Lacoste & Bonnieux
Ich weiß nicht, wie ich das Erlebnis gestern Abend beschreiben soll. Auf der einen Seite möchte ich mir diese Zeit nicht zerstören, auf der anderen weiß ich nicht, ob ich meiner Enttäuschung nicht Ausdruck verleihen möchte. Ich werde es einfach probieren, in Worte zu fassen, möge der Leser entscheiden, wie er mich danach beurteilt, entweder als alten Nörgler oder als Fantast, der nicht in der Lage ist, auch einmal einen Konflikt mit sich selbst zu lösen.
Wir spazierten jedenfalls gestern noch in die Stadt Isle sur la Sorgue, ganz langsam und waren erst gegen 20:30 dort. An der Auswahl an Restaurants hat es nicht gefehlt, ziemlich treffsicher wählte Nina eines aus, das allerdings zu dieser Zeit voll war. Die sehr nette Kellnerin bot uns an zu warten, einige Gäste wären bereits beim Dessert, wir aber schlugen das Angebot aus, vielleicht weil es so viele andere Restaurants gab. Daher wählten wir eines in der Nähe, direkt am Fluss, das etwas leerer schien. Das angebotene Menü sah vielversprechend aus, doch als ich meinen Aperitif gleichzeitig mit dem ersten Gang bekam, ahnte ich, was uns blühte. Wir waren in einem der fürchterlichen Touristenschuppen gelandet, die zwar erstklassige Preise nehmen, doch Service der dritten Klasse anbieten. Die Vorspeise schmeckte annehmbar, keine Frage, doch wurde sie mir, noch nicht fertig, beinahe vom Tisch gerissen und mit dem Hauptgang ersetzt, der eigentlich noch 20 Minuten hätte warten müssen. Ich musste mich zusammenreißen, ich denke, dass der Kellner mein Gesicht, das wenig Verständnis widerspiegelte, gesehen hat, denn er entschuldigte sich vielmals, auch wenn es, wie ich jetzt weiß, nicht ernst gemeint war. Auch der zweite Gang war recht gut, wenn auch ganz sicher bereits nachmittags vorgekocht und warmgehalten, denn mein Braten war an den Rändern ziemlich trocken, was ich allerdings recht gerne mag. Kaum waren wir fertig, wurden wir eiligst nach unserem Dessert-Wunsch gefragt, das zwei Minuten später auf unserem Tisch stand. Auch das war nicht schlecht. Vielleicht wäre es alles noch gut ausgegangen, hätte ich nicht dir Örtlichkeiten aufgesucht. Eine Kühltruhe stand dort mit offenem Fenster und ich wagte einen Blick hinein. Dort fand ich die Plastikverpackungen des Aldi-Tiefkühlfisches, der auch Teil des zweiten Ganges sein konnte, wenn man ihn denn wählte. Ich frage mich, warum man so etwas nicht besser versteckt, wenn man Leuten schon Mist serviert, um ihnen wenigstens die Illusion zu geben, in Frankreich gut essen gegangen zu sein. Die leeren Teller des Desserts und die auf weitere Befüllung wartenden Gläser blieben, nachdem wir fertig waren, eine dreiviertel Stunde unbeachtet. Einem vorbei zischenden Kellner konnten wir gerade noch die Bestellung von zwei Espressi aufzwingen, die erst nicht auf der Rechnung, später dann noch eilig vom Oberkellner hinzugefügt wurden, als wir sie denn endlich erhielten.
Ich weiß nicht warum, aber ich habe in solchen Momenten immer das Gefühl, betrogen worden zu sein. Es geht nicht um Geld, sondern um den herrlichen Abend, der eigentlich perfekt gewesen wäre für eine schöne Mahlzeit, die wir diesmal leider nicht bekamen.
Nun ist es doch ein recht negativer Bericht geworden, doch meine Enttäuschung ist einfach zu groß. Sicher liegt es am Ort selbst, der leider viel zu viele Touristen beherbergt. Es ist immer das Gleiche, Restaurants springen aus dem Boden, machen Geld mit den Leuten, die sich nicht auskennen und verderben damit den wirklich guten Etablissements das Geschäft. Heute weiß ich, dass ich selbst daran schuld bin, denn unsere erste Restaurant-Wahl wäre wesentlich besser gewesen. Einheimische wissen, wo sie speisen können und wo nicht. Wieder einmal habe ich meinen sechsten Sinn vernachlässigt und ich bin es langsam Leid kundzutun, dass ich das nicht mehr machen werde. Ich kann es wieder einmal nicht versprechen, doch werde ich mich weiter bemühen.
Heute Morgen war der Spuk von gestern vergessen. Irgendwie wussten wir nicht recht wohin, ließen uns eher treiben. Auf dem Campingplatz fühlten wir uns nicht mehr wohl, keine Ahnung warum, deshalb packten wir alles ein und bezahlten. Unser erstes Ziel heute hieß Lacoste, ein weiteres sogenanntes „Village Perché“, ein an den Felsen geschmiegtes Dorf. Es gefiel uns gut, denn trotz der Tatsache, dass sich hier ein amerikanisches Design- und Kunst-College befindet, ist es hier noch sehr authentisch. Wir stiegen auf unebenen Kopfsteinstraßen den Ort empor, die mittelalterlichen Häuser sind sehr malerisch restauriert und haben meist noch viel Charme. Ganz oben erwartete uns die Ruine des ehemaligen Schlosses des Marquis de Sade. Es ist mir peinlich, aber ich kenne keines seiner Werke, so dass ich mir kein Urteil erlauben kann. Das Schloss selbst gehört jetzt Pierre Cardin und ist nicht zu besichtigen.
Da es trotz der recht frühen Stunde bereits brütend heiß war, worunter besonders Nina litt, ruhten wir uns in einem Café aus. Von hier hatten wir einen herrlichen Ausblick auf Bonnieux, das wir als Nächstes besuchen wollten. In der Hitze war es nicht besonders schön, in den stickigen und aufgeheizten Camper zu steigen. Bonnieux liegt nur wenige Kilometer entfernt, doch nachdem wir einen Parkplatz gefunden hatten, fiel uns beiden die Besichtigung schwer. Eigentlich kann man von diesen Dörfern sagen, dass sie von der Ferne beinahe besser aussehen, als wenn man sich hier aufhält. Das ist sicher ketzerisch, doch empfinde ich es so. Bonnieux ist touristischer als Lacoste, was man an der Anzahl kitschiger Gemäldegalerien sehen kann, die fast an jeder Ecke zu finden sind. Wir liefen geradewegs zum höchsten Punkt, einer romanischen Kirche, die leider geschlossen war. Doch die Aussicht von hier ist jede Anstrengung wert. Die roten Häuser und ocherfarbenen Steinbrüche Roussillions in der Ferne, das erhabene Lacoste samt Schloss ebenfalls, die welligen Hügel, auf denen der Lavendel beginnt zu blühen und die Felder aus der Ferne dunkelviolett färbt. Die Luft war sengend heiß, glühte beinahe und ließ den Ausblick flimmern. Dazu stimmten die Grillen ein Konzert an, das mich immer an die schönsten Monate im Jahr erinnert. Ja, ich liebe den Sommer, besonders wenn er heiß ist. Ich liebe es, ohne Kleidung zu schlafen, eine erfrischende kalte Dusche nach einem heißen Tag zu genießen oder noch um 22 Uhr draußen zu sitzen und die Helligkeit zu spüren, die mich jedes Zeitgefühl vergessen lässt. Wahrscheinlich überkommt es mich jetzt, weil der Berliner Winter 2009/10 der kälteste und dunkelste war, den ich je erlebt habe.
Wir entdeckten in Bonnieux einen Antikenmarkt, der teurer war als derjenige am 17. Juni in Berlin, was wirklich etwas bedeutet. Beinahe kaufte ich dennoch ein Set Kupfertöpfe, überlegte es mir im letzten Moment anders. Wäre der Verkäufer Marokkaner gewesen, hätte ich keine Chance gehabt, denn ich mochte diese Töpfe sehr. Das ist immer eine schlechte Voraussetzung, das Handeln zu beginnen, aber hier ist es nicht üblich, den potenziellen Kunden mit allen Mitteln zum Kaufen zu bewegen.
Nach einigen Stunden waren wir beide fertig, die Temperauren setzten uns zu und wir beschlossen, weiterzufahren. Nur wohin?
Als wenn ich den Acsi-Campingführer noch nie gesehen hätte, schlug ich die Seite eines bestimmten Platzes auf, an den wir beide noch nicht gedacht hatten. Er lag zwischen Focalquier und Manosque eignete sich perfekt als nächste Etappe.
Und hier sitzen wir nun, erfreuen uns an der Kühle des Waldes, in dessen Mitte er liegt. Deutschland hat England mit 4:1 besiegt, jetzt weiß ich wenigstens, wo meine Prioritäten liegen, denn ich bin gut gelaunt. Und es ist der perfekteste Ort, den ich mir heute vorstellen kann. Die Provence hat sich ebenfalls verändert, es gibt mehr Weizenfelder, was mich hoffen lässt, morgen etwas mehr Authentizität und nicht so große Touristenströme entdecken zu können.
Immer vorausgesetzt, dass die Hitze es uns erlaubt.