Strand bei Selcuk
Sonntag. Und ich gönnte mir zehn Minuten mehr Faulenzen am Morgen. Dann aber meldete sich mein schlechtes Gewissen und ich begann mit der Arbeit. Den heutigen Tag widmete ich ganz der Korrektur, fuhr also nirgends hin. Stattdessen entschied ich mich nach der ersten Session noch am Morgen für einen ausgedehnten Strandspaziergang. Im Gegensatz zu gestern lachte die Sonne wieder, und wenn ich mir die Vorhersage der nächsten Tage ansehe, wird das eher die Ausnahme bilden. Also hieß es: Ausnutzen der Situation.
Ich lief und lief, kam dabei am ersten großen Bettenbunker vorbei. Eine rein deutsche Angelegenheit. Dicke, bierbäuchige Landsmänner nahmen bereits in den frühen Stunden des Tages ihr vergorenes Gerstensaftfrühstück zu sich. Wenigstens war etwas los, die Spätsaison ist hier noch voll im Gange. In Strandnähe entdeckte ich einige Rohre, die in riesige Pfützen nahe dem Wasser ragten. Ich glaube, das verleidete mir das Schwimmen an diesem Tag, denn ich denke nicht, dass das Hotel Parfüm ins Meer leitet.
Etwas weiter entfernt war ein eher englisches Ressort. Das Frühstück war das Gleiche, Die dicken Bäuche auch. Ich habe, um ehrlich zu sein, so etwas aus nächster Nähe noch nicht gesehen. Mallorca-Urlauber meine ich – oder deren türkische Entsprechung. Da liegen sie, zu Dutzenden in der Sonne, tun nichts oder fahren Jetski. Es scheint sich um ein komplettes Feriendorf gehandelt zu haben, mit Pools und Saunen, Abenteuerspielplätzen und Boutiquen. Meine Güte, so viel Aufwand. Diese Art von Urlaub verstehe ich nicht, vielleicht würde ich, wenn ich Kinder hätte. Hab ich aber nicht, also bleibt sie mir verborgen. Diese Art von Urlaub. Standesgemäß durfte ich auch in dieses Dorf nicht hinein, einige Gorillas passten auf, dass ich auch ja in Strandnähe blieb. Dabei war ich eigentlich nur auf der Suche nach einem Supermarkt. Dass es sich um einen Ort einer anderen Art handelte, erfuhr ich erst nach dem „Rausschmiss“. Nun, ich wollte auch nicht länger stören, beobachtete die Szene noch ein wenig. Es waren definitiv andere Engländer, als ich sie kannte. Zumindest teilweise. Aber vielleicht habe ich meine Erinnerungen schon in das Reich der Mythen verbannt, so dass ich es nicht mehr vergleichen kann. Vielleicht war es ganz anders und ich weiß es nur nicht mehr. Der Verstand spielt einem Streiche, daher kann ich nicht sicher sein.
Einen Supermarkt konnte ich hier nicht finden, mein Dinner wird daher etwas langweilig werden. Auch das werde ich verschmerzen. Ich schaute nochmals bei den Schweizern vorbei, die ich hier wiedergetroffen hatte. So klein ist die Welt. Sie schwärmten von den Ausgrabungsstätten in Ephesus und ich denke, dass ich morgen doch vorbeigehen werde. Es ist schon merkwürdig, wie groß der Einfluss von anderen ist, wie sehr es hilft, wenn jemand anderes Begeisterung weckt. Ich stehe dann nicht mehr mit meinen Selbstzweifeln alleine da, sondern kann auf etwas aufbauen, die Tipps von anderen befolgen. Meine Unlust hat sich innerhalb von wenigen Minuten in zumindest Interesse verwandelt. Aber ist es nicht oft so im Leben? Die eigene Unkenntnis macht träge, erst wenn man die Begeisterung eines anderen hört, wird man angesteckt. Etwas davon geht auf einen über.
Ich weiß, dass ich gleich morgens gehen muss, denn der Andrang wird gewaltig sein. Vielleicht werde ich meine Arbeitssession auf nachmittags verlegen, um mehr Zeit zu haben. Das geht auch, ausnahmsweise.
Es ist ein schöner Ort hier zum Schreiben, sehr friedlich und doch noch lebhaft genug, um mir eine Kulisse zu schenken. Ich brauche beides zum Arbeiten.
Im Moment weiß ich noch nicht, wo ich hinterher hinfahren soll. Vielleicht bleibe ich noch einen Tag länger, fahre erst Mittwoch.
Wir werden sehen.