Istanbul

Es prasselte auf den Camper, während ich zuhörte. Endlich einmal war ich rechtzeitig wach geworden, um sieben, um genau zu sein, und das Wetter spielte nicht mit. So blieb ich liegen, auch wenn ich wusste, dass das gegen meinen heutigen Plan arbeitete, der eigentlich einen sehr frühen Start erforderlich machte.
40 Kilometer wollte ich bis nach Istanbul überbrücken, hatte mir die Verbindung herausgesucht .Es schien wahnwitzig, vor allem, weil es eine Strecke ist, die ich jeden Tag hier zurücklegen müsste. Im Rough Guide hatte ich von zwei Plätzen in Richtung Zentrum gelesen, vielleicht würde ich etwas heraus bekommen? Zu allem Überfluss war auch noch die Milch sauer, so dass ich einen kräftigen Espresso ohne Schaum trinken musste. Erst um neun schnallte ich das Rad ab, das mich die ersten vier Kilometer bis zur Haltestelle bringen sollte. Nachdem ich einen Kilometer auf den schlechten Straßen geradelt war, merkte ich, dass sich sehr wenig Luft auf dem Hinterreifen befand. Großartig, der Tag konnte gar nicht besser beginnen. Zwar ging es nach einem Kilometer nur bergab, aber ich dachte schon an die Rückfahrt, denn jeden Berg, den man hinunterfährt, muss man auch irgendwann wieder hinauf. Oder umgekehrt. Den Bus fand ich letztlich sehr schnell, er schien schon auf mich zu warten, Und so gondelte ich dahin, mal schnell, mal langsam. Dabei merkte ich erst, wie groß Istanbul und die Vorstädte eigentlich sind. Denn die bebaute Straße hört nie auf, die Stadt frisst sich immer weiter in die Hügel hinein und ans Meer heran.
Ich saß sehr gemütlich, hätte auch arbeiten können, aber bei der ersten Fahrt schaue ich lieber. Es zog sich hin. Erst um kurz vor elf kamen wir in Yenibosna an, da sah ich das Schild des einen Campingplatzes, von dem ich gehört hatte. Die Gegend war grimmig, laut, schmutzig, aber hier könnte ich viel Zeit sparen. Leider ist der Platz geschlossen, der Herr an der Rezeption bot mir jedoch an, den Camper an einer bestimmten Stelle zu parken, ich könne hier ruhig übernachten, es stünden schon andere hier. Ich schaute mir die Stelle an, sie liegt direkt an einer viel benutzten Einfahrt zu einem Parkplatz. Von Ruhe also keine Spur. Den anderen Platz gäbe es auch nicht mehr. Somit stand bereits früh fest, dass ich nicht wechseln würde. Aber ich war noch nicht in der Stadt. Die letzten 10 Kilometer fuhr ich mit der Metro. Halten wir fest, um neun losgefahren, um halb Zwölf in Aksaray angekommen. Ich war aber immer noch nicht im eigentlichen Zentrum, aber das wusste ich nicht. Ich stieg aus, war sehr ausgeruht, der einzige Vorteil.

Istanbul zeigte sich bei diesem ersten Eindruck – ich lasse das erst ab hier gelten – wie eine Großstadt, laut, voll, etwas schmuddelig. Also war ich in meinem Element. Ich hatte wenig gelesen, wollte einfach nur die Atmosphäre schnuppern, bevor ich einige Stunden später recht zeitig den Rückweg antreten wollte. Ich lief einfach die Hauptstraße entlang. Und wie es der Zufall wollte, stieß ich auf die berühmten Markthallen. Es war genau nach meinem Geschmack. Im Rough Guide stand, dass man stark belästigt würde. Ich kann darüber nur lachen, vor allem nach den Erfahrungen in Marokko. Natürlich sprechen die Verkäufer einen manchmal an, aber bei weitem nicht so aggressiv wie vor einem halben Jahr. Ein Geschäft neben dem anderen, Gold, Silber, Bronze, Leder, mich reizte aber die Atmosphäre mehr als das Angebot. Es war nicht besonders viel los, aufgrund meiner Kleidung war ich für die meisten Verkäufer auch nicht interessant. So ist es eben, wenn man sechs Monate reist, leidet das Äußere. In jeder Hinsicht. Trotzdem kam in mir die Erinnerung hoch, denn der Basar glich schon denen in Fez oder Marrakesch.
Trotz des Kaufs eines Stadtplans wusste ich nichtgenau, wo ich war. Es machte mir nichts aus, denn ich würde schon auf die Dinge stoßen, die ich sehen sollte. Immer wieder tauchten zwischen den modernen Häusern alte auf, windschiefe Gebilde aus einer anderen Zeit. Dann sah ich sie. Die Minarette der Blauen Moschee. Und etwas entfernt die Hagia Sofia, die sicherlich erstaunlichste Kirche/Moschee der Welt. Hier begann es also, das touristische Istanbul, ich merkte es an der langen Schlange vor dem Eingang. Ich werde mir überlegen müssen, was ich hier sehen möchte, denn auch der Eintritt zum Topkapi-Palast kostet richtig Geld. Die Hagia Sofia jedenfalls kann ich für zehn Euro sehen. Saftig. Aber ich bin noch einige Tage hier. Heute jedenfalls wollte ich nur etwas laufen, daher schlenderte ich weiter. Am Topkapi-Palast vorbei landete ich beim Hafen. Direkt am Goldenen Horn. Ich blickte auf Asien, stand in Europa. Der dritte Kontinent, den ich bereisen sollte, lag vor mir. Der Augenblick war bei Weitem nicht so feierlich, wie ich ihn jetzt schildere, aber es war trotzdem ein erhebendes Gefühl.

Ich ließ mich nicht lange bitten und ging über die Galatabrücke. Hier thronte der Weiße Turm (Galataturm) über der Stadt, doch ich brauchte nach dem vielen Laufen erst einmal eine Stärkung. Der türkische Kaffee war dazu bestens geeignet.
Der Turm ist von Nahem noch riesiger als aus der Ferne. Er passte kaum in meine Kamera. Danach verlor ich mich im Labyrinth der Straßen und Gassen, kam irgendwann in einem Viertel heraus, in dem Werkzeuge verkauft wurden. Ein Geschäft nach dem anderen, Schraubenzieher und – schlüssel, in allen Farben und Formen. Das zog sich einige Hundert Meter hin, da das nicht zu meinen wirklichen Interessen gehört, schweifte mein Blick in die Ferne, konnte es nicht, da er von Häuserwänden gebrochen wurde. Dann fand ich mich wieder auf der Brücke wieder. Hier beobachtete ich Fischer, die dicht an dicht auch die winzigsten Lebewesen aus dem Wasser zogen. Ein Blick nach unten und mir verging eigentlich der Appetit. Denn die Fluten schillerten in allen Farben, kein Wunder, denn die vielen Dampfer und Fähren hier lecken sicher kräftig. Vielleicht hat es den Vorteil, dass man dann kein zusätzliches Bratfett mehr braucht.
Ich aß trotzdem eines dieser Fischbrötchen mit Zwiebeln. Es schmeckte, auch wenn die Herkunft des Tieres nicht besonders appetitlich gewesen sein mochte.
Dann machte ich mich langsam auf den Rückweg, kam an Hunderten von Kleiderläden vorbei. Thommy Hilfinger sah ich am häufigsten. Lacoste ebenfalls. Dass es die noch gibt…. war doch schon in den Achtzigern peinlich.
Jetzt sitze ich wieder im Bus, schreibe, was das Zeug hält. Ob meine Unterkunft so weit entfernt wirklich ideal ist und ob ich es so lange durchhalte, wie ich vorhatte, weiß ich noch nicht. Denn wieder werde ich an die drei Stunden unterwegs gewesen sein. Auf die Dauer ist so etwas ermüdend. Ich muss mir etwas überlegen.