die es kein Mittel mehr gibt, denn alles ist feucht und klamm. Selbst im Camper war es nicht mehr ganz trocken, auch wenn er dichter ist denn je, ab und an verirrt sich ein Tropfen hinein, dann ein zweiter und dritter, meist mit der Kleidung zusammen. Aber es war noch nichts im Vergleich zu einer Nacht im Zelt, ich hatte es warm und trocken, auch wenn mein Ischias etwas anderes dazu meinte, doch so etwas gehört ignoriert.

Am Morgen betrat ich die zum Platz und Lift gehörende Gaststätte, um noch etwas zu surfen, da begegnete ich den tapferen Zeltern, die gemütlich frühstückten. Zwar sah man ihnen in den zerfurchten Gesichtern die nicht ganz leichte Nacht an, doch wirkten sie fröhlich und heiter. Vielleicht waren sie erwartungsvoll in den Tag gestartet, in der Hoffnung, dass es nicht schlimmer kommen könne. Das halte ich zwar für naiv, schon weil es immer schlimmer kommen kann, besonders beim Zelten und die Dinger standen ja noch, aber am Ende war es berechtigt, denn der Regen ließ langsam nach.

Trotz des etwas besseren Wetters und der Tatsache, dass ich die Gegend wirklich noch lange nicht erkundet hatte, musste ich weiter. Einen weiteren Tag voller Ramdösigkeit hier, am Ende der Welt, würde ich nicht aushalten. Es ist auch eine Sackgasse, denn die Straße endet wenige Kilometer vom Campingplatz entfernt und bereits gestern konnte ich das Gefühl der Beklemmung nicht los werden, berechtigt oder nicht.
So kämpfte ich mich aus diesem Tal, das immer noch weinte, an den Bergen hingen die dicken Wolken, es war schaurig-romantisch, aber einen Fuß wollte ich dennoch erst einmal nicht hinaussetzen. Mein Weg führte mich wieder in die Hauptstadt, für eine Sekunde war ich versucht, auf alten Wegen zu wandeln und nochmals eine Nacht hier zu verbringen, vielleicht doch noch in ein Museum zu gehen, aber ich widerstand. They never come back. So ist es nun einmal, ich dachte an das Gefühl des Vergangenen in Venedig, den schalen Geschmack des bereits Dagewesenseins, das nur Reisende kennen. Also setzte ich den Weg fort, in Richtung Zagreb, das ich aber nicht vor nächster Woche erreichen will.

Mein Ziel heute: Otocec, nahe Novo Mesto, das ich morgen besuchen werde. Im Internet hatte ich eine vage Information zu einem Campingplatz gefunden, nichts Genaues, sehr unsicher, aber ich fand ihn leicht. Er liegt direkt am Fluss Krka, der trotz des Regens ruhig dahin fließt. Ich musste mit dem Camper über zwei Holzbrücken fahren und erinnerte mich am Jules Vernes Abenteuer aus „In 80 Tagen um die Welt“ . Ich war immer bereit, Gas zu geben, wenn ich spüren sollte, dass unter mir die Brücke nachgab. Wahrscheinlich alles nur Märchen, hätte sie wirklich nachgeben, wäre ich sicher eine schöne Wasserleiche geworden. Aber nichts geschah. Ich kam sicher an und parkte direkt am Fluss.
Eine Schwanenfamilie begrüßte mich, die sieben Jungtiere alle noch grau und unansehnlich, aber schon recht groß. Ich fütterte sie mit altem Brot, stellte dabei fest, dass die Eltern den Jungen vollständig das Feld überließen. Auch die Jungtiere stritten nicht. Eigenartig, jeder wartet geduldig darauf, seinen Teil zu bekommen. Wären doch die Menschen ebenso.

Es regnete immer wieder, die Temperatur war auf unter 20 Grad gefallen, zumindest laut Thermometer. Ich lief trotzdem am Ufer entlang in den Ort, kam dabei an der berühmten Burg entlang, die auf einer Insel liegt. Wirklich sehr malerisch, sie erinnerte mich an Azay le Rideau an der Loire, auch wenn das hier sicher eher eine Trutzburg war, wuchtig und praktisch. Heute ist darin ein Hotel untergebracht, bestimmt kein schlechtes.
Der Ort Otocec selbst gab nicht viel her, eine kurze Runde über den Friedhof erklärte mir, dass die Menschen hier entweder sehr alt werden oder aber sehr jung ins Gras beißen. Liegt sicher an der Fahrweise, den vielen Blumengestecken und Gedenktafeln an den Straßen nach zu urteilen.
Ich traf auf einen Zigeunerjungen, vielleicht zehn Jahre alt. Der bettelte sehr aggressiv, Marokko lässt grüßen, aber es war anders. Dieser Junge hatte alte Augen, ich möchte gar nicht wissen, was der schon alles gesehen hat. Listig und auch grausam. Wäre ich nicht in dem Ort gewesen, wer weiß, mein Netbook und Geld wäre vielleicht futsch gewesen, zumindest wenn er noch einige Angehörige seiner Sippe verständigt hätte. Dabei kam ich mir lächerlich vor, nur ein Junge und ich fühle mich bedroht. Aber sicher ist sicher. In jedem Fall bin ich viel weiter vorgedrungen, bin im „echten“ Slowenien gelandet, denn auf dem Platz hier ist selbst in der Hauptsaison kaum etwas los. Auch im Ort war ich sicher der einzige Ausländer.

In jedem Fall bin ich morgen auf die Stadt gespannt. Und noch etwas: Das ist der erste Campingplatz, auf dem es keinen WiFi-Anschluss gibt. Ein Novum in Slowenien, das mir meine Effizienz zurückgibt. Es war ein wundervoller Tag für den Schriftsteller. Morgen werde ich den Reisenden befriedigen. So muss es sein.
Wie würde mein Freund Thomas Demitter sagen? Hauptsache es geht gerecht zu.
Auf Dein Wohl, Thomas.