Issigeac

Ein letzter echter Reisetag. Das hatte ich mir vorgenommen. Die Energielosigkeit der letzten beiden Tage war wenig aufbauend. Ich wollte die Reise nicht so ausklingen lassen. Also suchte ich nach Ausflugsmöglichkeiten, die mich auch interessieren konnten. Eine mittelalterliche Stadt, was sollte es eigentlich sonst sein? Die Bastiden-Städte in der Gegend interessierten mich nicht so sehr, zwei hatte ich auch schon gesehen, Lalinde und Domme. Künstliche Gebilde, rein zu militärischen Zwecken erbaut und besiedelt. Aber eine schöne Stadt mit altem Flair, das würde mich mit Sicherheit interessieren.

Der Weg nach Issigeac begann kurz hinter dem Campingplatz. Ein steiler Hügel, so viel wusste ich schon. 16 Km, nicht die Welt, wenn es flach wäre, die ich natürlich auch wieder zurück musste, denn den Campingplatz wechsle ich nicht mehr. Es war tatsächlich so, dass ich das Rad den ersten Kilometer schieben musste. Trotzdem lohnte es sich, denn der erste Ort, Lanquais, durch den ich kam, entschädigte mich bereits mit einem kleinen alten Kern, einer wuchtigen Kirche und einigen Fachwerkhäusern. Etwas weiter entfernt sah ich ein Chateau, das als sicher sündhaft teures Hotel dient. Auch ein wundervoller Anblick aus der Ferne, mit spitzen Dächern wie in Paris, oben abgeflacht, aber steil.
Dann schob ich wieder, bis Faux, das nicht weiter sehenswert ist. Nun aber hatte ich es geschafft. Ich hatte die Ebene erreicht, keine weiteren Steigungen mehr. Ich rollte dahin, genoss die Landschaft, die ich nun beinahe wehmütig betrachtete. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich den letzten Tag hier vor mir hatte. Auch wenn es wirklich an der Zeit ist, wieder zurückzufahren, werde ich die Erlebnisse hier vermissen.

Issigeac erreichte ich nach anderthalb Stunden. Ich war gemächlich unterwegs gewesen, habe auch viel geschoben. Jetzt war ich gespannt, was mich erwarten würde.

Ich stellte das Rad ab, lief ein Stück in Richtung Kirchturm und stand sofort auf einem wundervollen Platz, der von mittelalterlichen Gebäuden gesäumt wurde. Ganz kurz war ich versucht, mich in das einladende Bistro zu setzen, aber dann hielt ich davon Abstand. So etwas gibt es für mich nicht. Nicht mehr auf dieser Fahrt. Nicht mit einem geklauten Rad im Nacken. Stattdessen schlenderte ich durch die Gassen. Es war herrlich leer, kaum ein Tourist hatte sich hierher verirrt. Ich verstehe das nicht. In Deutschland wäre Issigeac eine einzigartige Sehenswürdigkeit, der ganze Ort roch nach Geschichte, die windschiefen Gebäude erzeugten eine stilvolle Atmosphäre. Viele Leute zieren ihre Eingänge mit Blumen, so dass ich beinahe überschwemmt wurde mit Eindrücken, visuell und olfaktorisch. Ich konnte mir kein besseres Ende der Reise vorstellen. Irgendwann einmal muss Issigeac Bischofsstadt gewesen sein. Als Sarlat dann übernommen hatte, kamen die Bischöfe immer noch im Sommer. Die Wichtigkeit des Ortes war also mal gegeben. Den ehemaligen Bischofspalast konnte ich, glaube ich, identifizieren. Er ist ruinös, trotzdem eindrucksvoll. Issigeac ist voller Gelegenheiten für Immobilienkauf. Restaurants sind zu, Pubs ebenso. Auch Wohnhäuser werden angepriesen. Was für eine merkwürdige Angelegenheit. Keine 50 Km von hier stapeln sich die Touristen in Beynac und La Roc Gageac. Hier aber, etwas abseits der Dordogne, gab es beinahe gar keine. Diese Gegend ist voller Schätze, teilweise ungehoben, dass es eine Freude ist, wieder hier zu sein, um sie endlich zu entdecken. Fast zwei Stunden schlenderte ich also durch die Gassen, als ich alle durchhatte, wiederholte ich meinen Spaziergang, holte Eindrücke nach, die mir vorher entgangen waren. Es war wirklich ein Tag der guten Laune. Ich war unheimlich zufrieden mit mir.

Die Rückfahrt stellte sich wie erwartet als recht leicht heraus. Meist ging es flach geradeaus, oft aber abwärts. Kurz überlegte ich, ob ich ins nahe Beaumont fahren sollte. Es wäre sicher ein schöner Umweg gewesen, um die Fahrt abzurunden. Wenn ich heute, einen Tag später beim Schreiben überlege, hätte ich es machen sollen. So aber war ich nachmittags wieder auf dem Platz. Hier bereitete ich noch meine Abreise vor, soweit es etwas zutun gab. Ich sortierte einige Sachen aus, zählte die Zuckerbeutel ab, die ich noch brauchen werde, ließ den Rest zurück. Ein Dordogne-Führer mäßiger Qualität wird es auch nicht zurück nach Berlin schaffen. Vielleicht ist er jemand anderem hilfreich. Und irgendwie hat sich eine Menge Papier angesammelt, alte Bons, Touristenkarten, Flyer. Das kann endlich weg. Abends fuhr ich nochmals nach Lalinde, um Geld abzuheben. Sicher ist sicher. Morgen nun geht es zurück nach Bordeaux. Es ist fast ein bisschen schade.

 

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