Catania
Es ist so eigenartig.
Die letzte Woche war so schwer, ich wünschte mir zu Zeiten die Einsamkeit, doch jetzt, da sie mich wieder ganz für sich hat, ist es auch nicht richtig. Ich musste mir heute eingestehen, dass ich Nina wieder einmal vermisste. Zwar sind die letzten Tage nicht so wie in der Türkei zu einer Art stilisierter Ideal-Zeit in meiner Erinnerung, aber die Schärfe der Auseinandersetzung nimmt gerade mächtig ab, zumindest in meiner Erinnerung. Ich wünschte mir so sehr, ich hätte mehr aus der Zeit gemacht und immer stärker verstehe ich, was ich Nina mit diesem einen Jahr der freiwilligen Trennung eigentlich antue. Sind ihre heftigen Reaktionen nicht verständlich? Wahrscheinlich, zumindest denkt jeder so. Ich jedenfalls komme immer mehr zu dem Schluss, dass diese Reise ohnehin langsam zu Ende geht. Ich plane, in ca. fünf Wochen wieder in Berlin zu sein, bin erste Mal sehr konkret. Ich habe heute nichts weiter unternommen, las viel, gab mich einem viel zu bindenden Computerspiel hin, wodurch die Fortsetzung meines Romans viel zu kurz kam. Wenigstens habe ich mich wieder ein wenig eingelesen, möchte morgen definitiv gleich früh mit dem Schreiben beginnen. Aber mit meiner Schwester konnte ich reden, sie erwartet mich gegen Mitte Februar in Lyon, womit meine Rückreise endlich den Namen erhält, den sie schon so lange versucht zu bekommen.
Was meine eventuelle Weiterfahrt nach Afrika betrifft, kann man sagen, dass ich von größerem Unheil verschont geblieben bin. Es herrschen in dem angeblich sichersten afrikanischen Land, Tunesien, die heftigsten Unruhen. Das Volk möchte sich endlich die Freiheit erkämpfen, hat ihren Diktator in die Wüste zu den Saudis gejagt. Die ihn leider mit offenen Armen empfangen haben. Bei allem Verständnis für die Unruhen und Straßenkämpfe, es ist ein großes Glück, dass ich nicht darin verwickelt worden bin. Hatte ich noch vor wenigen Wochen mit dem Gedanken gespielt, kann man sagen, dass mir mein sechster Sinn zwar nicht verraten hat, warum, aber er hat mich davon abgehalten, wieder nach Afrika überzusetzen. Auch in Jordanien beginnen die Demonstrationen, in Ägypten ist es sicher nur eine Frage der Zeit, denn in allen diesen Ländern herrschen ähnliche Situationen wie in Tunesien. Einfach unglaublich.
Bei all der Aufregung habe ich kaum mitbekommen, dass der Ätna vor ein paar Tagen ausgebrochen ist. Ich spazierte mit Nina in Richtung Stadt, wir hörten ein Grollen. Es war beunruhigend, aber wir dachten uns nichts dabei. Jetzt weiß ich, dass ich mit meiner damaligen Vermutung richtig gelegen hatte. Es war der Vulkan, dessen tiefe Stimme sich donnernd erhoben hatte. Noch heute war die Aschewolke um den Krater herum eindeutig zu erkennen, obwohl es vor einigen Tagen noch wesentlich spektakulärer ausgesehen haben muss. Aber so ist das mit mir, sobald es ansatzweise gefährlich wird, verschließe ich die Augen und bekomme nichts mit. Hoffentlich geht das in Zukunft gut. Manchmal ist es sicher besser, gepflegt in Panik zu verfallen, anstatt lethargisch aufs Meer zu starren. Das war es, was ich heute getan habe. Allerdings hatte ich dabei viel Freude.
Es wird sicher hart werden abzufahren. Vielleicht mache ich es allmählich. Wir werden sehen. Es ist das erste Mal, dass ich mich ein wenig über meine bevorstehende Rückkehr nach Berlin gefreut habe. Es ist sicher noch sehr früh und es werden noch viele Wochen vergehen, bis ich wieder zu Hause bin. Aber es ist ein Anfang. Und ein Ende zugleich. Ich weiß eigentlich auch nicht, warum es in mir Trauer auslösen sollte. Ich habe so viel gesehen, habe mir bewiesen, dass man auch allein eine Zeit in einem Camper als Reisender leben kann. Und ich habe ein langes Buch geschrieben, werde ein zweites auf den Weg bringen. Diese Reise war ein voller Erfolg. Nun möchte ich darauf aufbauen. Und das macht man am Besten, wenn man nach vorne schaut.