Wieder schreibe ich aus der Perspektive der Zukunft. Besonders wichtig, was diesen Tag betrifft, denn alles ist ein bisschen leichter, wenn ich den Tag schon erlebt habe, will heißen, ich schreibe immer einen Tag danach. Eines vorweg: Es war ein Erlebnis.
Ich muss etwas ausholen, um es verständlich zu machen. Letztes Jahr habe ich meine erste Reise mit Zelt und Rucksack seit langer Zeit extrem gut vorbereitet. Ich wusste faktisch immer, wo ich wann zu sein hatte. Das war zwar angenehm, aber diese Vorgehensweise hat mir auch jegliche Spontanität genommen. Zumindest kam es mir so vor.
Meine nächste Etappe sollte Auray heißen und es lief alles schlief, was schief laufen konnte. Erst musste ich 1 ½ Stunden auf die nächste Bahn warten. War nicht so schlimm, ist ebenso. Die Fahrt dauerte acht Minuten, was in keinem Verhältnis zur Wartezeit stand. Darüber konnte ich noch lachen. In Auray angekommen, machte ich mich auf dem Weg zum Campingplatz, von dem ich ungefähr wusste, wo er lag. Ich hatte unumstößliches Vertrauen in meinen sechsten Sinn. Auf den konnte und kann ich mich verlassen. Es mussten drei oder vier Kilometer sein. Ich merkte schnell, dass mein Reisesack für längere Wanderungen ungeeignet ist. Zu schwer, noch immer, und zu ungepolstert. Die Riemen drückten etwas zu heftig auf die Haut. Aber Jammern half nichts, auch malte ich mir aus, dass alles gleich vorüber sein würde. Auch war es noch früh, kurz vor zwölf. Tatsächlich tauchte bald das Schild auf, das den Campingplatz auswies. Lange konnte es nicht mehr dauern. Ich überquerte den Fluss, fragte nochmal nach dem Weg, dann die letzten Meter.
Einsam war er vor mir, der Platz. Niemand da, bei dem ich mich anmelden konnte. Dann kam doch irgendwer. Und der Mann teilte mir mit, dass der Platz erst im Juli öffnen würde.
Es sind diese Augenblicke, nach langem Marsch, mit schmerzenden Knochen, die mich emotional bewegen. Ich war wirklich enttäuscht. Ich fand noch jemand anderen auf dem Platz, der anscheinend von Leuten bewohnt wird. Und zwar permanent, in festen Hütten. Auch dieser freundliche Herr teilte mir mit, dass ich den Weg umsonst gemacht hatte.
Es half nichts, ich musste umdenken. Lange überlegte ich nicht. Zurück zum Bahnhof, da würde ich weitersehen. Unterwegs bemerkte ich einen Bus, auf dem die Lettern „Carnac“ aufleuchteten. Ich hatte fast vergessen, dass dieser Ort ganz in der Nähe lag. So war es also entschieden. Dort würde ich hinfahren.
Am Bahnhof angekommen, mittlerweile hatte ich mich fast an das Gewicht des Seesacks gewöhnt, teilte mir einen pausierender Busfahrer mit, dass der nächste Bus erst in 1 ½ Stunden fahren würde.
Ich war eigentlich nicht mehr berührt, eher amüsierten. So ist es eben, das Reisen. Es hält Überraschungen bereit. Die machen auch eine simple Fahrt in die Bretagne zu einem kleinen Abenteuer. Ich gönnte mir ein Sandwich und einen Kaffee, die Welt wurde wieder bunter, auch weil ich unschuldig mit der Kellnerin flirtete. Alles nicht so schlimm, wenn man sich die Schönheit in der Welt bewusst macht. Manchmal muss ich mich daran erinnern.
Carnac
Ab diesem Zeitpunkt lief alles besser. Der Bus war pünktlich, und ich kam eine halbe Stunde später in Carnac an. In der Touristeninfo erfuhr ich, dass der Campingplatz neben den Menhiren geöffnet war. Es war nur ein kurzer Fußmarsch, der mich auch an den berühmten Hinkelsteinen vorbeiführte. Dann war ich angekommen. Jetzt fiel auch die Müdigkeit von mir ab. Natürlich hatte ich Muskelkater, aber das ist normal, wenn man den Rest des Jahres nur am Schreibtisch sitzt.
Natürlich musste ich noch mal los. Es stand das Pfingstwochenende vor der Tür und das hieß: geschlossene Geschäfte. Also spazierte ich, nun fast ohne Gepäck, leicht und locker an den Hinkelsteinen, diesen einmaligen Zeugnissen der Vergangenheit, vorbei. Es ist ein wahrlich magischer Ort, auch weil niemand weiß, warum sich die Menschen vor Tausenden von Jahren die Mühe gemacht haben, diese gewaltigen Felsbrocken aufzustellen. Es gibt Theorien, eine wilder als die anderen. Letztlich stochern sie alle im Nebel. Von Carnac wird jedenfalls angenommen, dass er der älteste bewohnte Ort der Welt ist. Die Zeit hat das Wissen zugedeckt, wahrscheinlich für immer. So etwas juckt Leute und lässt sie nicht schlafen. Kein Wunder also, dass sie, bevor sie gar nichts sagen, irgendeinen Blödsinn von sich geben, der sich nicht beweisen ist. Ist vielleicht immer noch besser, als ein ungelöstes Rätsel, denken sie sich vielleicht. Ich bin nicht dieser Auffassung.
Am Abend gönnte ich mir eine Flasche Wein. Und einen Teller Dosenlinsen. Ich muss wirklich besser essen.