Alexandroupolis

Es war einer dieser Tage…. Schon in der Nacht regnete es heftig, so sehr, dass ich davon aufwachte. Ich kann mich nicht beschweren, denn ich habe es so gewollt. Statt in der Türkei weiter dem Sommer zu frönen, wollte ich weiter. Nun bin ich hier und es ist tiefster Herbst. Doch es könnte schlimmer sein, denn in Berlin hält der Frost die Stadt fest im Griff. Geschneit hat es dort ebenfalls.

Als ich aufstand, hatte sich das nasse Wetter vorerst verzogen. Es schien sogar die Sonne, so dass ich auf Besseres hoffte. Nach einem ausgiebigen Frühstück und meiner ausgedehnten Morgenlektüre machte ich mich auf den Weg in die Stadt, um mein Fährticket nach Italien zu buchen. Beim ersten Reisebüro machte ich Halt und trat ein. Der Siebziger-Jahre-Look mit den billigen Schreibtischen und uralten Kalendern an der Wand ließ mich meinen Entschluss sofort bereuen. Eine Chance hatte ich noch, die einzige Angestellte in dem riesigen Raum telefonierte gerade und ignorierte mich kurzerhand. Doch sie, eine mittelalte, rundliche Person mit gelangweiltem Gesichtsausdruck, hatte mich längst gesehen, und bevor ich noch flüchten konnte, wies sie mir recht unfreundlich einen Platz an. Ich störte, das war sofort zu sehen. Sicherlich war es ein wichtiges Telefonat gewesen, das sich um das Liebesleben von Fernsehstars gehandelt hatte. Oder dergleichen Unaufschiebbares. Ich stand also dazwischen. Als sie endlich aufgelegt hatte, äußerte ich meinen Wunsch, nach Ancona fahren zu wollen. Danach startete ein wildes Tippen, schnell stand fest, dass ich zwei Fähren zur Auswahl hatte. Ich weiß nicht warum, aber dann begann wieder die Telefoniererei, sicher mit anderen Reisebüroangestellten irgendwo im Lande. Vielleicht ging es um die Frage, ob ich an Bord campen dürfe, vielleicht aber auch wieder um die Stars. Ich saß da und wartete, grinste ab und zu, wenn ich einen grimmigen Gesichtsausdruck von jenseits des Schreibtisches bekam. So verging die Zeit. Zwischenzeitlich tauchte ein anderer Angestellter auf, der war ungleich freundlicher. Meine Angestellte wurde es auch plötzlich. Was eine einzige positive Präsenz im Raum doch bewirken kann. Vielleicht war es auch der Chef.

Die Prozedur zog sich in die Länge. Etliche Buchungsversuche und Telefonate später entschieden die beiden, der andere Angestellte mischte sich aktiv in das Geschehen ein, dass die erste Fähre ausgebucht sein musste. Plötzlich ging alles ganz schnell, im Handumdrehen war mein Ticket gebucht, das ich, ohne es zu kontrollieren, sofort einsteckte. Eigentlich hat es alles in allem nicht länger als eine halbe Stunde gedauert. Wenn ich es online gebucht hätte, wäre es sicher trotzdem schneller gegangen. Außerdem scheint es im Reisebüro teurer gewesen zu sein. Statt der erwarteten 70 Euro musste ich 90 bezahlen. Aber die Diskussion half nichts, denn die Preise sind staatlich festgelegt.
Ich lief noch ein wenig durch Alexandroupolis, der Ort war genauso langweilig wie vor zwei Monaten. Auch meine Suche nach einer Winterjacke blieb erfolglos. Zwar hatte ich mehrere Geschäfte zur Auswahl, doch schienen mir Zara und Co alle zu dekadent und teuer. Das kann ich mir zurzeit nicht leisten. Ich muss Fähre fahren. Da kann man sich nicht einkleiden.
Schon gegen 12 war ich wieder beim Camper. Zwar schreib ich kein Wort, doch recherchierte ich, wo ich in Italien noch hinfahren könnte. Ich stellte fest, dass dieses Land selbst im tiefsten Winter für Reisende enorm teuer ist. Aber das ist nicht unbedingt eine Überraschung. Mein gezeichneter Plan, den ich vor einigen Tagen begonnen hatte, wurde immer abstrakter, will heißen unübersichtlicher. Trotzdem denke ich, dass es noch einigermaßen lesbar ist. Auf diese Weise brauche ich nicht überall das Internet, was in Italien nach meiner Erfahrung immer kompliziert ist.
Ich weiß nicht, was mich ritt, doch irgendwann schaute ich nochmals auf das Ticket. Natürlich kam es, wie es kommen musste, es hatte sich ein Fehler eingeschlichen. Diese dumme Nuss hatte die Ziffern meines Nummernschildes falsch eingetippt. Ärgerlich machte ich mich auf den Weg zum Reisebüro. Natürlich fing es in diesem Moment an zu regnen, ach was sag ich, schütten. Auf den unebenen Straßen bildeten sich sofort riesige Lachen, über die ich hinübersteigen musste. Als ich am Büro ankam, hatte es geschlossen. Mittagspause von 14 bis 18 Uhr. Wie bitte? Auf dem Rückweg passte ich für einen Augenblick nicht auf und landete mit dem Fuß in einer tiefen Pfütze. Meine einzigen halbwegs passablen Halbschuhe sind somit nass. Zu allem Überfluss fuhr ein Autofahrer neben mir ebenfalls durch eine tiefe Lache. Ihm machte es nichts, aber das hochspritzende Wasser durchnässte mich nun auch am übrigen Körper. Ich war geladen und hatte genug, schimpfte still und leise vor mich hin, wohl wissend, dass ich jetzt nichts an der Situation ändern konnte. Aber manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen wieder aufbauen können. Die Dusche auf dem Campingplatz war kochend heiß, sicher die angenehmste Körperwäsche seit Monaten. Genau das Richtige also für einen grauen und tristen Tag, der sich bereits langsam dem Ende zuneigt. Ich muss aber noch mal hinaus, werde mich sicher gleich wieder auf den Weg machen, um den Fehler korrigieren zu lassen. Wahrscheinlich ist es sowieso völlig egal, aber warum sich den Stress antun?
Morgen in aller Frühe geht es weiter. Ich habe eine weite Strecke vor mir. Und in drei Tagen setze ich dann über. Es wird sicher ein Spaß. Den brauche ich nach dem heutigen Tag auch.

Unabhängig von den vielen kleinen Missgeschicken begannen heute die Zweifel. Es wird im Grunde so weiter gehen, der Winter wird kommen, auch nach Italien. Auch wird es immer dunkler. Was mir im tiefen Süden der Türkei nicht mehr so viel ausmachte, wird wieder zu einem Problem, denn besonders bei Dunkelheit beginnt die Einsamkeit zu nagen. Ich erinnere mich dann an die Zeit vor drei Wochen, als ich nach langer Zeit nicht mehr allein war. Ich werde nichts überstürzen, aber möchte es auch nicht ignorieren. Wir werden sehen, wo ich zu Weihnachten bin. Vielleicht in Tunis. Oder Zuhause. Wer weiß das schon?