Fèz

Die Nacht war so kalt wie schon lang nicht mehr. Mein Schlafsack war bis oben hin zugezurrt, auf die zweite Decke konnte ich in den Morgenstunden nicht verzichten. Trotzdem wachte ich gut gelaunt und voller Tatendrang auf, früh und frisch sozusagen. Den Weg in die Stadt fand ich heute natürlich leicht, denn langsam hatte ich begriffen, wie Féz zumindest außerhalb der Medina funktioniert. Diesmal entdeckte ich auch das Tor, den Eingang, den Touristen normalerweise nehmen, die Bab Bour Jeloud. Ich muss gestehen, dass ich den Weg, den ich gestern genommen hatte, schöner, weil marokkanischer empfand. Heute öffnete sich mir ein Anblick auf Restaurants und Geschäfte deren Ziel eindeutig Touristen waren. Gestern, von der Kasbah kommend, war ein Gemüsemarkt mein erster Eindruck gewesen. Auch heute bestätigte sich meine gestrige Erfahrung, dass Féz sehr zivilisiert mit seinen ausländischen Besuchern umgeht. Ich bleibe bei meinem Urteil, auch wenn andere es anders empfinden. Nie fühlte ich mich aufs Äußerste bedrängt, sicher priesen auch heute Händler ihre Waren an, doch zwei oder drei Schritte später akzeptierten sie, dass nichts zu holen war.
Wieder lief ich endlose Gassen entlang, bemerkte auch das erste Mal eine Art System in dem Gewinde von Straßen, denn die Stadtväter haben Wege markiert. Verschiedene, farbige Zeichen prangen über den Köpfen, die auf unterschiedliche Themengebiete hinweisen. Um endlich die Lederfärbereien/Tanneries zu finden, musste ich den Roas-Schildern folgen, der Weg der Handwerker führte mich an so manchen Kleinoden vorbei. Ich sah zu, wie Meister Sänften fertigten oder aus Sperrholz wunderbar verzierte Kästchen machten. Ich fand wie zufällig auch das Nejjarine Museum of Wooden Arts. das ich ohne lange zu überlegen betrat. Früher war es eine Karawanserei, in der die Händler auch ihre Waren feilboten. Dreistöckig mit Innenhof ist das Gebäude ebenso sehenswert wie die übersichtliche Anzahl von Ausstellungsstücken. Besonders bemerkenswert fand ich die kunstvoll verzierten Decken, die ich im zweiten Stockwerk betrachten konnte. Auch eine ganze Reihe von Instrumenten und verschiedene Werkzeuge waren zu sehen. Ganz oben auf der Terrasse aber ist ein weiteres Glanzstück, das fast unbezahlbar ist: ein Panoramablick über die Stadt, die sich nach allen Seiten schier endlos ausstreckt.
Wieder auf der Straße folgte ich den Rosa-Schildern, die zu meinem Erstaunen irgendwann aufhörten. Ich hatte davon gehört, dass Fassi, wie die Einwohner hier genannt werden, Wegweiser entweder ganz entfernen oder so beschädigen, dass sie unlesbar sind. Letzteres hatte ich bereits gesehen, Ersteres konnte ich nicht sehen, denn die Schilder waren weg. Die „Faux Guides“ tun eine Menge, um sich unersetzbar zu machen. Ein freundlicher Shopbesitzer zeigte mir jedoch den Weg, an deren Ende ein Komplex stand, in dem sich mehrere Ledergeschäfte befanden. Gegen ein kleines Bakschisch durfte ich auf die Terrasse. Schon bevor ich jedoch dort ankam, machten sich die Färbereien durch einen, sagen wir, distinguierten Duft bemerkbar. Mir machte er nicht sehr viel aus, die Mitglieder der französischen Reisegruppe, die sich ebenfalls hier aufhielten, hatten fast alle einen Stengel Minze im Ausschnitt und somit vor der Nase. Das empfand ich als übertrieben, aber jedem das Seine. Die Färbereien, die sich wenige Meter von mir entfernt befanden, sahen von oben aus wie riesige Tuschkästen. Über den Geruch selbst wurde ich mir nicht richtig klar, doch nach einigem Überlegen erinnerte er mich an denjenigen aus einem Kuhstall, nur wesentlich intensiver. Ich sah unter mir Männer in den erdfarbenen Behältern arbeiten, in den unterschiedlich gefärbten Flüssigkeiten, die weiß Gott was enthalten, stampften sie bei prallem Sonnenschein auf dem Leder herum. Ein Mitarbeiter des Geschäftes erzählte den Touristen, dass dies alles völlig unschädlich wäre, denn es handele sich um ganz natürliche Zutaten, mit denen gefärbt würde. Ich dachte mir nur, dass er uns etwas vom Pferd erzählte, denn wie viele Gifte gibt es, die auch natürlich vorkommen, wie viel säurehaltige Flüssigkeiten oder lungenverätzende Dämpfe? Es sah für mich alles andere als gesund aus und ich zweifelte stark an der Aussage, dass es sich wirklich ausschließlich um natürliche Produkte handelte. Egal, es war trotzdem ein Anblick, den ich nicht vergessen werde. Die Produkte jedoch im Geschäft ließen mich ziemlich kalt, bin ich doch bereits im Besitz einer Lederjacke und einer Tasche, die keine Nebenbuhler dulden und noch lange nicht vergangen sind, um ersetzt zu werden.

Ich setzte meinen Weg fort, gelangte diesmal wieder zum Place de Seffarine, um dem Klopfen der Kupferschmiede zuzuhören. Heute hatte ich mehr Glück und ich fand sofort einen Platz im einzigen Café am Platz. Nach kurzer Zeit hatte ich Gesellschaft, zwei Italiener und zwei Engländer setzten sich zu mir, eine willkommene, kommunikative Abwechslung. Wie immer jedoch kommt das Gespräch irgendwann zu einem natürlichen Ende und man geht auseinander, so auch heute. Trotzdem war es schön, nach dem langen Schweigen, das mich als Allein-Reisenden immer verfolgt, wieder ein wenig zu reden und zu sehen, dass alle, die nach Marokko kommen, ähnliche Stationen der Gewöhnung durchlaufen, von Misstrauen bis hin zur vollkommenen Öffnung, von der ich sicher immer noch weit entfernt bin.
Ich machte mich jetzt auf den Weg, um Féz einmal von Weitem zu sehen. Die Stadt liegt in einem Tal, so dass es einige Punkte außerhalb gibt, von denen man die Stadt wunderbar betrachten kann. Unterwegs kam ich an einem Stand vorbei, an dem ich eine Menge Suppenschalen sah. Ich erinnerte mich an einen Tipp im Lonely Planet, der vorschlug, unbedingt eine B’Sara zu essen, eine Bohnensuppe mit Knoblauch und verschiedenen Gewürzen. Es war eine einfache Angelegenheit, ich saß zwischen Einheimischen und schlürfte meine Suppe, ein riesiges Stück Brot half mir dabei, die Schüssel zu säubern. Es schmeckte wunderbar, einfach und stärkend. Jetzt war ich bereit, über die Dächer der Stadt zu wandern. Dieser typische Lunch kostete mich die Unsumme von 5 Dirham, ein lächerlicher Preis für diese kleine Köstlichkeit, die mich völlig sättigte. Der überaus nette Besitzer des winzigen Ladens zeigte mir auch, welche Bohnen er für die Herstellung der Suppe benutzt. Ich kenne zwar den Namen nicht, doch erkenne ich sie sicher wieder. Hoffe ich.
Danach wanderte ich zum Militärmuseum, das ich zwar nicht besuchte, doch da es sich auf den Hügeln über der Stadt befindet, hatte ich herrliche Aussichten auf die Medina. Ich kam an einigen muslimischen Friedhöfen vorbei, die sicher der Grund dafür sind, dass die Stadt sich nicht weiter ausgebreitet hat, sondern noch immer die gleiche Form, wie im Mittelalter hat.
Féz ist ein wahres Moloch, selbst von oben nicht überblickbar, ein Haufen von grauen Häusern, die sich kaum voneinander unterscheiden lassen. Die Stadtmauer drum herum scheint die Stadt immer noch zu beschützen, jedenfalls ist sie in hervorragendem Zustand, zumindest von der Ferne aus.
Ich lief noch ein wenig weiter zu den Merenidischen Gräbern, die sich heute in ruinösem Zustand befinden. Doch wieder wurde ich wieder durch herrliche Aussichten auf die Stadt und auch das Umland belohnt, denn von hier konnte ich die sanften Hügel am Rande von Féz sehen. Es liegt wirklich malerisch, das war mir bislang nicht aufgefallen.
Es war bereits später Nachmittag und ich wusste instinktiv, dass es Zeit war zu gehen. Ich wusste ebenfalls, dass ich morgen weiter fahren würde, eine Tatsache, die sich erst in diesen Momenten herauskristallisierte. Ich werde diesem Instinkt folgen und bin gespannt, was als Nächstes kommt.